Читать книгу Manipuliert - Teri Terry - Страница 9
ОглавлениеBevor ich den Anzug endlich wieder ablegen darf, sperrt man mich in eine hermetisch abgeriegelte Kammer. Das Gefühl von Enge bleibt, auch hier kann ich nicht richtig durchatmen. Eine Wand besteht aus Glas, sehr dickem Glas.
Auf der anderen Seite der Glaswand steht Dr. Morgan mit zwei Männern, nicht denen von vorhin, sondern älteren. Alle drei tragen Uniformen. Von ihrer Unterhaltung verstehe ich nichts.
Ich klopfe an die Scheibe. Erst reden sie noch weiter, doch dann greift Dr. Morgan nach einer Fernbedienung und ich höre sie auf einmal laut und deutlich.
»Hallo, Shay. Tut mir leid wegen der Trennwand. Fühlst du dich wohler ohne diesen Anzug?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ja, schon.«
Dr. Morgan lächelt, aber es wirkt befangen.
»Also, Shay, wir haben ein paar Informationen über dich eingeholt.« In den Händen hält sie ein Tablet. »Du wirst in einem Mordfall gesucht. Und hier steht auch, dass du als immun registriert bist.«
»Ich habe niemanden umgebracht!« In dem Moment wird mir klar, dass das ja nicht stimmt. Sind meinetwegen nicht viele, sehr viele Menschen gestorben? Seufzend verschränke ich die Arme vor der Brust. »Ich habe den Jungen nicht erschossen, wollte ich damit sagen.«
Dr. Morgan nickt. Sie hat ihre Gesichtszüge sorgsam unter Kontrolle, aber ihrer Aura entnehme ich, dass sie mir nicht glaubt.
Nein! Das kann doch nicht wahr sein! Glaubt mir jetzt keiner, wegen dieses abgekarteten Spiels des ASR?
Ich klammere mich an den Tisch, der zwischen mir und der Scheibe steht, und beuge mich vor. »Hören Sie. Sie müssen mir zuhören.«
»Das tun wir ja«, sagt sie.
»Ich hatte die Grippe. Ich dachte, ich muss sterben. Meine Mutter ist gestorben.« Den Schmerz darüber verdränge ich. »Und dann sind wir zurück nach Killin ge…«
»Wir? Du und Kai Tanzer, der ebenfalls gesucht wird, weil er auf mysteriöse Weise aus einer Zelle in Inverness verschwunden ist? Weißt du, wo er sich befindet?«
»Nein. Jedenfalls habe ich einfach behauptet, immun zu sein, so wie Kai. Wir haben im Krankenzelt in Killin ausgeholfen, als dieser schmierige Leutnant vom ASR auftauchte …«
»ASR?«
»Alternatives Spezial-Regiment.«
Dr. Morgan hebt eine Braue. Offenbar hat sie noch nie von dieser Einheit gehört. Wie kann das sein? Auch wenn wir uns auf einem Stützpunkt der Royal Airforce befinden, müsste sie doch davon gehört haben. So getrennt können doch Luft- und Bodenstreitkräfte nicht sein.
»Jedenfalls hat dieser Leutnant, Kirkland-Smith heißt er angeblich, also, der hat behauptet, er wüsste, dass ich eine Überlebende sei. Er sagte, er wolle mich mitnehmen, damit sie die Epidemie untersuchen können, aber das war gelogen. Sie wollten mich umbringen.«
»Woher wusstest du, dass er gelogen hat?«
»Das wusste ich einfach.«
»Verstehe. Dann machen wir mal ein kleines Experiment. Ich erzähle dir zwei Dinge, eines wahr, eines falsch. Du sagst mir, was was ist.«
»Im Ernst? Haben wir nicht Wichtigeres zu tun?«
»Tu mir den Gefallen. Bitte.«
Achselzuckend sehe ich sie an. Wenn ich sie damit überzeugen kann. »Also schön.«
»Gut. Ich heiße mit zweitem Namen Hannah. Ich heiße mit zweitem Namen Helen.« Während sie spricht, konzentriere ich mich auf ihre Aura, die einzigartigen Farbwellen, die sie umgeben und die sich mit ihren Gedanken und Gefühlen wandeln. Als sie Helen sagt, nehme ich silberblaue Wellen wahr, die sich echt anfühlen. Bei Hannah gerät ihre Aura in Aufruhr, Senf- und Grüntöne stören die Einheit. Das ist gelogen.
»Bei Hannah haben Sie gelogen. Sie heißen Helen mit zweitem Namen.«
»Die Chancen standen fifty-fifty«, meint einer der Männer, die bislang geschwiegen hatten. »Versuch’s noch mal«, sagt er und nennt mir zehn potenzielle Zweitnamen für sich selbst.
Ich verdrehe die Augen. »Sie heißen Monteroy mit zweitem Namen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem skurrilen Namen. Können wir jetzt zur Sache kommen?« Er nickt.
»Beeindruckend«, meint Dr. Morgan. »Also schön, nehmen wir an, du wusstest, dass dieser Leutnant lügt. Was ist dann passiert?«
»Ich bin weggelaufen. Die haben auf mich geschossen und mich am Ohr getroffen.«
»So lange ist das ja noch nicht her. Mir ist keine Verletzung an dir aufgefallen.«
»Ich habe mich geheilt.«
»Wirklich?«
»Oh Mann … sehen Sie her.« Ich beiße mir fest auf die Lippe, bis es blutet. Der Schmerz hilft mir, meine Wut im Zaum zu halten und mich zu konzentrieren.
