Читать книгу Handbuch Ethik für Pädagogen - Thomas Kesselring - Страница 23
2.1.2. Willens- und Entscheidungsfreiheit
ОглавлениеDie menschliche Freiheit erschöpft sich nicht in der Freiheit des Handelns. Auf der Ebene des Willens und der Entscheidung stellt sich die Freiheitsfrage noch einmal (Bieri 2001). Dabei kommt ihr zunächst eine ganz praktische Bedeutung zu: Wer Drogen konsumiert, hat, solange er nicht süchtig ist, die Freiheit, sich gegen den weiteren Drogenkonsum zu entscheiden. Doch im Gegensatz zur Handlungsfreiheit, die von niemandem ernsthaft bestritten wird, gibt es seit Jahrhunderten einen Streit über die Willens- und Entscheidungsfreiheit. Der eigentliche Knackpunkt dieser Frage besteht darin, ob und wie es möglich ist, dass wir uns in manchen Situationen frei zu etwas entscheiden, obwohl doch Naturgesetze alle Ereignisse im Universum kausal (nach Ursache-Wirkung) bestimmen. Bin ich (um im vorigen Beispiel zu bleiben) wirklich frei in meiner Entscheidung, wenn ich mich für den Verzicht auf Kokainkonsum entschließe? Oder ist eine solche Freiheit gar nicht vorhanden, weil ich durch die genossene Erziehung so geworden bin, dass ich mich gar nicht anders entscheiden könnte? Und selbst wenn nicht: Kann man daraus, dass alle Gehirnprozesse – auch diejenigen, die meinen Entschluss zum Verzicht auf Drogenkonsum begleiten – bestimmte physiologische und neuronale Prozesse zur Basis haben (die nach physikalischen und chemischen Gesetzen ablaufen), auf die Unfreiheit meines Willens schließen?
Unabhängig davon, wie man diese Frage entscheidet – unser Rechtswesen und die Moral funktionieren nur unter der Voraussetzung, dass wir einander gegenseitig unterstellen, wenigstens ab und zu und wenigstens bis zu einem gewissen Grad freie Entscheidungen treffen zu können. Wir reagieren beispielsweise auf ein rücksichtsloses Verbrechen nur dann entrüstet, wenn wir davon ausgehen, dass der Täter sich anders hätte entscheiden können.