Читать книгу Der lachende Vogel - Thomas Reinhold Reppich - Страница 16
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Die Gemeindegruppe reiste am Sonntag nach dem Gottesdienst ab. Prior Johannes und Bruder Georg begleiteten sie bis zum Eingang des Klosters und verabschiedeten sich herzlich von ihnen.
Nach dem Mittagessen brach der Prior zu einem längeren Spaziergang auf. Er verließ das Klostergelände und tauchte ein in die einzigartige Bergwelt.
Diese Spaziergänge waren für ihn kostbare Augenblicke im Verlauf einer Woche. Hier konnte er vom Klosteralltag abschalten. Manches von dem, was ihm in den Gesprächen anvertraute wurde, ging ihm dennoch auf den Spaziergängen nach. So auch heute.
Seine Gedanken kreisten um das Gespräch mit dem jungen Mann. Vor allem um die doch seltsam zu nennende Begebenheit mit dem Vogel. Kein Zweifel, es musste sich um den gleichen Vogel handeln, den er den lachenden Vogel nannte.
Wieder war er bei der Frage, die ihn mehr und mehr beschäftigte: Konnte er wirklich für wahr halten, was bei nüchterner Betrachtung doch eher abwegig schien? Ein Vogel war ein Vogel, mehr nicht. Oder doch?
Vielleicht sollte er nicht länger fragen, nicht zu verstehen versuchen, was sich dem Verstehen augenscheinlich entzog. Oft lag doch in einer gewissen Unmittelbarkeit der Schlüssel zum Verstehen.
Wer schon vorher weiß, was ihn erwarten wird, konnte sich nicht wirklich überraschen lassen.
Waren es nicht gerade die Überraschungen im Leben, die einen aus dem Gewohnten herausrissen. Nicht selten gaben sie dem Leben eine unerwartete Wendung. Manch einer sah darin einen Fingerzeig Gottes.
Wann war ihm je etwas Vergleichbares wie dem jungen Mann passiert. Verglichen mit dem Leben draußen verlief seines doch in recht geordneten Bahnen.
Einen Augenblick war er dankbar, dass der Vogel in sein Leben getreten war. Mach was daraus, dachte der Prior.
Beim Abendessen dachte Prior Johannes länger über einen Teil der Schriftlesung des Abendgebetes nach. Er vergaß fast, zu essen.
„Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet.“ Durch wen Gott sprach, schien ihm mit einem Mal sekundär. Kamen nicht auch zu ihm Menschen, die hinter dem, was er zu sagen hatte, Gottes Stimme erkannten?
Was hatte der junge Mann bei ihm gesucht? Über die Monate sicherlich ein offenes Ohr und Verständnis für sein Schicksal. Das letzte Gespräch jedoch war irgendwie anders. Er war fast so, als hätten sich die Rollen vertauscht. Hatte Gott etwa durch den jungen Mann zu ihm geredet?
Wenn ja, was war es, was er ihm hatte sagen wollen? Wollte Gott ihm zeigen, dass er auf verborgene Weise am Werke war? Aber daran glaubte er doch.
Wenngleich er bisweilen - wie dem Durchschnitt aller Menschen - hin- und hergerissen war zwischen zwei Extremen: dem Glauben und der Hoffnung, dass Gott alles, aber auch alles möglich sei; und zum anderen dem Wissen, dass Gott auch ein ohnmächtiger, mitleidender und weinender Gott ist.
Für ihn war es nicht immer leicht, beides zusammenzubekommen. Meist konnte er sich nur für eines entscheiden. Bei vielen Geschichten des Bürgerkrieges etwa konnte er nur noch den mitleidenden Gott denken. Alles andere hätte ihn um den Verstand gebracht.
Und doch freute er sich über Augenblicke, in denen die andere Seite Gottes sichtbar wurde.