Читать книгу Teufelsmord - Ein Fall für Julia Wagner: Band 1 - Tanja Noy - Страница 8
3. KAPITEL
ОглавлениеGeständnis und Entschluss
Am nächsten Morgen, um 8:46 Uhr, nahm Wolfgang Lange auf der anderen Seite des Tisches Platz. „Ich muss dir jetzt ein paar Fragen stellen.“
„Was für Fragen?“ Kerstin Jakobs Gesicht hatte die bleiche Farbe einer Gipsmaske. „Ich habe doch schon gestanden.“
„Ich muss dir trotzdem noch ein paar Fragen stellen. Fangen wir am besten damit an, dass du mir erzählst, was gestern Abend genau passiert ist, in Ordnung?“
Durch ihr wirres blondes Haar hindurch, das ihr zum Teil über die Augen hing, blickte sie Lange an. Dann nickte sie langsam und begann: „Jürgen hatte getrunken. In letzter Zeit hielt er es keinen Abend mehr ohne Alkohol aus. Ich kam ein paar Minuten zu spät nach Hause und er schrie mich sofort an, kaum dass ich die Tür hinter mir zugemacht hatte.“
„Wart ihr alleine?“
„Ja.“
„Die ganze Zeit?“
„Ja.“
„Was genau hat dein Mann zu dir gesagt?“
„Er schrie, dass er mir verboten hätte, aus dem Haus zu gehen. Warum ich nicht auf ihn hören würde. Ob ich ihn provozieren wolle und so weiter.“
„Und dann?“
Kerstins Lippen zuckten. „Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe plötzlich nach dem Messer gegriffen, danach ist in meinem Kopf alles schwarz.“
„Nach dem Küchenmesser?“
„Ja. Es lag auf dem Esszimmertisch. Ich habe es gesehen und danach gegriffen. Und dann … Ich hab ihn getötet. Ich war wie in Trance.“
Im Vernehmungsraum war es heiß und stickig, Lange krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch. „Und dabei gelangte das Blut deines Mannes auf dein Kleid und auf deine Hände?“
„Ja.“ Kerstin blickte auf ihre Hände hinab. Selbst unter den Fingernägeln hatte sich das getrocknete Blut ihres Mannes befunden. Ihr wurde übel.
„Hat er sich gewehrt, als du mit dem Messer auf ihn losgegangen bist?“
„Das … weiß ich nicht.“
„Aber du erinnerst dich noch, dass du ihm die Kehle durchgeschnitten hast?“
„Nein. Auch daran erinnere ich mich nicht.“
„Okay. Und an das Pentagramm in seinem Bauch?“
Kerstin schüttelte erneut den Kopf und Lange seufzte auf. „Kennst du einen Hexenzirkel in Hannover, Kerstin?“
„Nein.“
„Du kennst auch niemanden, der in einem sein könnte?“
„Nein.“
„Aber du weißt, welche Gerüchte in Wittenrode um dich kreisen?“
„Natürlich. Und das hier werden die Leute als Beweis dafür nehmen. Egal was sie denken: Ich erinnere mich trotzdem nicht daran, es getan zu haben. Auf einmal lag er vor mir. Und überall war Blut.“
„Was hast du dann gemacht?“
„Als ich wieder zu mir kam und erkannte, was ich angerichtet hatte, habe ich mich auf die Couch gesetzt und überlegt, was ich nun tun sollte. Ich saß einfach nur da und hab überlegt. Dann hörte ich draußen einen Wagen. Ich sah aus dem Fenster und erkannte, dass es ein Polizeiwagen war. Und da wusste ich, dass das Schicksal von mir wollte, dass ich mich stelle. Also bin ich aus dem Haus gerannt.“
„Okay.“ Lange richtete sich etwas auf. „Kommen wir zu etwas anderem: Du hast gesagt, du hättest dich gestern Abend verspätet, weil du aufgehalten worden wärst, was deinen Mann ziemlich wütend machte …“
Kerstin nickte.
„Was hat dich aufgehalten?“
„Das habe ich vergessen.“
„Vergessen.“ Dieses Mal lag ein Hauch Ironie in Langes Stimme. „Okay, fassen wir zusammen: Du hast dich gestern Abend ein wenig verspätet, allerdings vergessen, weswegen. Als du schließlich nach Hause kamst, war dein Mann bereits angetrunken und griff dich sofort verbal an. Auf dem Esstisch lag ein Messer aus der Küche, du hast danach gegriffen und ihm die Kehle durchgeschnitten. Dann hast du ihn nackt ausgezogen und ihm ein Pentagramm in den Bauch geritzt. An all das kannst du dich zwar nicht erinnern, aber es passierte so zwischen 20:00 Uhr und 20:30 Uhr. Richtig?“
Kerstin nickte und Lange musste an die alte Polizeiformel denken, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Geschichte stimmte, immer größer wurde, je absurder sie sich anhörte.
