Читать книгу Der lachende Vogel - Thomas Reinhold Reppich - Страница 7

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Den Rest des Tages konnte sich Prior Johannes ganz seinen Studien über Luther widmen. Bis zum Wochenende wollte er mit seiner Ausarbeitung fertig sein. Dann würden wie gewohnt Gäste kommen, die gerne die Zeit zu einem persönlichen Gespräch nutzten. Zudem waren schon zwei Besucher angekündigt, die um ein Seelsorgegespräch gebeten hatten.

Prior Johannes kam gut voran.

„Typisch Luther,“ entfuhr es ihm. Dieser selbstgefällige Vorzeigechrist. Er sollte es doch aus eigener Erfahrung besser wissen, dachte er. Hatte Luther nicht auch im Kloster gelebt? Wie konnte er mit seiner wiederholten Kritik an den Klöstern so platt daherkommen. Im 28. Kapitel hieß es: „So sollten auch aller Priester, Klöster und Stifte Werke beschaffen sein: dass ein jeglicher seines Standes und Ordens Werk allein darum täte, den andern zu willfahren und seinen Leib zu regieren, den andern ein Beispiel zu geben, auch so zu tun, die auch dessen bedürfen, ihre Leiber zu zwingen.“

Nichts anderes taten er und seine Brüder tagein und tagaus. Warum musste man die Kirche, die Klöster, die Glaubenden immer an den schwarzen Schafen messen?

Wer wollte sich wirklich anmaßen, durch sein Handeln, den Schöpfer in irgendeiner Weise beeinflussen zu können. Das Sola gratia galt doch nicht nur für Protestanten. Es war nicht immer einsehbar und manchmal viel es schwer einzusehen, warum es den größten Schurken der Geschichte genauso galt. Aber es war die Konsequenz eines Grundgedankens, nachdem Gnade ein Geschenk Gottes an uns Menschen ist und bleibt.

Noch gut konnte er sich an die Ehefrau eines zunächst Entführten und später Getöteten erinnern. Damals schrie sie ihn voller Verzweiflung an: „Wie gut, das Gott die Mörder meines Mannes rächen wird. Ich wünsche ihnen das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Sie sollen genauso leiden und sterben wie mein Mann.“

„Ihren Zorn, liebe Frau, kann ich verstehen“, hatte er entgegnet. „Aber Gottes Handeln vollzieht sich in anderen Dimensionen. Er wird auch den Mördern gnädig sein müssen. Denn nur so kann der Teufelskreis aus Gewalt und Rache durchbrochen werden.“

Entsetzt war die Frau aufgesprungen, hatte ihn verflucht und war davongeeilt, nicht ohne ihm voller Verachtung vor die Füße gespukt zu haben.

Jahre später kam sie wieder. Ihr Hass und ihre Wut waren gewichen. Bedächtig und in mildem Ton konnte sie sagen: „Ich habe lange gebraucht, um das annehmen zu können, was Sie mir damals gesagt haben. Entschuldigen Sie meine Bosheit. Ich war außer mir vor Schmerz, stand alleine da mit meinen kleinen Kindern. Konnte mir nicht vorstellen, wie das Leben ohne meinen Mann weitergehen sollte. Erst langsam habe ich begriffen, dass ich meinen inneren Frieden nur wiederfinden würde, wenn auch ich den Mördern vergab. Es fällt mir nach all den Jahren immer noch schwer, ohne meinen Mann zu leben. Doch habe ich für mich eingesehen, dass der Lauf der Geschichte, die Zukunft unseres Landes nur durch Vergebung in eine andere Richtung gelenkt werden kann.“

Beim Gedanken an ihre Worte bekam er einen Klos im Hals. Als Geistlicher musste er die schwierigsten Sachverhalte so darlegen, dass es seinen Worten nicht an Glaubwürdigkeit fehlte. Sein Aufgabe war es klare Antworten auf schwierigsten Fragen geben. Auch dann, wenn er persönlich mit seinen Antworten nicht immer im vollen Umfang übereinstimmte. Dies waren die Momente, in denen er spürte, wie er Mittler war. Wie etwas durch ihn durch den Weg zu einer anderen Person nahm. Ja, in solchen Augenblicken fühlte er sich ganz und gar als Werkzeug Gottes. Und es war gut so. Erleichternd, weil er wusste, dass er nicht allein für das gerade Ausgesprochene geradezustehen hatte; dass Gott auf seine Weise auch am Werke sein würde. Wie bei dieser Frau.

Die Wandlung, die sie durchlebt hatte, rührte ihn.

Es gibt Hoffnung, dachte er. Hoffnung für ein Land, das ihm trotz aller Wirren der vergangenen Jahrzehnte an Herz gewachsen war.

Der lachende Vogel

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