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2.5.4 Schweigepflicht
ОглавлениеWichtigste Vorschrift zum Schutz der Privatsphäre ist im Bereich der Pflege die Schweigepflicht nach § 203 StGB:
§ 203 StGB
(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
1. Arzt, […] oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2. […]
6. […]
anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) Kein Offenbaren […] liegt vor, wenn die […] genannten Personen Geheimnisse den bei ihnen berufsmäßig tätigen Gehilfen oder den bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen zugänglich machen. […] dürfen fremde Geheimnisse gegenüber sonstigen Personen offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist; das Gleiche gilt für sonstige mitwirkende Personen, wenn diese sich weiterer Personen bedienen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit […] mitwirken.
(5) […] auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.
Es handelt sich hier um eine strafrechtliche Vorschrift zum Schutz des besonderen Vertrauens zwischen Patient und dem Arzt etc. sowie sonstigen Angehörigen eines Heilberufes somit ein fremdes Geheimnis aus dem persönlichen Bereich des zu pflegenden Menschen einem Dritten mitteilt, ohne hierzu berechtigt zu sein, wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe bestraft. Unter diese Strafandrohung fällt jede Weitergabe von Informationen, bei denen der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung hat. Dies gilt für die Untersuchungsbefunde, Dokumentationen und den Schriftwechsel sowie auch nicht-medizinische Angaben wie beispielsweise die wirtschaftlichen oder die familiären Verhältnisse. Selbst der Name des Bewohners oder Patienten bzw. die Tatsache, dass er sich in der Einrichtung aufhält, fällt unter die Schweigepflicht. Diese Verpflichtung trifft auch die berufsmäßigen Helfer des Arztes etc., also auch Pflegepersonal.
Auskünfte über Bewohner oder Patienten, insbesondere über deren Erkrankungen, dürfen aus den obigen Gründen nicht an Polizeibehörden weitergegeben werden.27 Bei der stationären Behandlung im Krankenhaus sind allerdings aufgrund der jeweiligen Meldegesetze der Bundesländer Patientenlisten zu führen, in die gegebenenfalls Einsicht genommen werden kann. Dies gilt allerdings nur für die Personalien.
Es liegt aber keine Strafbarkeit vor, wenn die mitgeteilte Tatsache kein Geheimnis darstellt, weil sie einem weiteren Personenkreis bekannt ist oder es sich um eine Bagatellinformation handelt.28 Die Strafbarkeit fehlt auch in denjenigen Fällen …
• in denen die Mitteilung aus übergeordneten Gründen, beispielsweise bei einer Seuchengefahr, erforderlich ist. Bei Seuchengefahr ist die Weitergabe durch ein spezielles Gesetz, das Infektionsschutzgesetz, gerechtfertigt. Dieses verpflichtet sogar bei bestimmten Erkrankungen, wie Typhus, Tuberkulose, Cholera etc. zur Meldung an die Gesundheitsämter.
• der Patient oder Bewohner der Weitergabe ausdrücklich zustimmt. Der Bewohner oder Patient kann seine Einwilligung zur Weitergabe der Informationen erteilen.
• die Weitergabe von Mitteilungen zum Bewohner oder Patienten durch den Notstand gerechtfertigt ist.
Die Offenbarung von Geheimnissen im Sinne von § 203 StGB kann beim Notstand (§ 34 StGB) oder Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) möglich sein. Die Mitteilung ist dann möglich und sogar notwendig, wenn dadurch Gefahren für Leib, Leben, Freiheit oder Eigentum, insbesondere des Bewohners oder Patienten oder auch Dritter, verhindert werden. Es gilt aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Verletzung der Schweigepflicht muss deshalb ein angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr sein.
