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Mal wieder eine Märchenstunde

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Wenn es draußen stürmt und schneit, und der Frühling noch so weit ist, sollte man sich und seinen Kindern eine heiße Schokolade kochen, den Sessel am knisternden Kaminfeuer zurechtrücken und ein schönes, altes Märchen vorlesen. Das habe ich mir zumindest neulich so gedacht. Statt Kamin gab es aber nur eine Kerze, doch der Rest war da, und als ich die alte Familienschwarte aufschlug, dachte ich bei mir, dass wir jetzt bestimmt ein beschaulichen Anblick wären.

»Also, los geht’s!«, rief ich fröhlich. »Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster und nähte.«

»Genau!«, rief Sanne wieder dazwischen, »und gleich sticht sie sich in den Finger!«

Ich nickte. »… und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rot im weißen Schnee so schön aussah …«

»Wieso näht die am offenen Fenster bei der Kälte?«, wollte Sanne wissen.

Ich beschloss, vorerst keine Zwischenfragen mehr zu beantworten und las unbeirrt weiter. Die Mutter starb also, der König nahm sich eine neue Gemahlin, die schön, aber böse war, dann kam ich zu der bekannten Stelle mit dem Zauberspiegel, »Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«. Da schaltete sich Sanne wieder ein: »Was soll denn das für ein Spiegel sein?«

»Ein Zauberspiegel«, lispelte Samuel begeistert, und ich sah ihn dankbar an.

»So ein Quatsch!«, meckerte Sanne.

»Es ist ein Märchen«, erinnerte ich sie und las ein wenig weiter. »… da sagte die böse Königin zum Jäger: ›Du sollst das Kind töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen!‹ …«

»Ist ja ekelhaft!«, kreischte Sanne. »Wieso geht der dumme Jäger nicht zur Polizei?«

»Weil die Geschichte dann aus wäre!«, rief ich ein wenig ungehalten und las schnell weiter. Ich schaffte es bis zu der Stelle, an der die böse Königin sich als Krämerin verkleidet und bei den sieben Zwergen an die Tür klopft. »›Gute Ware feil, feil!‹ rief sie.«

»Wie? Feil? Feil?« Sanne kicherte prustend in ihre Tasse.

Ich seufzte. »Feilbieten heißt anbieten.«

»Feil, feil, feil!«, kicherte Samuel. Tapfer las ich weiter. Nachdem die Königin nun also mit dem Schnürriemen das schöne Schneewittchen nicht beseitigen konnte, kam sie wieder, um ihr einen vergifteten Apfel anzudrehen.

Sanne starrte mich erschüttert an: »Schneewittchen wird doch wohl nicht so blöd sein, der Alten ein zweites Mal zu glauben?«

»Doch!«, antwortete ich müde, »sie ist so blöd!«

Sanne schüttelte mitleidig den Kopf. »Nach dem Kamm kommt doch erst der vergiftete Apfel!«, kombinierte sie, »da ist Schneewittchen ja dreimal auf den selben Trick hereingefallen!«

Das musste ich zugeben.

»Sehr schlau ist die aber nicht«, meckerte Sanne weiter.

Energisch blätterte ich die Seite um. »Soll ich euch ein anderes Märchen vorlesen?«, bot ich an. Beide nickten zögerlich.

»Die drei Männlein im Walde«, begann ich und schaute in zufriedene Gesichter. »Es war ein Mann, dem starb seine Frau, und eine Frau, der starb ihr Mann, und …«

»Nicht schon wieder so viel Sterben und Blut und Abgehacktes!«, protestierte Sanne entsetzt.

»Gut!«, sagte ich, »ich koche mir jetzt einen anständigen Kaffee, und dann lese ich euch Aschenputtel vor.«

Wenig später ging es weiter: »Einem reichen Mann, dem wurde seine Frau krank …« Sanne räusperte sich laut, doch es kam, wie es kommen musste, die Frau starb, und der reiche Mann heiratete bald wieder und zwar eine schöne, aber böse Frau (das kam uns jetzt bekannt vor) mit zwei schönen, aber bösen Töchtern. Sanne gähnte. Und als der Vater auf Reisen gehen wollte, da frage er seine Töchter, was er ihnen mitbringen sollte. Die Stieftöchter antworteten: »Perlen und Edelsteine!« Sannes Augen leuchteten. »Genau!«, rief sie begeistert, »und schöne Kleider!«

Und Aschenputtel antwortete: »Das erste Ästlein, das Euch auf Euerem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab!«

»Häää?«, erboste sich Sanne, »die ist ja genauso blöd wie Schneewittchen!«

Da klappte ich das Buch zu.

»Weißt du was, Mama?«, Sanne pustete die Kerze aus, »jetzt lese ich dir mal was vor und zwar Pippi Langstrumpf, die wohnt allein in einer Villa und hat ein Pferd und einen Koffer voller Goldstücke, und blöd ist die auch gar nicht.«

Dankbar nahm ich einen Schluck Kaffee, stellte das Märchenbuch ins Regal zurück und es wurde noch ein richtig gemütlicher Vorlese-Nachmittag ohne Sterben und abgeschlagene Häupter.

Tanjas Welt Band 2

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