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2.1.3. Negative und positive Freiheit

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Um zu verstehen, was Freiheit bedeutet, muss man sich noch auf eine weitere Unterscheidung einlassen: Freiheit hat neben ihrer negativen Bedeutung von „nicht gehindert“, bzw. „frei von Einschränkungen“ sein, auch einen positiven Sinn. Denn dafür, dass ich eine Beschäftigung, die ich gerne ausüben möchte, nicht ausüben kann, gibt es manchmal noch andere Gründe als den, dass ich an meinem Tun gehindert werde: Ich kann z.B. nicht zum Jupiter reisen, so gerne ich dies vielleicht möchte, weil wir über keine Technik verfügen, die eine solche Reise erlauben würde. Und ich kann mich nicht auf Chinesisch verständigen, so sehr ich dies vielleicht bedauere, weil ich nie Chinesisch gelernt habe. Indem ich einen Intensivkurs in Chinesisch belege, gewinne ich neue Freiheiten, ich kann dann nach China reisen und mich dort mit Menschen verständigen, die keine europäische Sprache sprechen.

Indem wir uns bilden und ausbilden, erweitern wir unsere Freiheitsspielräume. Wir erweitern sie auch, indem wir unseren Körper trainieren, ein Musikinstrument erlernen, unsere Fertigkeiten und Fähigkeiten schulen. Das gilt für die komplexesten Fähigkeiten so gut wie für die elementarsten. Ein Europäer, der im Urwald wie das Mitglied eines indigenen Stammes überleben möchte, muss u.a. lernen, wie man aus pflanzlichem Material einen Wasserbehälter herstellt, um Wasser schöpfen und transportieren zu können.

Die Erweiterung unserer Freiheitsspielräume durch Bildung und Ausbildung wirft Fragen auf, die für die Geisteswissenschaften von der Pädagogik bis zu den Wirtschaftwissenschaften besonders wesentlich sind (Sen 2000). – Diese Fragen sind Thema des korrespondierenden Kapitels im zweiten Teil (Kapitel II. 2.).

Tabelle 2.1: Vier Typen von Freiheit:

Handlungsfreiheit Willens-/Entscheidungsfreiheit
Negative Freiheit Wir sind in unserem Handeln (negativ) frei, wenn uns nichts daran hindert, zu tun, was wir tun wollen. Als Hindernisse kommen soziale, politische und juristische Umstände (Gesetze, Verbote, Verpflichtungen) ebenso in Frage wie materielle, d.h. physikalische oder auch ökonomische, Umstände – etwa Naturgegebenheiten und -Gesetze, gesundheitliche Probleme, wirtschaftliche Engpässe usw. Wir sind in unserem Wollen (negativ) frei, wenn uns nichts daran hindert, diejenigen Entscheidungen zu treffen, die wir treffen wollen. Als Hindernisse können einerseits soziale bzw. politische Umstände und andererseits die eigene psychologische Verfassung wirken. Fremdbestimmt handelt, wer zu einer bestimmten Aktion gezwungen, einer Gehirnwäsche unterzogen oder manipuliert wird; ferner wer von einer Sucht abhängt oder an einer schweren Neurose oder Psychose leidet.
Positive Freiheit Wir sind in unserem Handeln (positiv) um so freier: a) über je mehr Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten wir verfügen (wer die arabische Sprache beherrscht, kann sich in arabischen Ländern freier bewegen, als wer sie nicht beherrscht); b) zu je mehr Ressourcen und/oder Dienstleistungen (inklusive Infrastruktur) wir Zugang haben. Wir sind in unserem Wollen/unseren Entscheidungen (positiv) um so freier: a) je geeigneter unsere kognitive Fähigkeiten sind: Konsequenz im Denken, kritische Selbsterkenntnis, Entschlusskraft usw.; b) je besser wir in der Lage sind, uns zu beherrschen, unsere Gefühle zu regulieren, mit Enttäuschungen und Frustrationen fertig zu werden usw.; c) über je mehr Initiativkraft und Phantasie wir verfügen.

Eine intellektuelle Fähigkeit von besonderer Bedeutung ist die Entscheidungsfähigkeit: Richtig entscheiden zu können, will gelernt sein. Soll ich es wagen, den Lehrberuf zu ergreifen, Aktien zu kaufen, in den Grand Canyon abzusteigen? – Wir müssen lernen, unsere Entscheidungen auf gute Gründe zu stützen, und dazu gehört, dass wir die Konsequenzen und die wahrscheinlichen Folgen, die die Ausführung unserer Entscheidung nach sich zieht, realistisch einschätzen und gegen die Folgen der entsprechenden Unterlassung abwägen. Und wir müssen lernen, den Mut zur Entscheidung aufzubringen, wohl wissend, dass wir uns mit jedem Entschluss die übrigen Optionen abschneiden, unsere Freiheitsspielräume also redimensionieren…

Handbuch Ethik für Pädagogen

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