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Tuvalet

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Links von ihnen stiegen steil die schroffen, graubraunen Berge des Taurus-Gebirges auf, rechts spülte das winterliche graue, unruhige Meer seine hohen Wellen bis fast an die Uferstraße.

Der Dolmus hatte fast die halbe Streck zurückgelegt, als der Karpfen auf einen kleinen, staubigen Parkplatz einbog. Die Rostlaube stoppte neben einer roh zusammengezimmerten Bretterbude, dessen Funktion durch Myriaden von Fliegen nicht näher erklärt werden musste. TUVALET prangte es in großen, krummen und schief hingekritzelten hieroglyphen-gleichen Buchstaben auf der Seitenwand, die trotz abblätternder Farbe immerhin noch gut lesbar waren. Die Bestimmung des Verhaus war eindeutig: Eine Toilette, öffentlicher Bestimmung.

Santus Stirn kräuselte sich in Sorgenfalten, als dieser Ort plötzlich eine eindeutige Reaktion in seinem Innersten auslöste: Hmmm, die Sache könnte jetzt durchaus Geschmäckle bekommen…

Einige der Fahrgäste stiegen eilig aus dem Dolmus aus. Allen voran Claus, bei dem das ständige Fahrzeuggeruckel und das niederfrequente Brummen des Dieselmotors seinen Tribut einforderte. Seine durchgeschüttelten Gedärme flehten aufgrund der auf Hochtouren arbeitenden Darmperistaltik geradezu um Erlösung.

Doch bevor er zum Zuge kam, drängelte sich ein verzweifelt dreinschauender Mitreisender mit zusammengekniffenen Beinen im Gänsemarsch vor und verschwand geschwind im Örtchen. Wobei, man möge verzeihen, „Scheißhaus" in diesem Fall sicherlich die treffendere Bezeichnung gewesen wäre. Diesen Abort als „WC", „Toilette", „Thron" oder „Häusl" zu bezeichnen, wäre in der Sache wohl mehr als unzutreffend.

Keine Frage: Dieser armen Seele musste man einfach aufgrund seines dringenden, wie drängenden Problems Priorität einräumen. Jeder Mitreisender hätte beobachten können, wie dem armen Mann zuvor der Schweiß in wahren Rinnsalen nur so von der mit hektischen, roten Flecken versehenen Stirn heruntergeflossen war.

Kaum war der Vordrängler in dem luftigen Verschlag verschwunden, drangen unbeschreibliche Laute an die Ohren der Wartenden: Ein schon als schmerzhaft zu bezeichnendes Stöhnen, als versuche sich ein Gewichtheber bei den Olympischen Spielen an einem neuen Weltrekord, gefolgt von gurgelnden, schmatzenden Geräuschen, denen sich jeweils ein dumpfes Platschen anschloss, vergleichbar mit einem schweren Medizinball, der aus 2 Metern Höhe in einer großen Pfütze plumpste.

Santus Gesicht wechselte ungewollt die Farbe, wie auch die Gesichter der anderen Wartenden. Brrrr, einfach gruselig. Ich glaub'… ich glaub‘ ich muss schon nicht mehr.

Höflich wie er war, versuchte Santu, nur das gleichmäßige Rauschen der nahen Meeresbrandung aus der gesamten Geräusch-Bandbreite heraus zu filtern. Doch vergeblich: Unbarmherzig frästen sich die unkontrollierten Töne in sein sensibilisiertes Gehirn.

Doch noch schlimmer war, was die Geruchsrezeptoren der Wartenden ertragen mussten. Da kollabierten selbst die ortsansässigen, buntglänzenden Fliegen. Wie von einer unsichtbaren Klatsche getroffen, stürzte das Gros der Insekten reihenweise betäubt - oder gar tot - in ungewöhnlicher Kollektivität in den Matsch.

Kurz bevor sich Claus und seine Mitreisenden kollabierten, verstummten die Geräusche schlagartig. Es folgte ein aus tiefster Seele erleichtertes Stöhnen, dem sich ein leises Geklapper und Geplätscher anschloss. Dann, nach einer kleinen Ewigkeit, öffnete sich quietschend die klapprige Holztür des Verhaus.

Der Protagonist verließ, sichtlich ermattet, die Bude, stockte kurz, um dann die Anwesenden der Reihe nach mit beschämter Miene anzuschauen.

Was jetzt, was erwartet er von uns? Zugabe-Rufe? Doch nichts dergleichen. Mit einem schlecht gelogenen „Konnte leider nicht so richtig…" nickte der Mann entschuldigend allen kurz zu und schwebte förmlich, sichtlich erleichtert, zum Minibus zurück.

Das wurde auch Zeit. Der nächste bitte: ICH! Endlich.

Über einen Teppich bewegungsloser Fliegen und Matsch betrat Claus das Steh-Klo, eine sogenannte „berührungslose Toilette." Das Bild, welches sich ihm bot, ähnelte stilistisch dem Kunstwerk eines entfesselten Joseph-Beuys in seinen wildesten Tagen.

Dem Koma ziemlich nahe ging Claus in Stellung und betete für einen schnellen und reibungslosen Abschluss.


Auf einer Steh-Toilette ist man aus naheliegenden Gründen gut beraten, nicht zu stehen, sondern zu hocken. Aus hygienischen Gründen ist sie der im Okzident gängigen Sitz-Toilette prinzipiell vorzuziehen, da sie weder eine Toilettenbrille noch eine andere, zum Sitzen einladende Möglichkeit hat.

Stattdessen hockt der Proband kontaktlos über einem Loch. Dabei handelt es sich um einen Abfluss, der, mit etwas Glück, an die Kanalisation angeschlossen ist.

Voraussetzung für die reibungslose Nutzung einer Steh-Toilette ist eine normal bis gut trainierte Beinmuskulatur. Für gesunde, sportliche Menschen dürfte das eher unproblematisch sein. Diese können den Fokus ihrer Konzentration auf den Erhalt der Sauberkeit der heruntergelassenen Beinkleider richten.

Was Betroffene mit fortgeschrittenen Knie- oder Hüftproblematiken in diesem Fall machen, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis, war sicherlich auch noch nie Gegenstand entsprechender Studien.

Ungemütliches Gehocke, schoss es Claus durch den Kopf und attestierte dieser flachen Keramik ein „mangelhaft".

Im Gegensatz zur europäischen Sitz-Toilette, auf dem der Nutzer durchschnittlich 10 Minuten tagt - Zeitungsleser weitaus länger -, hält man es in der hockenden Stellung höchstens drei Minuten aus, bevor die Menisken der Kniegelenke zu Brei gedrückt sind oder die Patellasehnen ein Fall für den Knochenchirurgen werden.

Santu, gehandicapt durch seinen unvorteilhaften Bodymaßindex, schaffte kaum die Hocke, und diese noch nicht einmal eine halbe Minute.

Mit einem schmuddeligen Wasserschlauch, der über einen rostigen Wasserhahn an der Seitenwand provisorisch aufgehängt war, beseitigte er nur notdürftig seine - und sicherlich auch die seiner unzähligen Vorgänger - Spuren. Für eine gründlichere Reinigung der Keramik, hätte es schon den fetten Strahl eines C-Rohrs der Berufsfeuerwehr von San-Francisco bedurft.

Klar, dass man sich hier noch nicht einmal die Hände waschen kann. Zumindest seine „unreine“ rechte Hand hätte das nötig gehabt, wir er mit Bedauern feststellte, schlug dann aber schulterzuckend den Weg zum Dolmus ein.

Steinige Jagd

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