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Der Mürrische

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Nach Ünlü Hamiltons fliegendem Start enterte das weihnachtliche Duo die kleine Lobby des Hotels. An der Rezeption saß der Empfangsherr. Ein Mann mit pechschwarzen, öligen Haaren und einer äußerst mürrischen Visage. Das Auffallendste an ihm aber war sein Gesicht, das mit hektisch-roten Flecken übersät war. Der Mann saß auf einem beigefarbenen Kunststoffstuhl im imitierten Baumarktstil und starrte fasziniert auf den Bildschirm eines alten Dell-Computers, dessen direktes Vorgängermodell ein Atari-PC gewesen sein musste.

"Ähm", räusperte sich Santu dezent. Doch nichts geschah. Der Mann schien die neue Kundschaft gar nicht zu bemerken.

Ein klarer Fall für Rooperti, den Experten in Sachen Aufmerksamkeitsdefizite: "Hallo, jemand zuhause?!", bellte er förmlich in Richtung des Angestellten und knallte zur Unterstützung seiner Frage kraftvoll mit der flachen Hand auf die Theke, dass sogar die dort aufgestellte und mit Kupfermünzen gut gefüllte Spendenbox zugunsten der Millî Görüş-Bewegung einige Zentimeter von der Tischplatte abhob.

Auch der Angestellte hob ab, vor Schreck, und fiel fast vom Stuhl. Seine Gesichtsfarbe wechselte ins schockfarbene Weiß, das die roten Flecken im Nu verdrängte. Augenblicklich begann er, nuschelnd und kaum verständlich, einen stammelnden Wortschwall über die beiden neuen Gäste zu ergießen. Selbst ein mit zusätzlicher Blindheit geschlagener Hörgeschädigter hätte erkannt, dass diesem Herumgestotter eine Rechtfertigung zugrunde lag. Wer weiß, wobei sie ihn ertappt hatten. Wer weiß, wer weiß…

Der Mann hatte sich jedoch erstaunlich schnell wieder gefangen, so dass das Check-in-Verfahren letztendlich routiniert-zügig abgewickelt werden konnte: Ausweise raus, Anmeldung ausfüllen und unterschreiben. Dann rückte der Überraschte und nun wieder Mürrische den Zimmerschlüssel heraus.

Über eine Treppe, die schon bessere Zeiten erlebt hatte, und das bereits vor hundert Jahren, gelangten die beide schließlich zu ihrem Appartement, in die Angel's Suite.

Die Suite war sehr speziell eingerichtet. Im Schlafbereich dominierte, zwischen einem dunkelbraunen, auf alt getrimmten Schrank mit Spiegeltüren und einem recht großen, gardinenverhangenen Fenster, ein altertümliches Himmelbett.

Im „Salon" befanden sich eine Sitzgarnitur im osmanischen Biedermeierstil, eine kitschige Kamin-Imitation aus Gips, ein Sideboard, auf der ein, immerhin, moderner LED-Flachbildschirm stand, sowie eine dunkel vertäfelte Miniküche. An der Holzdecke aus braunen Paneelen dominierte ein protziger mehrflammiger Basket-Kristallleuchter aus Messing mit zahlreichen tropfenförmigen Bleikristallsteinchen, allesamt in gleicher Größe. Dieser Kronleuchter war wirklich eine wahre Augenweide - ganz im Gegensatz zu dem bereits partiell verschlissenen Teppich, der - in schmuddeligem hausstaubgrau - den ganzen Boden bedeckte, sah man einmal von den Ecken ab, die sich bereits hochrollten und den Blick auf den ebenfalls grauen Estrich freigaben.

„Chef, ich schau‘ mich mal in der Gegend um. Vielleicht finde ich eine neue Rute", riss Ropperti seinen Boss aus seinen Gedanken.

„Du bist wirklich gestört", murmelte Claus in seinen weißen Bart.

„Wie bitte?"

„Ich sagte: Ich habe dich gehört. Ja, geh' ruhig. Ich gönn' mir derweil ein wohlverdientes Päuschen."

Während Rooperti sich auf die Suche nach einem neuen Schlag-Utensil begab, machte sich Santu in der Suite auf die Suche nach ein angemessenes Plätzchen für ein kleines, wohlverdientes Nickerchen.

Santu Claus ließ sich am Rand des urgemütlich aussehenden Sofas nieder. Eher aus Gewohnheit als aus Langeweile schaltete er den LED-Fernseher an, der von einer Satellitenanlage gespeist wurde.

Mein Gott, was für einen Schrott senden die denn hier? Ist ja schlimmer als bei uns. Reklame und noch einmal Reklame. Und dann noch in diesem Kauderwelsch... Lustlos zappte er sich durch die unzähligen Kanäle.

Urplötzlich war er hellwach. Der Nachrichtensender Samanyolu TV zeigte eine Pressekonferenz der Interpol-Polizei, bei der kurz das Foto des Konterfeis eines Mannes eingespielt wurde. Dieses Gesicht, so war er sich absolut sicher, kannte er. Krampfhaft überlegte Claus, wo er es schon einmal gesehen haben konnte. War das vielleicht im Istanbuler Flughafen? Nein. Oder doch? In Antalya, nein, in Kittilä?! Ja, glaubte er sich zu erinnern: Ein Mann aus dem Menschenpulk, der sich um sie versammelt hatte, als die dicke Minna handgreiflich geworden war. Oder doch nicht? Etwa dieser verkappte CIA-Mensch mit dem Ohrtelefon, der sie durchsucht hatte? Nein, auf keinen Fall… - oder?

Nachdenklich quälte er sich von der Couch hoch und schlurfte zur Minibar, die in der Wandküche eingelassen war. Jetzt war es Zeit für eine kleine Erfrischung. Hinter einer Dose Coca-Cola - Coca-Cola? Kommt üüüberhaupt nicht in Frage! - entdeckte er ein "7-Up". Schon der erste Schluck des eiskalten, zuckersüßen Limonadengetränks ließ ihn den Mann im TV vergessen. "Ahhh, wie das zischt. Das hab' ich mir verdient."

Wann kommt endlich Rooperti zurück? Santu Claus hatte langsam, jetzt, eine gute Stunde später, derart Kohldampf, dass er glatt einen ganzen Elch verspeisen könnte.

Wie auf Kommando klopfte es. Na endlich. Mein feiner Herr Knecht gibt sich endlich die Ehre.

Rooperti, der sichtlich außer Atem war, trat ein. „Na, hat sich der Liftboy gewehrt?", frotzelte Santu.

„Nein Chef, bin nur viel gelaufen - und etwas zu schnell", antwortete er, immer noch schnaufend.

„Und warst du erfolgreich? Hast du welche gefunden?", wollte Santu wissen.

„Erfolgreich? Gefunden? Was gefunden?"

„Na, dein Schlagwerkzeug natürlich, du Unglücksrabe", half ihm Santu auf die Sprünge, „die Weidenruten."

„Ach die. Äh, nein, keine gefunden. Dafür war's einfach zu dunkel. Aber dafür habe ich ein gutes Restaurant entdeckt, mit einer ansprechenden Speisekarte. Die Küche hat auch nach Mitternacht geöffnet. Und die Preise sind auch in Ordnung." Gespannt wartete er auf Santus Reaktion.

„Nun gut, wenn du meinst. Hoffe nur, dass du diesmal nichts verbockst. Dann los jetzt. Ich könnte jetzt sogar deinen Rudolph vertilgen - und zwar roh". Rooperti quittierte diese Geschmacklosigkeit mit einem missbilligenden Blick. Komisch, dachte Santu, ich fand das jetzt humorig...

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