Читать книгу Das Blut der Auserwählten - Thomas Binder - Страница 11

6

Оглавление

Dad hatte die unglaubliche Fähigkeit, Kurt und Paul in zeitlich - mit einer erschreckend mathematischen Genauigkeit – in gerade so gewählten Zeiträumen zu schlagen, dass man es nicht regelmäßig nennen konnte und dass es keinem Nachbarn wirklich auffiel, geschweige denn auffallen wollte.

Es wäre beinahe komisch gewesen, wenn es nicht so abgrundtief abstoßend wäre.

Und er schlug sie nicht etwa, weil sie schlechte Noten hatten oder weil sie mit einem Baseball ein Fenster zerschlugen. Er schlug die Jungs, weil sich einer die Schuhe nicht richtig zugebunden hatte; oder weil einer seinen Scheitel zu mittig gekämmt hatte. Oder aus irgendeinem anderen verfluchten Vorwand, jemand solange zu verdreschen, bis er vor lauter Anstrengung das Pulsieren von Blut in seinen eigenen Händen bemerkte.

Es machte Dad verdammt noch mal großen Spaß, es irgendjemandem endlich einmal richtig zeigen zu können - egal ob derjenige ein Drittel seiner Körpergröße maß (wenn überhaupt), oder nicht.

Krankhafter Sadismus musste in der Familie liegen.

Trotzdem liebten sie ihren Dad. Und sie hassten ihn dafür, aus tiefstem Herzen.

Dad arbeitete nun schon einige Zeit in einem italienischen Nobelrestaurant am anderen Ende der Stadt, was eine tägliche Autofahrt von einer knappen Stunde erforderte. Dies hieß jeden Tag weniger Geld und weniger Nerven für Dad.

Er arbeitete dort als Bodenwischer, Tellerwäscher, Geschirreinräumer, Müllrausträger, oder anders gesagt 'Sklave für alles' – Drecksarbeit, die eben so anfiel. Unglaublich befriedigend! Jeden Tag mehr am Abgrund des resignierten Wahnsinns, der absoluten Erschöpfung.

Das Problem war, Dad fand nichts Anderes. Er konnte nichts Anderes, war zu nichts Komplizierterem fähig. Eine scheinbar angeborene Nervenkrankheit, die aber erst vor wenigen Jahren ausgebrochen war und die seine gesamte Feinmotorik zu einem Lottospiel machte, pendelnd zwischen Ruhephasen und heftigen Schüttelanfällen. Keine Heilmethode. Zu lebensgefährlich und zu komplex - und zu teuer. Viel zu teuer.

Das netteste Wort, dass Dad in diesem Restaurant jeden Arbeitstag zu hören bekam, war: 'Feierabend!', anstatt vielleicht so etwas wie 'Gute Arbeit!' oder 'Danke für deine Hilfe!'. Abgesehen davon war er durch seine regelmäßigen Schüttelanfälle – einer heftigen Impulsentladung der Nerven – zur Lachnummer unter seinen Arbeitskollegen auserkoren.

Tja, wie der Vater, so der Sohn. Paul kam wohl eher nach Mom.

Nun, wie man sich vorstellen kann, waren Dads Aufstiegschancen in so einer Situation endlos variabel – etwa gleich wahrscheinlich, wie Schneeflocken in der Wüste zu entdecken.

Die Worte 'Weihnachtsgeld' oder 'Lohnerhöhung' oder 'höhere Steuerklasse' waren für Kurts Familie ohnehin nicht mehr als geheimnisvolle, bedeutungslose Fremdwörter. Diese Begriffe waren so weit von der Realität entfernt, dass man sie eigentlich nie benutzte, außer vielleicht als eine Begründung dafür, wenn sie sich dieses oder jenes nicht leisten konnten, weil diese Illusionen wie zerbrechliche Wölkchen zerfließen würden, wenn man sie entweihte, ihren Zauber durch zu häufige Erwähnung zerstörte.

Von dem Lohn, der für sie vier nicht einmal ansatzweise ausreichte, konnte er nicht mehr als die Wohnung und gerade noch etwas zu Essen für alle bezahlen. Für alles weitere, wie Kleidung, Schulbücher, Möbel oder Spielsachen brauchten sie schon meist das zusätzliche Geld, das ihre Mutter bei gelegentlichen Putzterminen bei reichen Emporkömmlingen und anschließenden Diebstählen verdiente. Mom tat dies allerdings ebenso für ihren täglichen, kleptomanischen Kick als für das Wohlergehen des Familiensparschweins.

Falls einer ihrer Kunden einmal bemerkte, dass etwas fehlte und wutentbrannt mit der Polizei drohte, hatte Mom immer sehr überzeugende Gegenargumente, welche sie mit diesen allein besprach...

Glücklicherweise warfen diese Termine immer eine überraschend anständige Summe an Geld und Schmuck ab, womit sie sich wenigstens ein wenig besser über Wasser halten konnten. Mom und Dad kamen ja aus dem kommunistischen Osten und die hatte man in Amerika zu dieser Zeit wohl wegen der geographischen und politischen Lage nicht besonders gern, was dazu führte, dass sie auch nicht besonders viel Unterstützung von irgendwelchen Ämtern zu erwarten hatten.

Den Menschen reicht ein kalter Krieg wohl nicht, sie wollen Action, sie wollen Aggression. Und Hass.

Das Blut der Auserwählten

Подняться наверх