»Sehen Sie? Ich blute.« Und dann schließe ich die Augen und strecke mich nach dem Schmerz aus, tauche nach innen – zu Blut und Gewebe, bis hin zur Ebene der Zellen, Moleküle und Atome. Atome bestehen aus Partikeln, die sich wie Wellen verhalten können, und diese Wellen lassen sich beeinflussen und verändern. Ich heile meine Lippe, wische mir das Blut weg. Die Verletzung ist nicht mehr zu sehen. »Und jetzt hat es aufgehört.«
Dr. Morgan runzelt die Stirn. »Ist das ein Trick oder so?«
»Das ist kein Trick. Als Überlebende kann man das eben.«
In ihre Aura kommt Bewegung. Sie freut sich. Fühlt sie sich durch mich bestätigt?
»Na gut«, sagt sie, »angenommen, du bist eine Überlebende. Was ist jetzt mit dem Jungen, den du erschossen …«
»Ich habe niemanden erschossen! Als ein Soldat des ASR auf mich geschossen hat, hat Duncan mich aus dem Weg gestoßen und mir so das Leben gerettet. Der Soldat hat ihn erschossen.«
»Wirklich?« Dr. Morgan glaubt mir nicht. Wenn sie mir das schon nicht glaubt, wie soll sie mir denn alles andere glauben?
Nach allem, was Kai und ich auf uns genommen haben, nachdem ich ihn sogar verlassen musste, endet es damit, dass mir keiner glaubt? Zweifel schillert aus Dr. Morgans Aura.
Und zu allem Überfluss bin ich müde, hungrig und bei diesen Wortklaubereien packt mich mehr und mehr die Ungeduld. »Jetzt halten Sie endlich den Mund! Sie drei bleiben sitzen und hören mir jetzt einfach nur zu.« Wie eine Peitsche hole ich mit meiner Wut aus und treffe ihre Auren genau dort, wo es um Sprache, Wortbildung, Aufstehen und Tätigkeiten allgemein geht. Ich unterbinde es. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als mir zuzuhören.
Und dann erzähle ich ihnen alles haarklein. Wie das ASR Kai gekidnappt hat, um mich zu schnappen; wie ich ihn befreit habe und wie wir entkommen sind. Dass ich auf die Shetlandinseln gereist bin, um der Ursache der Epidemie auf die Spur zu kommen. Von der Überfahrt auf dem Pestschiff berichte ich. Von Dr. 1 und dem unterirdischen Forschungsinstitut und von seinen Versuchen mit dem Teilchenbeschleuniger, mit dem Quantenteilchen zur biologischen Kriegsführung gewonnen wurden. Die hat Dr. 1 an Menschen getestet. Er hat Menschen damit umgebracht. Und dieser Erreger, diese Teilchen sind nach draußen gelangt und so hat die Epidemie angefangen. Ich ende damit, wann und wo ich überall gewesen bin und wie mir die Krankheit mit einem Tag Verzögerung gefolgt ist. Von Callie sage ich nichts, und auch dass Kai mit auf die Insel gekommen ist, verschweige ich, aber sonst lege ich alle Karten auf den Tisch.
Als ich endlich innehalte, bin ich erschöpft. Zum einen, weil ich alles in Gedanken noch einmal durchgemacht habe, zum anderen, weil ich drei Menschen gleichzeitig kontrollieren musste. Ich gebe sie wieder frei.
»Was hast du mit uns gemacht?«, fragt Dr. Morgan mit großen Augen.
»Sie wollten ja nicht zuhören. Da habe ich Sie gezwungen.«
In ihren Gesichtern spiegelt sich die Angst, da brauche ich gar nicht erst die Auren zu befragen. Die drei stürzen förmlich davon.
Wenigstens haben sie mich ausreden lassen.
Ich friere, bin müde und hungrig und schlinge die Arme um mich. Vielleicht war diese Machtdemonstration unklug. Vielleicht hätte ich meine Fähigkeiten lieber für mich behalten sollen. Aber so war es auch nicht geplant. Ich war so wütend, dass es einfach passiert ist.
Jetzt lässt es sich nicht mehr ändern.
Als ich auf meinem Stuhl schon fast eingenickt bin, kommt jemand. Die Person trägt einen Schutzanzug und tritt durch die doppelte Luftschleuse in meine Kammer.
»Hi, Shay. Ich bin hier, um dir in den Anzug zu helfen.«
»Und dann?«
»Wir fliegen dich nach England, damit du mit den dortigen Experten über die Aberdeen-Grippe beratschlagen kannst.«
Erleichterung durchströmt mich. Haben sie mir zumindest den Teil geglaubt.
Ich steige in den Anzug, den mir der Mann hinhält. Wieder muss ich eine innere Gegenwehr überwinden, am liebsten würde ich ihn davon abhalten, den Anzug zu verschließen.
»Ich stelle jetzt noch die Beatmung ein«, sagt er und macht sich am oberen Teil des Anzugs zu schaffen, bevor er mir das Kopfteil überstülpt. Mein Unwillen, dieses Ding anzuziehen, lenkt mich ab, sodass ich die Täuschung in seiner Aura erst bemerke, als es schon zu spät ist. Im Anzug riecht und schmeckt es komisch. Um mich herum dreht sich alles.
»Was … was … haben Sie gemacht?«, flüstere ich. Die Welt entgleitet mir, ich falle. Und als hätte der Mann damit gerechnet, ist er parat, ich spüre seine Hände durch den Anzug, als er mich auffängt.
Alles wird schwarz.