Читать книгу Der Weg eines Erzdruiden - Thomas Nawroth - Страница 14
Schule und Schläge
ОглавлениеIm darauffolgenden Sommer wurde ich dann endlich in der katholischen Grundschule eingeschult. Dadurch konnte ich zumindest für ein paar Stunden dem Einflussbereich meiner streitenden Familie entfliehen, vor allem dem Jähzorn meiner hasserfüllten Mutter. Obwohl ich weiterhin körperlich nicht besonders leistungsfähig war, absolvierte ich alle vier Grundschuljahre mit relativ guten Noten. Als es jedoch darum ging, welche weiterführende Schule ich besuchen sollte, wurde einfach eine Entscheidung für mich gefällt, ohne mich einzubeziehen. Ich hatte keine Chance, als Kind darauf Einfluss zu nehmen. Bis heute habe ich noch die Worte meiner damaligen Grundschullehrerin in den Ohren, als diese mir vor der versammelten Klasse mitteilte:
„Nun ja Thomas, ich persönlich würde dich sehr gerne zum Gymnasium schicken. Aber deine Eltern haben entschieden, dass du erst einmal die Hauptschule besuchen sollst, aufgrund deiner körperlichen Schwäche. Deine Eltern sind der Meinung, du seist den Anforderungen körperlich nicht gewachsen. Ich bin da anderer Meinung. Aber ich habe die Entscheidung deiner Eltern leider zu akzeptieren!“
Ich saß nur da und wusste nicht, wie mir geschah. Was blieb mir jedoch anderes übrig, als es hinzunehmen? Der Graben zwischen meinen Eltern und mir zeichnete sich immer deutlicher ab.
Bereits in den ersten Tagen wurde mir klar, dass die Hauptschule nicht die richtige Bildungsstätte für mich war. Es mochte wohl wahr sein, dass ich körperlich nicht der Stärkste war, aber vom Intellekt her fühlte ich mich ständig unterfordert. Das fiel auch meiner neuen Klassenlehrerin auf. Oft saß ich teilnahmslos im Unterricht, schaute aus dem Fenster und hing meinen Träumen nach. Aber jedes Mal, wenn meine Klassenlehrerin mir eine Frage stellte, wusste ich sofort die richtige Antwort darauf. Ich hatte eine gewaltige Langeweile, was ein schlechter Nährboden für meine persönliche Weiterentwicklung war.
Langeweile führt in Versuchung, das Leben etwas spannender zu gestalten. Also stellte ich manchen Unfug an, was meiner Klassenlehrerin natürlich nicht gefallen konnte. Das hatte Konsequenzen, besonders, wenn ich wieder einmal mit einer negativen Mitteilung meiner Lehrerin nach Hause kam. Regelmäßig bekam ich sehr harte, überaus brutale Prügel von meiner Mutter, sodass mein ganzer Körper von grünen und blauen Blutergüssen übersät war. Doch damit nicht genug.
Wieder einmal hatte ich einen Hefteintrag mitgebracht, den meine Eltern unterschreiben mussten. Als ich ihn meiner Mutter unter großer Angst vorlegte, begann sie voller Hass brutal auf mich einzuprügeln, ohne Rücksicht, wohin sie dabei traf. Wie eine Furie schlug sie auf mich ein, während ich versuchte, in den Flur zu flüchten. Dort landete ich mit dem Rücken zur Wand und plötzlich spürte ich, wie sich ihre Hand fest um meinen Hals krallte, sodass ich fast keine Luft mehr bekam. Mit der linken Hand an meinem Hals presste sie mich hart an die Wand, während sie mit der Rechten äußerst brutal auf mich einschlug. Ich schrie vor Schmerz und Angst. Das Blut lief mir in Strömen aus der Nase. Meine Unterlippe riss. Ich lag schon am Boden, aber die Schläge hörten nicht auf. Fußtritte kamen dazu. Ein stechender Schmerz am linken Rippenbogen beförderte mich schließlich in die Gnade der Bewusstlosigkeit. Vor meinen Augen war es mit einem Mal schwarz geworden. Ich sah und spürte nichts mehr.
