Читать книгу Das Blut der Auserwählten - Thomas Binder - Страница 8
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ОглавлениеKurt war mit acht Jahren ein recht mittelmäßiges Kind gewesen. Er war durchschnittlich gut in der Schule, hatte durchschnittlich viele Freunde und 'Feinde' unter seinen gleichaltrigen Schulkollegen, heckte zwischendurch einen Streich aus und benahm sich aber trotzdem die meiste Zeit höflich, wie es ihm von seinen Eltern beigebracht wurde.
Doch als er seinen neunten Geburtstag feierte, passierte etwas. Irgendetwas veränderte sich. Kurt begann, seine Umwelt nicht mehr mit den verschleierten, erstaunten Augen eines Kindes zu sehen, sondern begriff – schrittweise, kontinuierlich mit jedem Tag mehr – die wahre Realität um ihn herum. Er begann, die Fehler in dem perfekten Mosaik zu sehen, als das er sein Leben und die ganze Welt bis jetzt betrachtet hatte. Er verstand, wie normal seine Familie wirklich war, wie unperfekt. Warum dies geschah, verstand er nicht, aber er konnte es nicht aufhalten. Es machte ihn traurig, ein Psychologe hätte es depressiv genannt.
Kurts Vater hatte seit damals einen neuen, schlecht bezahlten Aushilfsjob, seine Mutter war den ganzen Tag - mit gestohlenen Schmerzmitteln vollgepumpt - zuhause und Kurt spielte draußen mit anderen Kindern, die ihn abgrundtief hassten. So normal war also sein Leben.
Eine der vielen unbewussten Dinge, die Kurt schon als Kind registrierte, war, dass er plötzlich nur mehr die Schattenseite aller Menschen sah - was ihrer Meinung nach in ihrem Leben falsch lief und die Wut darüber. So sah sein neues Weltbild aus und es widerte ihn an.
Diese besagten Schulkinder hänselten Kurt in den kommenden Wochen oft. Sie schienen die Veränderung in ihm zu spüren und sie gefiel ihnen überhaupt nicht – sie hatten insgeheim Angst vor Kurt oder verabscheuten ihn ... oder sie machten ihn einfach so aus Spaß nieder. Menschen haben seltsamerweise immer Angst vor Veränderung. Wobei Kurt dann meistens keine andere Wahl hatte, als vor den Schlägern wegzulaufen, was ihm klarerweise enormen Respekt unter seinen Schulkollegen einbrachte (ungefähr soviel wie dem Klassenstreber mit einer 10-Dioptrien Hornbrille, exzessiv durch gefetteten Haaren im Seitenscheitel-Look und orthopädischen Korrekturschuhen).
Er war ein Kind, dass die Bosheit und die Frustration anderer Menschen zwar wahrnahm, aber nie verstand - und schon gar nicht hinterfragte. Möglicherweise war er dafür zu dumm, zumindest aber zu pragmatisch. Er dachte nicht darüber nach, dass es einen Grund dafür geben könnte, und schon gar nicht, was dieser Grund sein konnte. Er glaubte, dass alles gerecht abliefe und jedem außer ihm selbst sowieso alles geschenkt würde, so naiv wie er noch war. Das machte ihn neidisch. Aber er wusste nicht, was er dagegen machen sollte.
Andererseits war Kurt ein Kind, das ein sehr gutes Gespür für die Gedanken und Gefühle anderer hatte. Vielleicht wäre er ein brillanter Psychologe geworden, sogar ein neuer Sigmund Freud, wenn er nur die Chance dazu gehabt hätte; die Zeit, das Geld und den Willen zur Ausbildung. Aber wir wollen nicht abschweifen...
Kurt erfuhr mittlerweile täglich Geringschätzung, Herablassung und Erniedrigung. Seine Mitschüler jagten und verhauten ihn, seine Eltern hatten nichts als Nörgeleien für ihn übrig, seine Lehrer beschwerten sich über seine Noten, die sich dramatisch verschlechterten. Es ging ihm offensichtlich rundum gut!
Natürlich ging dies alles ganz und gar nicht spurlos an Kurt vorbei. Aber wie wohl jedes andere Kind in seinem Alter und seiner Situation dies getan hätte, verdrängte er es. Alles.
Nun, naja, fast alles.
Er war der typische genetisch und psychologisch vorprogrammierte Verlierer, der sich schon so an eine tägliche Abfolge von Enttäuschungen gewöhnt hatte, dass er in seiner infantilen Naivität ein Spiel daraus machte, wie viel Bevormundungen und Zurechtweisungen und Entwürdigungen er am Tag aushalten konnte, bis er kurz vor den Tränen war.
Er war in diesem Spiel der ungeschlagene Champion gewesen. Aber er bekam leider nie eine Medaille...