Читать книгу Handbuch Ethik für Pädagogen - Thomas Kesselring - Страница 18

1.9. Gibt es moralische Sanktionen?

Оглавление

Zum juristischen Recht gehören Strafen wie der Schatten zum Relief. Ohne Sanktionssystem käme es zu einer Erosion der Gesetze. Denn eines der stärksten Motive, weshalb wir uns an Gesetze und Vorschriften halten, ist der Wunsch, Strafe zu vermeiden.

Gibt es in der Moral ebenfalls Sanktionen? Die Moral hat es ja ebenfalls mit Geboten und Verboten zu tun. – Polizei, Gerichte und Strafvollzug gehören aber zum Rechtssystem, nicht zur Moral. Bei moralisch relevantem Fehlverhalten, das nicht zugleich auch ein juristisches Vergehen ist, reicht der Arm der Justiz nicht weit genug, um es zu bestrafen. Man kann z.B. in den meisten Ländern andere demütigen oder Mobbing betreiben, ohne gegen ein juristisches Gesetz zu verstoßen.

Analysieren wir jedoch unsere Umgangsformen näher, so stoßen wir auf soziale Praktiken, die sich als eine Art moralischer Sanktionen deuten lassen. Obwohl unauffällig, sind diese Sanktionen oft erstaunlich wirksam. Im Kern handelt es sich um besondere emotionale Reaktionen. Diese signalisieren den Betroffenen, dass sie ein moralisches Gebot übertreten haben. Es gibt drei klassische Formen solcher Reaktionen (Tabelle 1.5).

Diese emotionalen Reaktionen werden oft von weiteren Sanktionen begleitet. Der Fächer reicht von Tadel und Kritik bis zum Aufkündigen der Beziehung. Man will mit der fehlbaren Person nichts mehr zu tun haben oder geht zumindest vorübergehend zu ihr auf Distanz. Eine kollektive Reaktion ist die Ächtung und in ihrer extremsten Form der Ausschluss der fehlbaren Person aus der Gemeinschaft. In manchen archaischen Gesellschaften beispielsweise wird der Kontakt zu einem Mörder abgebrochen, indem man ihn verbannt, wenn man ihn nicht sogar tötet.

Tabelle 1.5.: Moralische Sanktionen

Moralische Emotionen Situation
Schuldgefühl, Schuldbewusstsein (evtl. auch Scham) Reaktion auf eigenes moralisches Fehlverhalten (ich mache mir Vorwürfe…)
Groll, Übelnehmen, Ressentiment, auf den anderen „sauer“ sein Reaktion auf moralisches Fehlverhalten der zweiten Person (ich bin dir böse…)
Empörung, Entrüstung Reaktion auf moralisches Fehlverhalten einer dritten Person (ich verurteile ihn/sie moralisch)

Schuldgefühle sind in unserer ethischen Sozialisation von erheblicher Bedeutung. Menschen, die niemals Schuldgefühle empfinden können, sind selten. Wohl noch seltener sind Personen, die sich über nichts empören. Das Fehlen jeglicher moralischen Sensibilität ist eine Ausnahme und gilt als abnormal. Man muss aber davon ausgehen, dass solche Menschen existieren und dass sie zu erhöhter Rücksichtslosigkeit neigen (Kapitel II. 4.5).

Wie weit aber reichen in der Moral diese emotionalen Sanktionen? Gibt es nicht auch Bereiche, in denen Entrüstung, Ressentiments und Schuldgefühle funktionslos sind? In der Tat, nämlich dort, wo keine Rechte und Normen auf dem Spiele stehen – in der Tugend-Ethik (vgl. Kapitel 3.)

Handbuch Ethik für Pädagogen

Подняться наверх