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Durst

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Als mein Vater eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, hörte ich ihn zu meiner Mutter sagen, dass mein Kopf eine immer schiefere Haltung annähme. Er wies daraufhin meine Mutter an, den Hausarzt erneut zu konsultieren. Dieser stellte fest, dass meine rechte Halssehne verkürzt war. Es handele sich hierbei um einen Geburtsfehler, der operativ behoben werden müsse. Kurz darauf begab sich meine Mutter mit mir in ein Krankenhaus, in dem die rechte Sehne unter Narkose gestreckt wurde. Da die Operation ambulant durchgeführt wurde, konnte ich noch am gleichen Tag nach Hause entlassen werden. Der Taxifahrer half meiner Mutter, mich in mein Kinderzimmer zu bringen, wo mich meine Mutter letztendlich ins Bett brachte.

Stunden waren vergangen, als ich zum ersten Mal erwachte. Noch immer verspürte ich die Nebenwirkungen der Narkose. Ein Durstgefühl breitete sich in mir aus, und ich rief nach meiner Mutter. Als ich meinen Hals zu ertasten versuchte, bemerkte ich, dass man mir einen großen und schweren Gipsverband umgelegt hatte, der meinen Kopf so gut wie möglich in der neuen Haltung fixieren sollte.

Kurze Zeit später erschien meine Mutter mit einem Glas Wasser an meinem Bett und erwartete, dass ich mich eigenständig aufsetzte. Das gelang mir jedoch aufgrund der unsäglichen Schmerzen nicht. Auch war ich noch immer sehr geschwächt. Darüber hinaus wirkte die massige Gipsmanschette wie ein bleiernes Gewicht, das mich immer wieder ins Bett zurückdrückte. Es gelang mir einfach nicht, mich alleine aufzurichten. Hilfesuchend sah ich meine Mutter an. Doch sie wirkte vollkommen versteinert und abgrundtief verbittert. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen meinte sie nur kaltherzig: „Nun, wenn du dich nicht selbst im Bett aufsetzen kannst, bekommst du auch nichts zu trinken und zu essen!“ Mit dem Glas Wasser in der Hand verließ sie das Kinderzimmer. Ich lag in meinem Bett und hatte schrecklichen Durst und Hunger. Irgendwann schwanden mir die Sinne und ich fiel in einen tiefen Schlaf.

Es war das Läuten der Türglocke, das mich erneut aus dem Schlaf riss. Mein Vater war um 17 Uhr von seiner Arbeit nach Hause gekehrt. Als er ins Kinderzimmer trat, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, bat ich ihn um einen Schluck Wasser und etwas zu essen. Es war wiederum mein Vater, der mir schließlich zu Hilfe kam. Obwohl das Trinken nach einer Narkose äußerst wichtig ist, hatte meine Mutter es mir über mehrere Stunden hinweg verweigert und mir auch nichts zu essen gebracht. Ich hatte so starken Durst, dass mein Vater mir ein weiteres großes Glas Wasser bringen musste. Endlich, nach über acht Stunden des unsäglichen Wartens auf einen Schluck Wasser und ein wenig Nahrung, konnte ich mich wieder zurücklegen und weiterschlafen.

Auch am nächsten Tag bekam ich nichts zu trinken und zu essen und musste den ganzen Tag ohne einen Schluck Wasser und ohne Nahrung im Bett zubringen, denn ich konnte mich immer noch nicht alleine aufrichten. Was blieb mir anderes übrig, als zu schlafen? Solange ich schlief, bemerkte ich den Schmerz nicht und fühlte keinen Durst und Hunger. Ich musste erneut warten, bis mein Vater von der Arbeit nach Hause kam und mir nach über neun Stunden, endlich etwas zu trinken und zu essen gab.

Leider war eine weitere Operation notwendig, nach der sich meine Mutter seltsamerweise kurze Zeit anders verhielt und mir beim Essen und Trinken half. Allerdings war das nicht von Dauer und sie verfiel bald wieder in ihr altes Muster von abgrundtiefem Hass und Jähzorn.

Als ich später zum Einschulungstest musste, wurde es für meine Mutter peinlich. Zwar staunte der verantwortliche Schularzt nicht schlecht, dass ich in der Lage war, komplizierte Wörter zu verstehen und manche Rechenaufgaben gut lösen zu können. Dennoch wurde ich für ein weiteres Jahr vom Unterricht zurückgestellt, da mein Gesundheitszustand als mehr als bedenklich beurteilt wurde. Nach Meinung des Arztes sei ich körperlich nicht in der Lage, den Anforderungen des Schulalltags standzuhalten. Ich blickte meiner Mutter ins Gesicht. Sie verstand nur allzu gut, was mein Blick bedeutete und wirkte mehr als verlegen. Trotzdem änderte sich nichts.

Alle diese Geschichten aus meiner Kindheit zeigen, wie sehr ich mich nach Liebe, Annahme, Geborgenheit und Fürsorge sehnte, was für jedes Kind selbstverständlich ist. Die Kapitel über Hunger, Lebensarmut und Durst stehen sinnbildlich auch dafür, wie sich meine Seele entwickelte und wodurch ich ein so stark Suchender wurde. So mag jede Leserin und jeder Leser eine eigene Geschichte haben, die zu Lebensdurst und Lebenshunger führte, und jede bzw. jeder hat versucht, dies auf die eigene Weise zu stillen. Für uns alle bleibt die Frage, worin und wodurch man wirklich lebenssatt werden kann.

Der Weg eines Erzdruiden

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