Читать книгу Manipuliert - Teri Terry - Страница 21
ОглавлениеAn einem herrlichen Sommertag fahren wir durch Schottland. Die Straßen sind leer, jedenfalls ist dort nichts, was sich rührt, und Bobby fährt schnell, viel schneller als erlaubt. Manchmal muss er scharf bremsen und sich um Autos und Lkws herumschlängeln, die an der Straße stehen gelassen wurden, mal mit, mal ohne stumme Insassen. Einmal muss Kai sogar aussteigen, die Leiche vom Fahrersitz schieben und den Wagen zur Seite fahren.
Trotz allem geht es mir so gut wie schon lange nicht mehr. Liegt bestimmt an der Sonne und daran, dass wir die Shetlandinseln immer weiter hinter uns lassen. Auf den Straßenschildern schrumpft die Entfernung nach Glasgow, und je eher wir die Quarantänezone verlassen, desto eher finden wir auch Shay.
Dann tritt Bobby mal wieder voll in die Eisen.
Wow.
Vor uns ist die Straße abgeriegelt, Glasgow liegt ganz in der Nähe. Aber das ist es nicht, was mir den Mund offen stehen lässt. Diese Straßensperre erstreckt sich, so weit das Auge reicht; es ist eher ein Zaun oder ein Schutzwall.
Und hier sieht man endlich auch mal ein paar Menschen. Auf einer Straßenseite stehen Häuser, auf der anderen befindet sich eine eingezäunte Zeltstadt. Menschen schauen hinter einem Maschendrahtzaun hervor, der doppelt so hoch ist wie sie selbst. Oben ist er mit Stacheldraht gesichert. Ihre Gesichter sind unbedeckt, keine Schutzanzüge.
Entlang der Straßensperre und vor den Zäunen sind hingegen Soldaten in Schutzanzügen postiert, die Uniformen sind unverkennbar. Es wimmelt hier vor Militär – mit Waffen.
Einer der Soldaten gibt uns ein Zeichen, stehen zu bleiben. Bobby hält an. »Überlass das Reden mir«, sagt er zu Kai. Dann lässt er das Fenster runter. »Wir sind immun«, sagt er.
»Davon überzeugen wir uns lieber selbst. Raus aus dem Wagen, langsam. Und Hände hoch.«
Als Kai und Bobby aussteigen, richten die Soldaten gleich die Waffen auf sie, Finger am Abzug. Und das gilt nicht nur für die beiden Soldaten am Auto, sondern auch für die anderen, die uns aus der Ferne beobachten.
»Nach links.« Die Soldaten gestikulieren. Die Zeltstadt liegt rechts, links sind Gebäude und so etwas wie eine Raststätte. Davor befinden sich noch mehr Soldaten mit noch mehr Waffen.
»Was soll das hier? Wir sind immun. Im Radio hieß es …«
»Still. Sie werden getestet. Wenn Sie tatsächlich immun sind, haben Sie nichts zu befürchten.«
Kai und Bobby tauschen Blicke, dann laufen sie zu einem Gebäude und treten ein. Es ist tatsächlich eine Raststätte. Doch die Tische und Stühle wurden entfernt, um Platz zu schaffen. Die Essensausgaben sind verrammelt und dahinter befindet sich ein Haufen medizinisches Zeug. Ein paar der Laboranten tragen keinen Schutzanzug, dafür haben sie ein seltsames Mal auf der linken Hand.
An ihrer Seite stehen weitere Wachen in Schutzanzügen, aber sie hängen nicht einfach gelangweilt herum, sondern sind angespannt und schussbereit.
»Setzen«, sagt einer und deutet auf eine Stuhlreihe. Zwei Leute, ein Mann und ein etwa zehnjähriges Mädchen, sitzen bereits dort. Kai und Bobby hocken sich dazu.
Hinter einer Trennwand ertönt ein merkwürdiges dumpfes Klopfen, dann hört man gar nichts mehr. Gedämpftes Gemurmel. Eine Tür geht auf.
Eine Laborantin erscheint. »Nächster!«
Auf Drängen des Vaters erhebt sich das kleine Mädchen völlig verängstigt.