„Und nach der Tat hast du über drei Stunden auf dem Sofa gesessen und darüber nachgedacht, was du nun tun solltest“, fügte er hinzu.
„Ja.“ Nun hob Kerstin den Kopf und sah ihm fest in die Augen. „Ich habe meinen Mann umgebracht. Ich habe die Tat gestanden und nun will ich meine Strafe. So schnell wie möglich.“
„Möchtest du mit mir reden, Kerstin?“
„Nein.“
Jordan legte die Hände flach auf den Tisch. „Wir sind in deiner Zelle, Kerstin, und wir sind alleine. Du kannst toben, weinen, schreien. Es bleibt zwischen dir und mir und Gott.“
Alles um Kerstin herum schien sich zu drehen. Der Boden unter ihr gab nach, vermittelte ihr das Gefühl zu schwanken. „Gott hat mich nicht davon abgehalten, meinen Mann zu töten, Pastor Jordan. Er hat zugelassen, dass ich wie eine Bestie über ihn hergefallen bin. Er hat zugesehen und es nicht verhindert.“
„Ich kann deinen Kummer verstehen. Aber wenn du schon nicht Gott vertraust, dann vielleicht mir.“
Kerstins Atem ging flach. Ihre Hände waren ineinander verschränkt, mehr aus Verzweiflung als im Gebet. „Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich getan habe.“
„Sieh mich an, Kerstin“, bat Jordan mit sanfter Stimme. „Bitte.“
Sie tat es nicht. „Es ist nicht zu entschuldigen. Mit nichts. Ich habe meinen Mann getötet. Nein, nicht nur getötet, ich habe ihn vernichtet. Und deshalb habe ich keine Vergebung verdient. Es muss ein Ende haben. Es wird ein Ende haben.“ Bitterkeit stieg wie Säure in ihr auf. Sie konnte sie beinahe schmecken. Es war der Geschmack von Selbstverachtung und Selbsthass. Schließlich sah Kerstin auf und den Pfarrer an. „Und Sie werden es nicht verhindern können.“
An all das dachte Kerstin in ihrer letzten Minute. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde. Und wenn sie es schaffte, wozu waren dann all die Jahre gut gewesen?
Das waren sie also, die letzten Sekunden. Bis eben hatte sie noch ihre Hand auf den Bauch gepresst, um es ein letztes Mal zu spüren. Jetzt erhob sie sich und trat zum vergitterten Fenster. Draußen öffnete eine dünne Linie aus Licht den schwarzen Vorhang des Horizonts und die Dunkelheit in der Zelle lichtete sich langsam.
Kerstin zitterte am ganzen Körper.
Bald würde ihre Hölle eine andere sein.
Und dann, noch ehe das erste Zwitschern des frühesten Vogels erklang, stieß sie den Stuhl unter sich fort. Ihr Körper bäumte sich ein letztes Mal auf. Endlich nichts mehr empfinden. Keine Schuldgefühle mehr. Nicht mehr grausam sein. Nicht mehr zutiefst verdorben.
Das alles schoss durch ihren Kopf. In ihrer letzten Sekunde.
Dann war es vorbei.
Ein paar Stunden später klingelte irgendwo in Wittenrode ein Telefon. Als der Angerufene abhob, meldete er sich mit einem genervten: „Ja?“
„Sie hat sich erhängt.“
„Gut.“
„Gut? Brutaler hätte es wohl kaum enden können.“
Der Angerufene knotete seinen Bademantel zu. „Höre ich da etwa Zweifel heraus?“
„Nein.“ Der Anrufer war nicht wütend. Er war getroffen. „Nein, entschuldige, ich frage mich nur …“
„Überleg dir gut, auf wessen Seite du stehst. Jürgen Jakob wollte uns verraten. Der hätte uns mit seinen plötzlichen Schuldgefühlen alles kaputt gemacht. Und dass seine Frau sich jetzt das Leben genommen hat … Ja, meine Güte. War halt alles zu viel für sie.“
„Und was machen wir mit den anderen?“
„Die machen uns keine Probleme. Sie sind sich über die Bedeutung ihres Schweigens im Klaren. Sonst noch was?“
Der Anrufer zögerte einen Moment. „Was ist mit der kleinen Wagner?“
„Julia? Um die werde ich mich kümmern, sobald sie da ist.“
Damit beendeten sie das Gespräch.