Читать книгу Steinige Jagd - Thomas Jütte - Страница 23

Der Taxifahrer

Оглавление

„Taksi?!" Der Chauffeur strahlte sie durch heruntergelassene Scheibe an.

Das Taxi kam ja wie gerufen. Aufmerksam nahmen beide das Gefährt und seinen Fahrer in Augenschein: Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen relativ neu aussehenden "Albea", eine viertürige Limosine, die die italienische Autofirma FIAT speziell für die Türkei produziert hatte. Der Wagen schien kürzlich gewaschen worden zu sein, was für hiesige Verhältnisse schon einen Anflug von Dekadenz hatte. Und sogar die Sitzpolster - wie auch der Fahrzeugführer selbst - machten einen einigermaßen gepflegten, also akzeptablen Eindruck.

„Ünlü Büyüktürk" richtete der Fahrer das Wort an sie, ein etwa 40jähriger Mann mit langen, dunklen Haaren, mächtigem Schnauzbart und dicker Hornbrille.

„Nein, vielen Dank, aber wir möchten gern in Istanbul bleiben", bedankte sich Claus artig.

„Verstehsdü? Das mein Name: Ünlü Büyüktürk aus Üsküdar", entgegnete der Chauffeur noch einmal, freundlich wie geduldig.

"Ach so", antwortete Rooperti leutselig. "Jetzt hüb' ich verstünden…" und erntete von Santu einen Seitenhieb mit dem Ellbogen. Doch Rooperti war nicht zu bremsen: "Güb' mür ein Ü: Pling, pling... - pling..."

Manchmal konnte er seinem Angestellten nicht folgen:

"Pling? Was denn für ein Pling?"

"Ach, schon gut."

"Genau: Gut! Lass uns diesen Wagen nehmen", gab Santu nun endlich grünes Licht: Fahrer und Gefährt waren scheinbar ok und endlich mal ein Einheimischer, den man leidlich verstand, den auch er, Santu Claus, verstand.

Ünlü war die Freundlichkeit in Person: „Steigen in, für good Preis für yü. Große düster Mann mit Taschen hünten. Little fat man mit komisch Cap kommen nach vürn."

Santus latent steigende Sympathiekurve vollzog einen abrupten Richtungswechsel. Little? Fat? Komisch? Cap? Der meint doch nicht mich, oder etwa doch?!? Aber was soll's.

Stimmt: Das Taxi war gewählt, sie konnten den Fahrer verstehen, und man wollte endlich sitzen. Was, sinnierte Claus, will man mehr in diesem von türkischen Heiden annektierten alten Kulturland?

Auf die Frage, welches Hotel der Herr Taxifahrer ihnen denn empfehlen könnte, antwortete dieser nach kurzem und prüfenden Blick auf die zwei: „Verstehsdü, nehme Angel's Palace in Sültanahmet, is altes Teil vün Stadt in Centrum?"

Angel's Palace? Das passte. Herr Bü aus Ü hatte den Blick fürs Wesentliche.

„Okay, da sünn wa dabei. Vielleicht sühen wir dabei noch einige Highlights dieses Städtchens", hoffte Rooperti.

Sahen sie leider nicht.

Die normalerweise 40minütige Fahrt führte sie von der Atatürk-Havalimani-Caddesi auf die mehrspurige Schnellstraße Kennedy-Caddesi, die sich entlang des Marmara-Meeres schlängelte. Auf dem grauen Wasser, so beobachteten sie, schipperten zahlreiche Fähren und Yachten aber auch Tanker und Frachtschiffe scheinbar planlos hin und her.

Auch auf der gut beleuchteten Straße herrschte das blanke Chaos: Der Feierabendverkehr, der pausenlos von 15 Uhr bis Mitternacht ging, erstickte jegliche pünktliche Verabredungen am Abend im Keim.

Zum Verdruss der Autofahrer, aber zur Freude der wie aus dem Nichts auftauchenden Scharen von Schirmverkäufern, hatte ein sintflutartiger Regen eingesetzt.

Der trug in keinster Weise zur Verbesserung der allgemeinen Laune oder gar des Fahrzeugflusses bei. So quälte sich ihr Fahrzeug in einem riesigen, stinkenden Lindwurm, der sich aus zitronengelben Taxen, grauen Minitrucks, schwarzen Kombis und weißlich-grauen Kleinbussen sowie Kolonnen von Lastwagen zusammen setzte.

Claus musste sich innerlich eingestehen, dass ihn die Fahrweise dieses unchristlichen, ehemaligen Steppenvölkchens schon ziemlich beeindruckte.

Die Fahrzeugführer schienen die Ausmaße ihrer Benzinkutschen millimetergenau zu kennen. Über Autoblinker verfügten die Autos nicht, so glaubte er tatsächlich. Dafür über alle Arten von Hupen, Fanfaren und Sirenen.

Jeder Fahrspurwechsel, jedes Überholen und jedes noch so kleinste Manöver wurde mit lautstarker Huperei und hoffnungsvollen Stoßgebeten quittiert oder geahndet. Das Wort Bremsanlage schien, falls es das überhaupt im türkischen Sprachgebrauch gibt, nur von sekundärer oder gar tertiärer Bedeutung zu sein.