Die Miene der Laborantin hellt sich auf. »Das tut nicht weh, versprochen«, sagt sie. »Du wirst nur gescannt.«
Das Mädchen verschwindet mit der Laborantin hinter der Tür. Kurz darauf brummen und summen irgendwelche Geräte. Wieder dumpfes Klopfen, das einige Minuten anhält. Gedämpfte Stimmen, eine Tür wird auf- und zugemacht.
Die Laborantin kommt zurück. »Nächster!«
Der Mann steht auf. Neugierig schließe ich mich ihm an. »Wonach suchen Sie denn bei Ihren Scans?«, fragt er.
Die Laborantin antwortet nicht. »Machen Sie einfach, was man Ihnen sagt. Die sind hier sehr schießwütig.« In dem Zimmer sind weitere Soldaten, einer richtet die Waffe direkt auf den Mann.
»Legen Sie sich einfach dort auf die Liege. Auf der werden Sie weitertransportiert. Die Maschine ist ein wenig laut. Je ruhiger Sie liegen bleiben, desto schneller ist es vorbei.«
Wie befohlen legt sich der Mann hin. Die Unterlage erwacht zum Leben, befördert ihn in eine Art Röhre. In so ein Ding hat man mich im unterirdischen Labor auch schon mal für irgendwelche Tests gesteckt. Mich hat das wahnsinnig gemacht, auf so kleinem Raum eingepfercht zu sein. Da mussten sie mich festbinden, und als ich immer noch gezappelt habe, haben sie mir was gespritzt, das mich ausgeknockt hat.
Als der Mann in der Röhre verschwindet, sirrt und summt und klopft es laut. Wie befohlen bleibt er ganz ruhig liegen. Hinter einer Trennwand schaue ich der Laborantin über die Schulter. Sie blickt auf einen Bildschirm mit Zahlen und Graphen.
Ich gleite hinter der Trennwand hervor, um mir die Maschine genauer anzusehen, dann schlüpfe ich in die Röhre. Irgendwas daran erinnert mich an den Wurm, dieses riesige metallische Teil aus dem unterirdischen Labor. Mich hat dieses Summen im Wurm magisch angezogen, genauso ergeht es mir jetzt. Aber dieses Ding ist viel kleiner und …
Piep-piep. Piep-piep. Piep-piep …
Ist das ein Alarm?
Die Maschine stoppt und die Liege fährt heraus. Wie aus dem Nichts tauchen zwei Wachen auf, die den Mann packen und wegzerren. Brutal drehen sie ihm die Arme auf den Rücken.
»Moment mal«, sagt die Laborantin. »Die Werte waren viel zu hoch. Vielleicht war das eine Störung im Gerät. Ich möchte ihn noch mal scannen.«
Die Soldaten nehmen keine Notiz von ihr. Der Mann wehrt sich, brüllt. Einer der Soldaten schlägt ihm die Waffe über den Kopf. Blut rinnt dem Mann übers Gesicht, tropft auf den Boden. Da wehrt er sich nicht mehr.
Die Soldaten schleifen ihn aus der Tür und durch den Wartebereich.
»Was machen Sie denn da?«, fragt Bobby und will aufstehen. Sofort ist ein weiterer Soldat zur Stelle und hält Bobby und Kai den Lauf seiner Waffe direkt ins Gesicht. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck.«
Der Mann wird nach draußen bugsiert.
»Wo bringen Sie ihn hin?«, fragt Kai.
»Ruhe!«
Die Tür geht auf, die Laborantin erscheint erneut, diesmal ein wenig bleicher. »Nächster!«
»Du!« Die Waffe ist auf Kai gerichtet, er erhebt sich.
Ich habe Angst um ihn. Hat die Maschine bloß gesponnen, wie die Laborantin vermutet hat? Und wenn es noch mal passiert?
Moment mal. Der Alarm ging los, als ich mich in der Röhre umgesehen habe. Habe ich vielleicht den Alarm ausgelöst?
Mir wird schlecht. Die Wache hat den Mann geschlagen und weggeschleppt. Was werden sie mit ihm machen?
Ich rücke so weit wie möglich von Kai ab, sodass ich aber noch mitbekomme, was vor sich geht. Kai legt sich auf die Liege. Die Maschine surrt und gibt komische Geräusche von sich.
Dann verstummt sie. Ängstlich warte ich auf den Alarm, doch alles bleibt still.
