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2.1.4. Die Bedeutung der Freiheit für die Ethik

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Würden Menschen wie Apparate funktionieren, nämlich rein mechanisch und allein aufgrund von äußeren Anstößen, so gäbe es keine Moral, auch keine moralische Missbilligung von Fehlverhalten, denn es wäre sinnlos, Kriterien für richtiges Verhalten aufzustellen, und damit gäbe es auch kein Fehlverhalten. Deswegen wäre es auch sinnlos, sich über menschliche Handlungen zu empören, denn wir wären ja gar nicht in der Lage, anders zu handeln, als wie wir es tun. Wir empören uns auch nicht über einen Vulkanausbruch, selbst wenn er noch so viele Opfer fordert.

Moral und Recht setzen also zumindest Handlungsfreiheit voraus. Wie steht es mit der Willensfreiheit? Wir unterstellen uns gegenseitig, dass wir, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, zurechnungsfähig sind, und das heißt: dass wir in der Lage sind, Überlegungen anzustellen und Entscheidungen zu treffen. Dies lässt sich klar an einer Reihe von Beispielen zeigen:

• Wenn jemand, wie im Beispiel der Berliner Mauerschützen, aus purem Gehorsam oder unter Androhung von Gewalt handelt, setzen wir einen geringeren Grad an Freiheit voraus, obwohl es in dieser Situation stets die Möglichkeit gibt, den Gehorsam zu verweigern; dabei ist allerdings häufig unklar, ob die Folgen, die ein Befehlsverweigerer dafür in Kauf nehmen müsste, zumutbar sind. Die an der einstigen DDR-Grenze stationierten Wächter, die auf Flüchtende geschossen haben, wurden verurteilt, weil sie sich dem Schießbefehl hätten widersetzen können.

• Vorsätzlicher Mord wird schwerer bestraft als Mord aus Affekt – denn unter dem Einfluss starker Affekte ist die Entscheidungsfähigkeit getrübt.

• Wenn mir nach einem Unfall jemand Erste Hilfe leistet und gar das Leben rettet, so reicht meine Dankbarkeit tiefer, wenn er dies spontan und freiwillig tut, als wenn der Rettungseinsatz zu seinem Pflichtenheft gehört und er entsprechend entschädigt wird.

Menschliche Denkprozesse vollziehen sich stets auf der Grundlage von Freiheit. Freiheit ist aber auch eine Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt moralische Normen und juristische Gesetze benötigen, um unser Zusammenleben zu regeln. Diese Normen und Gesetze üben jedoch, anders als etwa das Gesetz der Schwerkraft, keinen kausalen Einfluss auf unseren Willen aus: Wir sind frei, uns gegen ihre Befolgung zu entscheiden. Die Übertretung einer Norm geschieht also in der Regel aufgrund eines Entschlusses – es sei denn, der Täter kenne die Norm nicht oder handle wie ein Getriebener.

Wir reagieren auf eigene und fremde Verfehlungen nur dann mit Schuldbewusstsein, Groll oder Empörung, wenn wir beim Täter das Vorliegen von Handlungs- und Entscheidungsfreiheit annehmen. Diese gefühlsmäßigen moralischen Reaktionen setzen im Übrigen ebenfalls Freiheit voraus – aus dem einfachen Grund, weil jede moralische Reaktion auf der Fähigkeit aufbaut, menschliches Handeln zu bewerten.

Handbuch Ethik für Pädagogen

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