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Kindermund tut Wahrheit kund

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Oder haben sich nur meine Kinder darauf spezialisiert, mich in unmögliche Situationen zu bringen? Wie neulich an der Wurst-Theke im Supermarkt.

Vor uns stand eine – wie soll ich mich ausdrücken? – eine etwas korpulente Verkäuferin, die freundlich nach meinen Wünschen fragte. »Boooah!«, rief Sanne, mein Töchterchen, beeindruckt, »ist die aber fett!«

Und bevor ich im Erdboden versinken konnte, krähte Samuel, der neuerdings als Sannes Privatpapagei fungiert: »Boooah, ist die aber wirklich fett!« Und damit hatte es dann die ganze Warteschlange hinter uns mitbekommen. Mit hochrotem Kopf blickte ich in amüsierte Gesichter und schließlich in das weniger amüsierte der korpulenten Wurstverkäuferin. »Ich hätte gern 100 Gramm Putensalami«, stammelte ich tapfer.

»Mager oder fett?«, donnerte mein molliges Gegenüber, und hinter mir kicherte ein junger Mann.

»Feeett!«, jubelten meine Kinder. Ich murmelte etwas in der Art von »muss ich mir noch mal in Ruhe überlegen« und schob den Einkaufswagen mitsamt meinen ungezogenen Kindern um die nächste Ecke.

»Seid ihr verrückt?«, herrschte ich sie im Schutze zahlreicher Konservendosen an. »Ihr seid unhöflich und gemein. Man beurteilt einen Menschen doch nicht nach seinem Äußeren!«

»Haben wir ja nicht!«, verteidigte sich Sanne, »wir haben nur gesagt, dass sie fett ist, und du hast gestern auch gesagt, dass die Frau von Papas Chef eine dicke, dumme Kuh ist!«

Manchmal frage ich mich, woher sie diese Widerborstigkeit hat. Von mir jedenfalls nicht. Und sie ist ja nicht allein damit.

»Deine Mama hat aber mehr Falten als meine«, stellte Sannes kleine Freundin Karin letzte Woche knallhart fest. In meinem Beisein, wohl bemerkt.

Sanne schaute mich kritisch an. »Stimmt!«, sagte sie dann abtrünnig, »dafür hat meine Mama einen größeren Busen!« Wieder nahmen mich vier Kleine-Mädchen-Augen unter die Lupe. »Stimmt!«, sagte Karin, und nun wusste ich, woran ich war. Karins Mutter kam am Abend zum Abholen, und ich konnte mich diskret von der Richtigkeit der Angaben überzeugen.

Als unser guter, alter Onkel Karl zu Besuch war, saß Sanne neben ihm auf der Couch und sagte mit nachdenklichem Gesicht: »Onkel Karl riecht aus dem Mund wie Omas ungeputzter Vogelkäfig!« Und damit schmollte nicht nur Onkel Karl, sondern auch die Oma, und der nette Nachmittag war gelaufen.

»Du kannst die Kinder nicht zur Lüge erziehen!«, verteidigte Robert, mein liebster, toleranter Ehemann, seine Nachkommenschaft, als die säuerlichen Gäste gegangen waren.

»Nein!«, antwortete ich genervt, »aber zum Mundhalten! Sie müssen doch lernen, dass sie nicht immer alles hinausposaunen dürfen.«

»Kinder sind eben spontan und grausam ehrlich. Sie haben einen enormen Mitteilungsdrang und …!« Robert, neuerdings Kinderpsychologe und Erziehungsratgeber, hob den Zeigefinger, doch ich wollte nichts mehr hören.

»Wie nett Ihre neue Frisur ist!«, sagte ich meiner rot gefärbten Nachbarin gestern im Treppenhaus. »Wieso?«, blökte Sanne fröhlich, »du hast doch noch heute morgen gesagt, sie sieht aus wie …« Schnell hielt ich ihr den Mund zu, doch Samuel war so freundlich, ihren Satz zu beenden: »… wie Pumuckl!«, rief er und nickte eifrig. Die Nachbarin lächelte gequält. Ich lächelte dunkelrot zurück und verabschiedete mich hastig. Während ich die Kinder die Straße entlangzerrte, moserte Sanne: »Der Pumuckl ist doch aber wirklich nett!« Und der Papagei krähte: »Wirklich nett!«

»Ja!«, rief ich außer mir, »aber er ist hässlich!«

»Gar nicht!«, verteidigte Sanne ihre erste, große Liebe.

Als meine Schwiegermutter uns zum Mittagessen eingeladen hatte, schärfte ich Sanne und Samuel vorher ein, sich mit kritischen Kommentaren zurückzuhalten. Die beiden gelobten Besserung. »Wenn man euch etwas fragt, antwortet ihr ehrlich, und ansonsten seid ihr friedlich, in Ordnung?« Beide nickten brav, und ich war sehr stolz auf mein pädagogisches Wunderwerk. Nur leider musste die Schwiegermutter ausgerechnet gebratene Leber mit Zwiebelringen auftischen, was nicht gerade ein Kindergericht ist.

Meine beiden schoben schweigend Fleischstücke von links nach rechts. »Schmeckt’s euch?«, fragte Schwiegermama freundlich. Sanne sah mich an. »Jetzt hat sie aber gefragt«, sagte sie, und das Unglück war nicht mehr aufzuhalten. »Es schmeckt so scheußlich, wie mir noch nie etwas geschmeckt hat!«, beantwortete Sanne dann die ihr gestellte Frage, und Samuel bestätigte: »So scheußlich!«

Nun, wie mein Mann bereits erwähnte, sind Kinder eben ungemein ehrlich, und als mir Sanne heute früh, als ich zerstrubbelt und ungeschminkt am Frühstückstisch saß, sagte: »Du Mama! Du bist die allerschönste, liebste, coolste Mama der Welt!«, nickte mein süßer Papageiensohn und bekräftigte ernsthaft: »Cool!« Da beschloss ich, das einfach mal zu glauben. Schließlich sagen Kinder immer die Wahrheit. Meine jedenfalls!

Tanjas Welt Band 2

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