Читать книгу Handbuch Ethik für Pädagogen - Thomas Kesselring - Страница 9
I. 1. Ethik – was ist das?
Оглавление„Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren“, lautet Artikel 1 der Menschenrechtserklärung. In diesem Satz stehen viele für die Ethik zentrale Begriffe: „frei“, „gleich“, „Würde“, „Rechte“… Diese Wörter sind uns aus der Umgangssprache alle vertraut. Mit „Würde“ assoziieren wir etwa, dass wir uns, wenn wir bei der Morgentoilette in den Spiegel blicken, in die Augen schauen können – und dass auch die anderen uns in die Augen schauen können und wir ihnen.
Doch wovon hängt die Würde einer Person ab? Von ihren Leistungen? Vom Einkommen? Von ihrer Stellung? Ihrem Bekanntheitsgrad? – Nein, denn alle Menschen, reiche wie arme, mächtige wie machtlose, sind, wie Artikel 1 der Menschenrechtserklärung betont, an Würde gleich geboren (vgl. Kapitel 11). Die menschliche Würde ist eine spezifisch moralische Eigenschaft und als solche von den Erfolgen und Misserfolgen unseres zivilen und beruflichen Lebens völlig oder doch weitgehend unabhängig.
Würde hat viel mit der Anerkennung durch andere zu tun: Soziale Anerkennung gibt uns das Gefühl, der Achtung durch andere würdig zu sein, und umgekehrt sichert uns unsere Würde die Anerkennung der anderen. – Sind aber wirklich alle Menschen einander an Würde gleich? Es fällt schwer, einem Menschenverächter, der die Rechte der anderen mit Füßen tritt, gleich viel Anerkennung entgegen zu bringen wie einer Wohltäterin. Jemand mag ein vorzüglicher Pianist, ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein erfahrener Alpinist sein; wenn er im Alltag seine Mitmenschen terrorisiert, so fällt auf seine Menschenwürde ein Schatten. Und doch ist auch solchen Menschen gegenüber wenigstens ein Minimum an Achtung geboten.
Gibt es auch würdelose Menschen? – Ja und nein. Ja, denn es erscheint unmöglich, einem Massenmörder Würde zuzuschreiben. Nein, denn auch ein Mörder ist einmal ein Kind und schuldlos gewesen, und es ist nicht ausgemacht, ob er allein für seine kriminelle Laufbahn verantwortlich ist. Es gibt und gab mächtige Menschen, die ihre Würde verspielt haben – Hitler, Stalin, Pol Pot… Und es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Verdienste für ein Land, eine Ethnie oder die Menschheit insgesamt volkstümlich geworden sind und deren Würde geradezu makellos erscheint – Albert Schweitzer, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela…
Würde und Achtung sind zentrale Begriffe der Ethik. Die Würde gründet letztlich im moralischen Verhalten einer Person, und wir achten eine Person aufgrund ihrer Würde. Die Klärung dessen, was dies genauer bedeutet, ist Thema der ersten vier Kapitel. Vorweg sollen nun einige ethische Grundbegriffe eingeführt werden.