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1.4. Regeln, Normen, Pflichten

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Jedes noch so kleine Kind macht die Erfahrung, dass in der menschlichen Gesellschaft Normen gelten. Eine Gesellschaft ohne Normen ist schwer denkbar. Der Begriff „norma“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Regel, Vorschrift, Maßstab. Normen sind Verbote oder Gebote, also negative oder positive Pflichten. Als solche beschränken sie uns im Gebrauch unserer Freiheiten. Es stellt sich also die Frage, wieso wir uns auf Freiheits-Einschränkungen einlassen (Tugendhat 1993).

Eine erste Antwort lautet: Moralische Normen sind in Geltung, weil der Liebe Gott sie uns geboten hat. Wenn dem aber so ist, was kann dann einen Atheisten oder einen areligiösen Menschen dazu bewegen, sich diesen Normen zu unterwerfen?

Eine zweite Antwort besagt: Wir halten uns an moralische Normen, weil wir sonst bestraft oder geächtet würden. Doch wenn dies der wahre Grund ist, dann müssen wir weiter fragen: Wieso mühen wir uns damit ab, Menschen, die den moralischen Regeln zuwider handeln, zu bestrafen oder zu ächten? Offenbar deshalb, weil wir der allgemeinen Befolgung dieser Normen hohen Wert beimessen. Was ist das für ein Wert?

Es gibt noch eine dritte Antwort: Eine Reihe von Philosophen begründen die moralischen Normen (wie Kant 1785 und 1788) mit der menschlichen Vernunft. Das heißt, sie suchen nach einer logischen Begründung, gegen die kein Widerspruch möglich sein soll (Gewirth 1978, Hösle 1991). Diese Versuche sind aber bislang nicht befriedigend gelungen.

Eine weitere Antwort lautet, dass wir moralische Normen deswegen befolgen, weil ihre allgemeine Befolgung (irgendwie) in unser aller Interesse liegt. Vorsichtiger ausgedrückt: Widerspräche das Regime dieser Normen langfristig unseren Interessen, so hätten sie kaum Bestand (Hoerster 2003).

Gegen diese vierte Antwort könnte jemand einwenden, dass es seinen Interessen noch stärker entgegen käme, wenn die anderen die moralischen Gebote befolgten, er selbst sich aber darüber hinwegsetzen dürfte, wann immer es ihm passte. Dieser Einwand lässt sich jedoch zurückweisen: Wenn wir die Wahl hätten zwischen einer Gesellschaft, in der alle Mitglieder sich konsequent an die moralischen Regeln halten, und einer Gesellschaft, in der einzelne Mitglieder (oder alle) das Recht haben, sich über die Regeln hinwegzusetzen, so zögen wir die erste Gesellschaft vor. Sie käme unseren Interessen stärker entgegen. In der anderen Gesellschaft lehnten wir uns dagegen auf, dass einige Mitglieder uns nach Belieben belügen, betrügen, demütigen, foltern oder gar töten dürften. Wir würden uns vor diesen Mitgliedern mit allen Mitteln zu schützen versuchen oder uns am Ende sogar dasselbe Verhalten angewöhnen – das Leben wäre ungemütlich und gefährlich. – Wir ziehen es deshalb vor, in einer Gesellschaft zu leben, in der alle Mitglieder, ohne Ausnahme, sich an moralische Normen halten. Ein friedliches Zusammenleben ist offenbar nur möglich, wenn wir uns auf die Geltung und Verbindlichkeit gewisser Normen verlassen können.

Moralische Normen sind also – so lässt sich vorläufig sagen – wechselseitige Verhaltenserwartungen, die die Mitglieder einer Gesellschaft ineinander setzen. Normen stehen für Verbindlichkeiten, für Pflichten, und moralisch sind diese Normen dann, wenn sie für das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft eine essenzielle Bedeutung haben (Birnbacher 2003).

Kasten 1.3.: Nicht alle Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs gehören zur Moral

Juristische Normen z.B. sind, anders als moralische, in Gesetzbüchern festgelegt, und ihre Geltung ist zeitlich wie räumlich (territorial) limitiert. Sie treten zu einem bestimmten Datum in Kraft, und ihre Geltung erlischt wieder zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie gelten zudem in der Regel nur für Bürger/innen eines bestimmten Landes bzw. für Personen, die sich dort aufhalten. Natürlich entspricht nicht jedem juristischen Gesetz ein moralisches: Beim Straßenverkehrsgesetz z.B. stehen Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Vordergrund. Diese ähneln sich zwar überall auf der Welt. Allerdings gibt es länderspezifische Abweichungen: In Großbritannien wird links, auf dem europäischen Festland rechts gefahren. Auf dem europäischen Festland wurde in den letzten zwanzig Jahren die Regel, dass Vortritt hat, wer von rechts kommt, mancherorts durch die Einführung von Verkehrskreiseln an Straßenkreuzungen ersetzt.

Schließlich gibt es Regeln des Brauchtums, deren Nichtbeachtung keine gesetzlich geregelten Konsequenzen nach sich zieht und deren Grad an Verbindlichkeit entsprechend gering ist. Wenn jemand mit beflecktem Hemd an einem Empfang teilnimmt, ist das peinlich, aber kein rechtliches oder moralisches Vergehen.

In diesem Bereich gibt es ebenfalls landes- bzw. gesellschaftsspezifische Unterschiede: Zum Begrüssungszeremoniell gehört bei den Amerikanern die Umarmung und bei enger Vertrautheit der Kuss, bei den Franzosen und Schweizern ist es genau umgekehrt, in Brasilien küsst man sich zweimal, unter Unverheirateten dreimal; in Lesotho wiederum wird ein dreifacher Händedruck erwartet…

Handbuch Ethik für Pädagogen

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