Dies gilt auch, wenn die betroffene Pflegekraft sich in einem Straf-oder Zivilprozess verteidigen muss. Mit der Schweigepflicht ist es dem Angehörigen des Heilberufes nicht nur verwehrt, das Geheimnis zu offenbaren, sondern es steht der Pflegekraft als Angehörige dieser Personengruppe auch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Dies bedeutet, dass die Pflegekraft in einem Rechtsstreit die Aussage über die Geheimnisse, die ihr anvertraut worden sind, verweigern darf, sogar verweigern muss. Die Schweigepflicht und damit das Zeugnisverweigerungsrecht als dessen Folge bestehen gemäß § 203 Abs. 5 StGB sogar nach dem Tod des Betroffenen fort. Privatgeheimnisse oder Mitteilungen über Erkrankungen etc. dürfen somit selbst nach dem Tod des gepflegten Menschen Bewohners nicht weitergegeben werden.
Bei minderjährigen Kindern (unterhalb dem 14. Lebensjahr) sind die Eltern als Sorgeberechtigte auch berechtigt, über die Schweigepflicht zu entscheiden. Dies gilt in paradoxer Weise auch in Fällen des Kindesmissbrauchs oder der Misshandlung oder sonstiger unangemessener Pflege, Betreuung, Versorgung etc. Ärzte und Pflegepersonal sind jedoch dazu berechtigt, die Schweigepflicht zum Schutz des Kindes – sofern erforderlich – zu »brechen«. Rechtsgrundlage sind:
• der Notstand nach § 34 StGB und
• die Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB
• sowie § 4 KKG.
Der Notstand stellt einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund29 dar:
§ 34 StGB
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn […], das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Die Gefährdung des Kindewohls stellt gegenüber der Schweigepflicht (»Ehre«) das höhere Rechtsgut und ein angemessenes Mittel dar, so dass die Schweigepflicht dann ignoriert werden darf.
Dem strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund entspricht im Zivilrecht die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), ist somit in derartigen Fällen das Gegenstück des Notstandes. Nach § 677 BGB kann für jemand ein »Geschäft« geführt werden ohne dessen Auftrag, sofern es dessen vermuteten Willen entspricht:
§ 677 BGB
Wer ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein, hat das Geschäft so zu führen, wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert.
Der »Andere« ist bei einer Gefährdung des Kindeswohls das Kind. Selbst gegen den Willen des Betroffenen (also auch der Eltern) kann man bei »öffentlichem Interesse« tätig werden (§ 678 BGB). Wie bereits dargestellt30 ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern entspricht darüber hinaus dem Schutzauftrag des Staates und seiner Institutionen31, weshalb Informationen trotz der Schweigepflicht an Jugendämter, Polizei etc. weitergegeben werden, wenn dies zum Schutz des Kindes erforderlich ist.
Nach § 4 KKG ist es »Angehörigen eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert«, also Pflegefachkräften ausdrücklich gestattet, das Jugendamt zu informieren, sofern gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vorliegen und eine Erörterung mit den Personensorgeberechtigten (also meistens den Eltern) erfolglos oder direkt zum Schutz des Kindes notwendig ist (§ 4 Abs. 3 KKG).
Jugendliche (also ab dem 14. Lebensjahr) entscheiden selbst über die Schweigepflicht.
Eine Schweigepflicht und damit ein Zeugnisverweigerungsrecht bestehen nicht, sofern die jeweilige Pflegekraft nach § 138 StGB zur Strafanzeige verpflichtet ist:
Pikto § 138 StGB
(1) Wer von dem Vorhaben oder der Ausführung
1. einer Vorbereitung eines Angriffskrieges […],
2. eines Hochverrats […],
3. eines Landesverrats oder einer Gefährdung der äußeren Sicherheit […],
4. einer Geld- oder Wertpapierfälschung […] oder einer Fälschung von Vordrucken für Euroschecks oder Euroscheckkarten […],
5. eines Mordes (§ 211) oder Totschlags (§ 212) oder eines Völkermordes (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder eines Kriegsverbrechens (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 des Völkerstrafgesetzbuches),
6. einer Straftat gegen die persönliche Freiheit […] soweit es sich um Verbrechen handelt, der §§ 234, 234a, 239a oder 239b,
7. eines Raubes oder einer räuberischen Erpressung […] oder
8. einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 310, 313, 314 oder 315 Abs. 3, des § 315b Abs. 3 oder der §§ 316a oder 316c
zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde oder dem Bedrohten rechtzeitig Anzeige zu machen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer von dem Vorhaben oder der Ausführung einer Straftat nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch abgewendet werden kann, glaubhaft erfährt und es unterlässt, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
Bei einer Anzeige in den im Gesetz genannten Fällen können Pflegekräfte selbstverständlich nicht wegen Verletzung ihrer Schweigepflicht zur Verantwortung gezogen werden.
