Читать книгу Steinige Jagd - Thomas Jütte - Страница 12

Singendes Eis

Оглавление

Es herrschte ein fürchterliches Schneetreiben bei mindestens 20 Grad Minus, als sich zwei vermummte Gestalten frühmorgens zu Fuß auf ihren langen Weg in südwestlicher Richtung machten.

Primäres Ziel der beiden Wanderer war Kittilä. Unbestrittenes Highlight dieses Sechseinhalbtausend-Seelen-Städtchens war ihr Flughafen, der immerhin den Anspruch auf Internationalität erhob.

Der Winter in Finnland ist legendär und lässt jeglichen Spaßfaktor vermissen. Minustemperaturen von über 30 Grad sind der Normalfall, entlocken den abgehärteten Einheimischen aber nur ein warmherziges Lächeln, aber meist erst nach dem zweiten Saunagang.

Begleitet wird die klirrende Kälte von einem unablässigem, eisigen Wind, der schneidend durch Mark, Bein und jeglichem positiven Gedanken fährt. Der Windchill-Effekt tut sein Übriges, um einen restlos um die gute Laune zu bringen.

Ohne Vliesbekleidung und Thermo-Unterwäsche, Thermo-Handschuhe, Winterstiefel und Mütze mit Ohrenschutz hätten unbedarfte Spaziergänger in der finnischen Tundra ein echtes Problem, soweit sich - abgesehen von Menschen mit unbehandelten Psychopathien - überhaupt jemand ins Freie gewagt hätte. Falls doch, wurde das auch meist mit Frostbeulen und Erfrierungen allerhöchster Gradierung an allen denkbaren, kälteexponierten Körperstellen geahndet. Und das war dann nicht unverdient.

Aber Santu und Rooperti waren schließlich keine Anfänger oder unbedarfte Touristen. Im Gegenteil. Sie waren Spezialisten in Sachen Frost, Kälte und Extremwinter. Aufgrund ihrer Arbeit, die genau in die Wintersaison fiel, kannten sie die harten Bedingungen aus dem Effeff und hatten sich natürlich isolationstechnisch bestens vorbereitet.

Nachdem die beiden einsamen Wanderer die Bergwelt hinter sich gelassen hatten, erreichten sie endlich die große Ebene, ihr erstes Etappenziel. Es war die südliche Spitze eines großen, zugefrorenen Sees, von den Einheimischen Inarijärvi, von den Ausländern Inarisee genannt. Dabei handelte es sich um einen 1.000 Quadratkilometer großen, zugefrorenen See mit angeblich über 3.000 kleinen Inseln.

„Genau hier gehen wir rüber. Das spart Zeit", bestimmte Santu Claus fachmännisch, der den See eigentlich nur aus luftiger Höhe kannte, aus dem Rentierschlitten heraus.

In der Tat: Die Passage, der sogenannte Engpass Juutuanvuono im westlichen Teil des riesigen Sees, war gut gewählt.

„Hier bin ich ja fast schon bei mir Zuhause", brummte Rooperti, der ansonsten eher wortkarg hinter ihm her trottete. „Echt ärgerlich.“

Nach zweistündigem Marsch durch das dichte Schneetreiben, durchbrach ein ohrenbetäubendes Scheppern die Nacht. Es hörte sich an, als hämmerte der nordische Gott Thor mit seinem gewaltigen Hammer gegen die Fahrertür eines Caterpillar 797, dem größten Lastwagen der Welt. Erschreckt blickte Santu zu Rooperti, der noch nicht einmal gezuckt hatte.

„Keine Angst, Chef. Das ist das Eis. Es wächst", erklärte Rooperti. Aber das musste er auch wissen. Schließlich kannte er den sechstgrößten Binnensees Europas wie seine Westentasche.

„Da nach unten kein Platz ist, dehnt es sich halt nach oben aus", berichtete er, motiviert durch Santus fragendem Blick. Und irgendwann bräche es dann eben mit lautem Getöse.

Plötzlich, nur kurze Zeit nach dem Scheppern, begann das Eis mit einem klagenden, langgezogenen Ton zu singen. Irritiert schaute Santu wieder zu seinem Knappen. „Grundgütiger, was ist das denn schon wieder?!“

„Das sind die gebrochenen Eisplatten", wusste Rooperti auch hier die Antwort, „Die fangen jetzt an, sich gegeneinander zu verschieben."

Mein Knecht, der Allwissende. Der hat bestimmt einen Nebenjob als Schlaumeier, ärgerte sich Claus ein wenig, wohl mehr über seine eigene Unkenntniss, als über das Allgemeinwissen seines Angestellten. Schade, dass er nicht auch noch allmächtig ist, dann könnte er uns ja gleich in Antimaterie verwandeln und dann zum Ziel teleportieren – wahrscheinlich nicht, ohne mir das vorher auch noch genau zu erklären.

Steinige Jagd

Подняться наверх