Als Kai durch die Tür kommt, sause ich zu ihm und drücke ihn, auch wenn er es nicht merkt.
»Geh da rein«, sagt die Laborantin und deutet zu einer Tür am anderen Ende des Zimmers.
Ich folge ihm in ein Büro. Dort sitzt eine Frau am Schreibtisch, vor sich einen Computer und Papiere.
»Nimm Platz«, sagt sie und zeigt auf einen Stuhl gegenüber vom Schreibtisch. »Wie heißt du?«
Fast hätte Kai es verpatzt und seinen richtigen Namen genannt, schnell hustet er noch und sagt: »John MacIver.«
»Bist du allein gekommen?«
Kai schüttelt den Kopf. »Nein, mit meinem Onkel. Er war gleich nach mir dran.«
»Gut, dann warten wir noch einen Moment.«
Kurz darauf tritt Bobby ein.
Die Frau stellt Fragen, gibt Namen, Adressen, Geburtsdaten und Beschäftigung in den Computer ein. Kai ist angeblich Schüler. Bobby ist Golfprofi. Das ist mir neu.
»Was passiert nun?«, fragt Bobby. »Dürfen wir die Quarantänezone jetzt verlassen?«
»Es gibt noch eine letzte Phase.« Sie drückt einen Summer am Schreibtisch und eine Tür geht auf. Dahinter stehen zwei Soldaten in Schutzanzügen. »Folgen Sie uns«, sagt einer.
Kai und Bobby werden innerhalb der Raststätte zu einer weiteren Tür geführt, die wohl ursprünglich mal zu einem Zeitungskiosk gehört hat. Man sagt ihnen, dort müssten sie rein, und wenn sie nach vierundzwanzig Stunden noch am Leben seien, dürften sie gehen.
Kaum wird die Tür geöffnet, sausen ein Mädchen und ein Junge darauf zu, aber die Wachen drängen sie zurück. Das Mädchen kenne ich schon aus dem Warteraum.
Die Tür fällt ins Schloss und wird verriegelt.
Die beiden Kinder sind nicht die Einzigen im Raum. Insgesamt sind es bestimmt um die vierzig Leute, Männer, Frauen und Kinder. Manche stehen, andere sitzen, haben die Arme um sich geschlungen, die Gesichter ausdruckslos, die Augen weit aufgerissen. Manche liegen auch am Boden.
»Wo ist unser Daddy?«, fragt das kleine Mädchen. »Er war doch vor euch dran. Warum ist er nicht hier?«
Mit jedem Wort wird ihre Stimme lauter und hysterischer, bis sie am Ende schreit.
Alle schauen voller Angst und Abscheu zu den beiden Kindern hinüber.
»Dein Vater hat wohl den Test nicht bestanden«, sagt eine Frau anklagend. »Er hat nur so getan, als wäre er immun. Doch jetzt haben sie ihn erwischt!«
»Nein, nein, das stimmt nicht!«, antwortet das Mädchen. »Wir sind alle immun! Nur unsere Mummy nicht …« Ihr bricht die Stimme weg. »Daddy ist nicht krank geworden wie Mummy.«
Wütend und verängstigt funkeln die Leute die Kinder an. Bobby fixiert sie so lange, bis sie den Blick senken. »Ihr solltet euch schämen. Das sind doch Kinder!«
Bobby kniet sich vor die beiden. »Tut mir leid, aber wir wissen nicht, wo euer Daddy ist. Soldaten haben ihn abgeführt.«
Eine Frau, die am Boden liegt, schaut lustlos herüber. »Heute Morgen, als ich kam, hat auch jemand den Test nicht bestanden. Den haben sie mit den Toten zum Scheiterhaufen gebracht, gefesselt und ins Feuer geworfen.«
Ungläubig sehe ich die Frau an. Musste sie das sagen? Die Kinder heulen beide und ich möchte mit einstimmen. Ihre Mutter ist schon tot, nun auch noch ihr Vater … war das wirklich meine Schuld?
»Das können die doch nicht machen, bloß weil einer den Test nicht besteht«, meint Kai. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Der hat nur so getan, als wäre er immun. Deshalb haben sie ihn ins Feuer geworfen«, entgegnet die Frau.