Ich weiß nicht, wie lange ich besinnungslos und stark blutend im Flur gelegen hatte, als ich wieder zu mir kam. Völlig benommen schleppte ich mich schließlich auf allen Vieren kriechend ins Kinderzimmer zurück und verkroch mich zitternd und voller Panik unter dem Schreibtisch, wo ich mehrere Stunden einfach nur dalag. Mein Gesicht brannte wie Feuer. Das Atmen fiel mir schwer und ich spürte dabei immer wieder diesen stechenden Schmerz; ich betastete meinen linken Rippenbogen und fühlte, dass ein Teil von ihm regelrecht abgebrochen war. Außerdem pochte mein Kopf dumpf.
Kriechend schleppte ich mich schließlich ins Bad und zog mich am Waschbecken zitternd auf die Beine. Als ich in den Spiegel schaute, sah ich mein stark geschwollenes Gesicht. Beide Wangen waren blutunterlaufen, meine Unterlippe stark angeschwollen und – wie auch meine Nasenlöcher – vom geronnenen Blut dick verkrustet. Mein ganzer Körper schmerzte erbärmlich und ebenso jeder Atemzug, den ich machte. Ich hörte meine Mutter in der Küche herumhantieren, als wäre nichts gewesen. Langsam öffnete ich den Wasserhahn und trank ein wenig, so gut es eben ging.
Als ich meinen brennenden Durst etwas gelöscht hatte, ließ ich mich wieder auf die Knie sinken und kroch zurück ins Kinderzimmer. Dort zog ich mich auf den Stuhl am Schreibtisch. Die unsäglichen Schmerzen im Kopf und am linken Rippenbogen machten es mir fast unmöglich, mich auf meine Hausaufgaben zu konzentrieren. Doch schaffte ich es irgendwie, sie mehr schlecht als recht zu erledigen.
Als ob dieses unsägliche Martyrium nicht schon genug gewesen wäre, kam auf einmal meine neunjährige Schwester ins Zimmer. Sie grinste mich boshaft an, und ihre Worte brannten in meiner Seele: „Siehst du, meine Eltern haben mich eben lieber als dich. Es wäre wirklich besser, wenn du gar nicht hier wärst. Dann hätte ich alles für mich allein. Wenn ich meine Mama nicht von dir weggezogen hätte, wärst du nun endlich tot. Eigentlich wäre es besser für mich, wenn ich sie nicht von dir weggezogen hätte!“
Mit einem hämischen Lachen verließ sie danach das Kinderzimmer; und ich saß nur da und konnte nicht glauben, was ich gerade erlebt hatte.
An diesem Tag verlor meine „Mutter“ auch noch den letzten Rest meines Vertrauens. Für mich war sie nun nichts anderes mehr als eine fremde Person. Es verfestigte sich der Gedanke in mir, dass ich dieser Familie nur „zugeteilt“ worden war, jedoch in Wahrheit niemals dazugehört hatte. Ich fühlte mich absolut einsam.
Der Jähzorn, die Raserei und die Kraft der Schläge, mit denen meine „Mutter“ mir während meiner Kindheit zusetzte und mich dabei fast umbrachte, sind kaum noch menschlich-seelisch zu erklären. Ich denke, dass sie aufgrund ihrer starken Eigensucht (und wahrscheinlich auch wegen Vorbelastungen aus der Geistwelt) den negativen Mächten Tor und Tür geöffnet hatte. Haben sie erst einmal den Fuß in der Tür, nimmt ihr Einfluss immer mehr zu, bis sie schließlich den ganzen Menschen beherrschen und damit ein fortwährender Teufelskreis beginnt.
Das Aufstehen am nächsten Tag fiel mir sehr schwer. An jedem neuen Tag wuchs meine Angst. Doch ich musste einfach zusehen, wie ich am besten überleben konnte.