Gestattete es die Verkehrslage, herrschte das Motto „Wer bremst, verliert". Dann jagten die scheinbar Wahnsinnigen ihre Blechkarossen im irrwitzigen Tempo über die Caddesis, bis zum nächsten, zwangsläufig folgenden, meist endlosen Stau. Exakt in so einem, in dem sie jetzt steckten.

Schnell begriffen die beiden Fahrgäste die wichtigste der wenigen Verkehrsregeln hierzulande, die da lautete: Es gibt keine Regeln.

Dem Stau nach einer quälend langen Zeit dann doch endlich entronnen, überquerten sie auf der prächtig beleuchteten Galatabrücke das Goldene Horn, die sieben Kilometer lange Bucht, und stießen nach weiteren zig Minuten auf den weltberühmten Taksim-Platz, der aber aufgrund einer Großveranstaltung für private Fahrzeuge gesperrt war.

"Schau nur, Rooperti, dieses fröhliche Volk, diese tolle Stimmung, diese südländische Lebensfreude", begeisterte sich Santu, angesichts der riesigen Masse an Menschen, die sich rund um das "Denkmal der Republik" eingefunden hatten, und die mit Transparenten, Fackeln, Fahnen und Molotow-Cocktails ausgelassen zu feiern schienen.

Viele schwenkten wie wild mit ihren "Mollis" herum, deren Lunten bereits zum Teil brannten, soweit sie nicht von den weißblauen Wasserwerfern der türkischen Ordnungskräfte humorlos mit strammem Strahl gelöscht wurden.

"Verstehsdü, nix Fest, nix friends. Böse people, Reaktionists, wollen Turkish Nation kapüttmachen. All Kommunisten und CIA-Agents from Israel und Amerika. Wollen kill him Präsident, great Führer...", lieferte Ünlü Büyüktürk einen kurzen und objektiven Sachstandsbericht ab, ansatzweise leider ein wenig zu emotional.

Nach diesem kurzen Gefühlsausbruch, wechselt er aber sofort wieder ins joviale Fach, ganz stolzer Istanbuler: "Dü ever seen bigger Cüty?"

Himmel, was für ein Stimmungsumschwung. Das geht bei diesen Brüdern hier aber rasch..., staunte Claus, und antwortete ungewohnt patriotisch aber recht zaghaft... "Ähm, Kittilä ist auch recht groß..."

Nach weiteren 30 schweißtreibenden Minuten, in denen der Fahrer die wenigen vorbeihuschenden Sehenswürdigkeiten herunterrasselte, erreichten sie endlich das Hotel.

Der schnauzbebärtete Langhaarige ließ es sich nicht nehmen, ihnen die volle Funktionsfähigkeit seiner Handbremse zu demonstrieren und schleuderte sein Auto samt Insassen in einer formvollendeten 180-Grad-Punktwende vor das Hotel - genauer gesagt, unsanft gegen den Bordstein am Hotel-Foyer.

"Lieber Gott und lieber Fahrer: Danke, dass wir noch leben dürfen", schickte Claus lauthals ein Stoßgebete gen Himmel sowie in Richtung dieses unglaublichen Ungläubigen.

Rooperti unterließ es bewusst, sich zu bedanken, da er augenblicklich anderweitig zu tun hatte: Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich die ansehnliche Beule, die er sich bei der "Punktlandung" zugezogen hatte, als er mit seinem Schädel das Seitenfenster einer Werkstoffprüfung unterzogen hatte.

Aus der Beule wurde eine blutende Platzwunde, als Santu die Fahrzeugtür ins Schloss werfen wollte und dabei übersah, dass sich sein Knecht gerade aus dem Fahrzeuginnere schälte.

"Autsch-oweh-oweh, wieder auf die gleiche Stelle", heulte der Knecht schmerzerfüllt auf.

"Selbst schuld. Was haust du auch mit dem Kopf gegen die Tür? Jetzt komm' endlich, und mach' nicht immer so Mätzchen."

Mit einem breiten Grinsen unter dem Schnauzbart offerierte die türkische Formel-1-Hoffnung Ünlü Büyüktürk den beiden den zu zahlenden Fahrpreis, der um fast das Doppelte ausfiel, als zuvor ausgemacht.

„Sightseeing küsten Special-Prize", begründete er seinen angeblichen Verstoß gegen die vermeintliche Abmachung.

Von echtem Sightseeing konnte natürlich keine Rede sein. Es sei denn, man verkaufte Staus, Autoabgase und schmuddelige Regenschirmverkäufer, die während des Stopp-and-go-Verkehrs sicherlich gute Geschäfte mit so manchem Autofahrer gemacht hatten, als Sehenswürdigkeiten.

„Mr. Red-Nose mit komisch Cap, jetzt bitte zahlen. Müst driven weiter, verstehsdü? Quick, quick", drückte Ünlü nervös, quasi im Stand, auf die Tube, was man auch als Zwischengas bezeichnen könnte.

Na gut, dachte sich Claus. Die Regenschirmverkäufer hatten sich ja schon gelohnt, und der Stau war auch recht sehenswert. Somit nickte er seinem Knecht zu, der Ünlü den Festpreis samt Zuschlag auf die ausgestreckte Kralle haute.

Mit einem trotz anschwellender Handfläche fröhlichen Eyvallah auf den Lippen, quietschenden Reifen und lautem Hupen raste der türkische Hamilton sogleich von dannen.

Steinige Jagd

Подняться наверх