»Er war ein Überlebender, muss so sein«, flüstert jemand und krümmt sich vor Schmerzen. »Ich dachte, ich wäre immun, aber da habe ich mich wohl geirrt. Der Mann hat im Warteraum neben mir gesessen. Er hat mich angesteckt.«
Bobby nimmt die weinenden Kinder in den Arm, versucht, sie zu trösten; Kai steht hilflos daneben. Er weiß nicht, was er tun soll. Ich auch nicht.
Neben dem Mann, der sich gerade zu Wort gemeldet hat, gibt es noch weitere Erkrankte, die auf Matratzen am Boden liegen, weinen. Sie haben es.
Unter ihnen ist auch ein Mädchen, das im Sterben liegt. Sie ist vielleicht dreizehn oder vierzehn, etwas älter als ich.
Hi, sage ich.
Ihr fallen gleich die Augen aus dem Kopf, so überrascht ist sie, mich zu sehen. Zum Glück schreit sie nicht los.
»Hi«, raunt sie. Leckt sich über die Lippen, sieht mich verschüchtert an. »Was bist du?«
Ich bin ein Geist. Könntest du meinem Bruder eine Botschaft übermitteln? Ohne dass es die anderen im Raum mitkriegen?
Sie zuckt die Achseln. »Sonst habe ich ja nichts zu tun. Wer ist es denn?«
Kai. Einer von den beiden, die gerade hereingekommen sind. Der Jüngere.
Das Mädchen gestikuliert, bis Kai auf sie aufmerksam wird. Sie winkt ihn zu sich ran. »Kai?«
Er ist erschrocken. »Woher weißt du, wie ich heiße?«
»Deine Schwester hat es mir gesagt. Ich soll dir was ausrichten.«
Kai kniet sich zu ihr. »Wie heißt du?«
»Jody.«
»Hi, Jody.« Er nimmt ihre Hand. »Okay, was will meine Schwester mir denn sagen?«
Sag ihm: Ich finde Shay. Egal, wo sie ist, ich finde sie.
Jody wiederholt meine Worte.
»Danke«, antwortet Kai. »Ich danke euch beiden.«
Jody lässt seine Hand nicht los. »Bleib. Ich habe Angst. Werde ich wie sie enden?« Dabei sieht sie mich an, als wäre das schlimmer als der Tod. Womöglich hat sie recht. Aber sehe ich denn so furchterregend aus?
»Das glaube ich nicht«, sagt Kai. »Meine Schwester ist eine Ausnahme, die einzige, von der ich je gehört habe.«
Da hat er recht. Es gibt nur mich, mich und wieder mich.
»Wenn ich sterbe, sehe ich da meine Mum wieder?«
»Auf jeden Fall, da bin ich ganz sicher«, antwortet Kai.
Das Mädchen nickt und blinzelt. Blut tritt in ihre Augen. Ihr Blick gleitet ins Leere und dann ist sie tot.
Der Nachmittag zieht sich dahin. Ein paarmal geht die Tür auf und entweder werden Neue gebracht oder Namen von Leuten aufgerufen, die es bereits vierundzwanzig Stunden geschafft haben. Leichen wie die von Jody werden abgeholt. Kisten mit Wasser und Nahrungsmitteln werden gebracht.
An der Wand hängt ein Fernseher, in dem in einer Endlosschleife Zeichentrickfilme laufen. Sobald jemand mal auf die Nachrichten umschaltet, ertönt lauter Protest.
Ein Nachrichtensprecher verkündet, dass die neuen Maßnahmen zur Einhaltung der Quarantänezonen erfolgreich seien.
Neue Maßnahmen: Zäune, Wachen, Scans und ein übler Schlag auf den Kopf, wenn der Alarm geht. Und dann? Tod auf dem Scheiterhaufen?
Und schlimmer noch, der Berichterstattung zufolge haben sie nach wie vor keinen Schimmer, was die Krankheit auslöst. Heißt das etwa, dass niemand nach Dr. 1 sucht?
Angeblich sind die neuen Zonen sicher. Die Regierung bildet sich ein, sie könnte die Leute einfach einsperren und warten, bis es vorbei ist.
Aber jetzt bin ich hier. Die täuschen sich.
Wenn es sich über die Quarantänezonen hinweg ausbreitet, strengen sie sich vielleicht mehr an, die Ursachen und auch Dr. 1 zu finden.