In der Schule dauerte es nicht lange, bis ich von der Klassenlehrerin in einen Nebenraum gebeten wurde. Neben meiner Lehrerin saß dort ein Herr im weißen Kittel – der Schularzt. Er bat mich plötzlich, mich doch einmal bis auf meine Unterhose auszuziehen. Meine Klassenlehrerin holte entsetzt Luft: „Du meine Güte, Thomas. Was ist dir denn passiert? Ist bei dir zu Hause wirklich alles in Ordnung?“
Wie gelähmt stand ich nur da und musste tatsächlich mit den Tränen kämpfen. Plötzlich begann ich mich sogar für meine Eltern zu schämen. Stockend und undeutlich antwortete ich: „Ich bin gestern die Treppe runtergefallen!“
Natürlich war das eine Lüge. Aber was sollte ich denn in dieser Situation antworten? Es war die pure Angst, die mich davon abhielt, meiner Lehrerin und dem Schularzt die Wahrheit zu sagen, denn was würde mich dann zuhause erwarten? Dazu kam, dass ich mir auf einmal persönlich die Schuld dafür gab, dass meine Mutter mich so behandelte, und ich glaubte nun, dass ich wohl weniger Wert sei als alle Menschen um mich herum. Denn wenn ich den gleichen Wert hätte, dann würden sie mich doch besser behandeln, oder? Es wurde für mich zu einer selbst definierten Logik, dass ich weniger Wert sein musste als die anderen. Der Gedanke verfestigte sich in mir, dass ich ein ungeliebtes Kind Gottes war, und meine Seele zerbrach.
Ich weiß noch heute, wie traurig mich der Schularzt mit einem Mal ansah und verständnislos den Kopf schüttelte über das, was er gerade zu Gesicht bekam. Meine Lehrerin sagte: „Thomas, wenn du uns nicht die Wahrheit sagst, dann können wir dir nicht helfen!“
Ich war hin- und hergerissen, wusste nicht, was ich tun sollte. Natürlich wollte ich, dass sich die Situation für mich änderte. Doch sobald ich die Wahrheit sagen würde, käme es zuhause noch schlimmer für mich. Ich fürchtete mich nicht nur, ich hatte wirklich panische Todesangst!
Der Schularzt unterbrach das bedrückte Schweigen: „Ich weiß, was hier geschehen ist. Es ist völlig normal, dass der Junge so reagiert. Ein ernstes Gespräch mit seinen Eltern ist unausweichlich und dringend notwendig!“
Nun würde es also doch geschehen. Doch ich konnte es als das Kind, das ich war, nicht mehr abwenden. Dass ich meine Lehrerin und den Schularzt anflehte, auf das Gespräch mit meinen Eltern zu verzichten, war für sie nur die Bestätigung dafür, dass etwas unternommen werden musste. Noch während ich mich wieder ankleidete, beriet sich meine Klassenlehrerin mit dem Schularzt, wie im Einzelnen nun vorzugehen sei. Von den Hausaufgaben wurde ich an diesem Tag befreit.
Als ich mich auf den Weg nach Hause begab, schwirrten mir die Gedanken durch den Kopf. Ich wusste schon jetzt, wie meine Mutter auf dieses Gespräch reagieren würde. Mit der gutgemeinten Absicht, mich in Zukunft vor weiteren körperlichen und seelischen Misshandlungen schützen zu wollen, brachten meine Lehrerin und der Schularzt mich erneut in größte Lebensgefahr.
Zuhause traute ich mich kaum, mich mit meiner Mutter allein in einem Zimmer aufzuhalten. Jeder Tag, den ich zuhause zubringen musste, war für mich ein wahrer Überlebenskampf. Zu dieser Zeit waren die Bücher meine besten Freunde. Ich begann in (m)eine eigene Welt abzutauchen. Besonders jene Bücher, welche die naturwissenschaftlichen Bereiche der Archäologie, Anthropologie, Paläontologie und Astronomie behandelten, waren für mich Tore, durch die ich in eine Welt eintauchen konnte, die sich weit entfernt von der befand, in der ich – warum auch immer – weiterleben musste. Mehrere Wochen bevor mir meine Mutter in ihrem Jähzorn den linken Rippenbogen gebrochen hatte, hatte ich mit dem Lesen dieser Bücher begonnen. Diese neue Welt war für mich zu einem Rückzugsort geworden, durch den ich die Realität um mich herum vergessen konnte, aber darüber hinaus auch das Interesse am Spielen mit anderen Kindern verlor.
Doch heute war alles anders. Zu erschreckend war das Erlebnis mit dem Schularzt und der Lehrerin gewesen. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Wie ein verängstigter Vogel saß ich an meinem Schreibtisch. Meine Panik steigerte sich noch, als plötzlich das Telefon klingelte und meine Mutter offensichtlich mit der Lehrerin sprach. Anschließend erschien sie sofort im Kinderzimmer und fragte in ihrer gewohnt schroffen Art: „Was ist heute los gewesen, dass dein Vater und ich heute Abend zur Schule kommen sollen?“
Aus reiner Überlebensstrategie log ich: „Tut mir leid. Ich weiß nicht, was meine Klassenlehrerin will. Sie war mit mir heute ganz zufrieden. Ich habe wirklich nichts falsch gemacht!“
Selbstverständlich glaubte meine Mutter mir nicht und drohte mir an, mich wieder grün und blau zu schlagen, sollte ich gelogen haben.