Um den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten, sollte folgendes beachtet werden:
• Es sollte die größtmögliche Diskretion gewahrt werden.
• Die Datenerfassung muss auf das erforderliche Maß begrenzt werden.
• Weitergabe und Speicherung von Daten müssen zweckgebunden sein.
• Soweit möglich sollten Daten vor der Weitergabe anonymisiert werden.
Bei der Beachtung dieser Leitlinien wird der Anspruch des zu pflegenden Menschen auf den Schutz seiner Privatsphäre und somit seines Persönlichkeitsrechts erfüllt.
Im Heim und Krankenhaus hat selbstverständlich die Leitungsebene nicht nur die Pflicht, die Privatsphäre der Bewohner bzw. Patienten zu schützen, sondern zusätzlich die Daten der Mitarbeiter.
1 Näheres zur Zwangsbehandlung: ( Kap. CE 08 A 2.7)
2 ( Kap. CE 01 1.3)
3 Vertiefung u. a. bei der Patientenverfügung: ( Kap. CE 06 C 1; Kap. CE 08 B 2, Kinder)
4 Näheres in: ( Kap. CE 11 A 2)
5 BVerfG, Beschl. v. 24.07.2018, Az.: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16
6 BVerfG a. a. O. und BGH, Beschl. v. 20.06. 2012, Az.: XII ZB 99/12, XII ZB 130/12 und XII ZB 99/12
7 Erläuterung »Beweislast« unter: ( Kap. CE 05 A 4.5)
8 Zur medizinrechtlichen Rechtsprechung auch: Kienzle (2017), dort Kapitel 2.5.1.1
9 Genaueres unter: ( Kap. CE 01 1)
10 OLG Celle, NJW 1995, 792
11 Rspr. seit BGHZ 29, 33 = NJW 1959, 811
12 Zur Betreuung und zum Betreuungsverfahren ausführlich: ( Kap. CE 08 A 2.3)
13 Kostorz (2019), S. 71
14 Kostorz (2019), S. 116
15 Unter anderem die (EU-)DSGVO, das BDSG; ( Kap. CE 01 2.5.1)
16 Ausführlich zum Datenschutz unter: ( Kap. CE 01, dort II.5
18 ( Kap. CE 06 A 1.1; Kap. CE 11 A 1)
19 ( Kap. CE 11 A 2)
20 Zur Einwilligung ausführlich in Kapitel CE 05 ( Kap. CE 05 A 1.1)
21 Zur Notwehr ausführlich in Kapitel CE 06, ( Kap. CE 06 A.1, S. 122)
22 dasselbe zum Notstand in diesem Kapitel ( Kap. CE 01 5.4), der Schweigepflicht
23 Dazu zur ausführlichen Darstellung: ( Kap. CE 05 A 1.1; Kap. CE 05 A 2)
24 BGHZ 29, 33 = NJW 1959, 811
25 Siehe ausführlich unter Kapitel CE 01 ( Kap. CE 01 1)
26 Näheres und ergänzend unter CE 05 A ( CE 05 A 4.2)
27 OLG Bremen, MedR 1984, 112
28 Schneider (1990), S. 101
29 Ergänzend dazu in CE 01 ( Kap. CE 01 2.4) und CE 06 A ( Kap. CE 06 A 1.1)
30 Dazu insbesondere Art. 6 GG etc. ( Kap. CE 04 A 5)
31 vgl. dazu § 8a SGB VIII ( Kap. CE 04 A 5.3)