Читать книгу Tanjas Welt Band 3 - Tanja Wekwerth - Страница 12
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Ich kann nicht einschlafen
ОглавлениеKennen Sie das? Man ist müde, geht ins Bett, schläft ein – alles wunderbar. Und mitten in der Nacht wacht man auf – und dann …
Dann kommen einem tausend und ein Gedanke, man hat Durst, Hunger, macht sich Sorgen, kriegt Kopfweh und das allerschlimmste: Man kann nicht wieder einschlafen. So ergeht es mir manchmal. Zum Beispiel letzte Nacht:
Eben noch im Reich der Träume, wache ich plötzlich auf. Was ist los? Gibt es einen Grund? Ich lausche in die Finsternis. Neben mir atmet Robert tief und fest. Wieso schnarcht er nicht? Bestimmt bin ich deswegen aufgewacht. Es ist kurz vor halb drei. Wo ich schon mal wach bin, kann ich ja schnell nach den Kindern sehen. Sie schlafen tief und fest. Wunderbar!
Ich lege mich wieder ins Bett, decke mich zu, schließe die Augen und … es beginnt, im Kopf zu rotieren. Ich kann beinahe hören, wie die Zahnräder der Gehirnkammern ineinander greifen und sich unermüdlich drehen. Um Gottes willen, morgen ist Sanne bei einer Schulfreundin eingeladen, und ich habe weder ein Geschenk gekauft, noch habe ich einen blassen Schimmer, wo das Kind wohnt. Ich weiß nicht einmal, wie es heißt.
Und wollte die Schwiegermutter morgen oder übermorgen zu Besuch kommen? Wann habe ich meinen Zahnarzttermin? Ich reiße die Augen auf.
Wenn ich mir das jetzt nicht schnell notiere, dann gerate ich morgen in einen schrecklichen Tag. Ich mache das Licht an und schreibe mir alles auf. So! Jetzt kann ich bestimmt schlafen.
Kann ich aber nicht, denn ich fange an, mich über meine Nachbarin zu ärgern. Die, die unter uns wohnt und sich dauernd über Kinderlärm beschwert. Wenn ich sie das nächste Mal treffe, werde ich ihr sagen: »Kinder darf man nicht immer beschränken!«
Oder besser: »Sind Sie denn nie ein Kind gewesen?« Oder noch besser ignoriere ich sie hoheitsvoll.
Ich könnte mich grün ärgern über diese Person und stelle bald fest, dass man nicht einschlafen kann, wenn man sich ärgert. Also gut, ich werde mir ein paar nette Gedanken machen.
Ich stelle mir eine Blümchenwiese vor, auf der ein weißes Einhorn steht und grast. Es ist wunderschön, und als es den Kopf hebt, sehe ich, dass es saphirblaue Augen hat. Ich möchte es streicheln, doch es weicht zurück und sagt mit der quäkigen Stimme der Nachbarin: »Ihre Kinder machen viel zu viel Radau!«
Ich wälze mich herum. Mein Herz klopft wütend. Die Heizung schließt sich an. Klopf, klopf, klopf. Auch der Wecker tickt neuerdings so laut. Direkt in mein Ohr hinein. Gleich werde ich wahnsinnig.
Mit einem lauten Seufzer stehe ich auf und stolpere in die Küche, um mir einen Fencheltee zu machen. Während ich darauf warte, dass das Wasser kocht, lese ich in einer Zeitung, die auf dem Küchentisch herumliegt, und das hätte ich wirklich vermeiden sollen. Den Kopf voller Terror, Weltkrieg und Morddrohungen, kann mich auch ein Fencheltee wenig später nicht beruhigen. Ich trinke ihn mit kleinen Schlucken, gehe deprimiert zurück ins Bett und denke darüber nach, ob ich nach Kanada auswandern sollte.
In einem Blockhaus mitten im Wald könnten meine Lieben und ich in Frieden leben und würden von den Schrecken dieser Welt nichts mehr mitbekommen. Ich habe kalte Füße. Die Heizung klopft noch immer. Den Wecker habe ich unters Bett geworfen. Ruhe jetzt! Im Oberstübchen knirschen die Gehirnwindungen wie Mühlräder.
Also, das mit dem Auswandergedanken nach Kanada sollte ich unbedingt noch schnell aufschreiben, sonst habe ich es morgen früh vergessen. Ich mache Licht, schreibe und sacke in die Kissen zurück.
Ob ich ein bisschen lesen sollte? In einem lieblichen Liebesroman? Auf meinem Nachttisch liegt nur etwas von Stephen King und das ist nicht gerade die Lektüre, die ich jetzt brauche. Also, Licht aus und Schäfchen gezählt. Eins … zwei … drei … Wie langweilig, aber das ist der Trick an der Sache.
Siebenundneunzig, achtundneunzig …! Bei mir scheint es nicht zu funktionieren. Ob es in Kanada Bären im Wald gibt? Und Giftschlangen?
Hundertelf, hundertzwölf … »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!«, könnte ich der Nachbarin sagen. Ich gebe das Schäfchenzählen auf und mache mir wieder nette Gedanken, aber da biegt das blöde Einhorn um die Ecke, und bevor es etwas sagen kann, stehe ich auf, um aufs Klo zu gehen. Zu viel Fencheltee drückt auf meine Blase.
Am nächsten Morgen haben wir alle verschlafen, denn der Wecker lag ausgeschaltet unterm Bett. Und nach Kanada sind wir auch nicht ausgewandert. Noch nicht! Ich bleibe vorerst … schlaflos in Berlin.