Eine Stunde nach dem Abendessen, bei dem ich nichts herunterbekam vor Schmerzen und Angst, verließen meine Eltern die Wohnung, um sich auf den Weg zum Gespräch mit meiner Lehrerin zu begeben. Ich weiß nicht, wie lange ich im Bett lag, bis ich endlich eingeschlafen war.
Doch plötzlich schlug die Kinderzimmertür mit lautem Getöse auf. Meine Mutter riss mich aus dem Bett und zerrte mich in den Flur. Dort begann sie, wie erwartet, auf brutalste Art und Weise mit ihren Händen und Fäusten auf mich einzuprügeln und presste durch die gefletschten Zähne: „Ich warne dich! Wenn du irgendjemandem dort draußen sagst, wie wir hier mit dir umgehen, bringe ich dich um! Ich erschlage dich! Hast du das verstanden? Ich bringe dich um! Das verspreche ich dir!“
Immer und immer wieder trafen mich ihre harten Schläge, und erneut spürte ich, wie mir das warme Blut aus der Nase über die Lippen herunterlief und am Kinn entlang auf den Boden tropfte. Mit einem Mal erblickte ich meinen Vater, der gar nicht weit von meiner Mutter entfernt stand. Immer wieder blickte ich ihn hilfesuchend an, bis er plötzlich aus seiner Starre erwachte und meine Mutter von mir trennte. Diese Gelegenheit nahm ich wahr und flüchtete voller Panik ins Kinderzimmer zurück, um mich stöhnend und schluchzend in meinem Bett zu verkriechen.
Die Decke über den Kopf gezogen und am ganzen Leib zitternd, hörte ich, wie sich meine Eltern im benachbarten Wohnzimmer miteinander stritten. Mein Vater traute sich endlich, nach so langer Zeit, zu sagen, dass sie so nicht weiter mit mir umgehen könne. Lauthals gab er ihr zu verstehen, dass sie sich zusammenreißen müsse.
Viel später erfuhr ich, dass meine Eltern, besonders meine Mutter, ganz knapp einer Anzeige wegen Kindesmisshandlung entgangen waren. Was das für sie bedeutete, schien ihr jedoch in diesem Moment (noch) nicht bewusst geworden zu sein. Das zeigte sich bereits am nächsten Morgen.
Wie gewohnt, öffnete meine Mutter die Kinderzimmertür, um sowohl meine Schwester als auch mich zu wecken, damit wir uns für die Schule fertig machten. Als ihr Blick jedoch auf mich und mein Blut verschmiertes Kopfkissen fiel, ging es von vorne los. Erneut riss sie mich aus dem Bett, um mich wiederum hart durchzuprügeln, bis mir das Blut aus der Nase nur so herausspritzte. Kochend vor Hass und Wut schrie sie: „Sieh dir mal die Schweinerei an, die du gemacht hast! Du machst mir nur Arbeit! Die ganze Bettwäsche kann ich nun wegen dir waschen, du Teufelsbrut. Du bist ein Schwein! Mehr nicht!“
Als sie von mir abließ, hörte ich das Weinen meiner Schwester, die alles hatte mit ansehen müssen. Ich hingegen war in diesem Moment so geschwächt, dass ich wie ein nasser Sack zu Boden sank und nichts mehr sah und hörte.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Bett, das frisch bezogen war. Wie lange ich zusammengeschlagen auf dem Boden gelegen hatte, kann ich nicht mehr sagen. Eines ist jedoch sicher. An diesem Tag war ich nicht in der Schule gewesen.
Als ich die Augen öffnete und langsam wieder zu mir kam, hatte sich tief in mir etwas verändert. Ich war nicht mehr der gleiche Mensch. Was da genau mit mir geschehen war, als ich in diesem unbeschreiblichen Dämmerzustand im Bett lag, weiß ich nicht. Je intensiver ich jedoch in mich hineinfühlte, umso mehr bemerkte ich eine Veränderung, die ich mit Worten einfach nicht zu erklären verstehe.