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ОглавлениеIrgendwo in Europa, 2003
Kurt Powell saß allein auf dem Randstein irgendeiner Straße, in einem Land, in dem er nicht ein Wort der Nationalsprache verstand (geschweige denn das Kauderwelsch, das dessen Einwohner die ganze Zeit daher brabbelten). Nicht, dass ihm das viel ausmachte. Er saß dort, balancierte betrunken eine Flasche Bier in der rechten Hand, stützte sich mit der Linken ab, um nicht umzukippen und dachte über sein Leben nach. So viele Erinnerungen.
Damals war er ein Heiliger gewesen, ein Held. Aber niemand hatte seine Taten zu würdigen gewusst. Niemand hatte ihn verstanden, meistens er selbst nicht. Menschen hatten damals geschrien und geweint, aber er hatte sie verändert. Er hatte ihnen etwas Neues gegeben, das sie allein nie an sich bemerkt hätten.
Die Sonne schien ihm ins verbrauchte, gegerbte Gesicht, der Wind presste sich gegen seinen Körper und wehte ihm die letzten grauen Haarsträhnen in die Augen. Er sah den Leuten auf der Straße zu, wie sie an ihm vorbei schlenderten, wie sich Paare umarmten und küssten, wie Kinder lachten. Er beobachtete sie mit einem Lächeln im Gesicht. Einem neidischen Lächeln.
Er war jetzt 53 Jahre alt und fühlte sich allein. Er hatte sich erst einmal in seinem Leben so einsam gefühlt, wie jetzt. Doch er war oft allein gewesen.
Er musste nachdenken. Über sein Leben, seine Familie, seine Frauen. Er war stark gewesen, hatte mit seiner Arbeit Menschen das Leben gerettet und wurde sogar einmal geliebt. Wirklich geliebt. Bedingungslos.
Wann war sein Leben nur in dieses paranoide Wettrennen gegen sich selbst abgedriftet? Was war der Auslöser für den ganzen Schmerz, den er Menschen zugefügt hatte? Für das ganze Blut an seinen Händen? War es sein eigener Schmerz gewesen, den er von anderen zugefügt bekommen hatte? Er wusste es nicht. Aber er würde es bald herausfinden.
Das Leben war schon seltsam. Alles hatte damals so unscheinbar und einfach angefangen...