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4. Kapitel Das Gesundheitswesen in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland › B. Berufswahlfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Unternehmensfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG

B. Berufswahlfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Unternehmensfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG

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Art. 12 Abs. 1 GG erfasst die Freiheit der Berufswahl und die Freiheit der Berufsausübung. Während die Freiheit der Berufswahl nur dann beschränkt werden darf, wenn wichtige Schutzgüter des Gemeinwohls dies zwingend erforderlich machen,[1] kann die Freiheit der Berufsausübung schon dann eingeschränkt werden, wenn vernünftige Gründe des Gemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen.[2] Allerdings ist z.B. ein Verbot in den Heilberufegesetzen der Länder, als Allgemeinmediziner weitere Facharzttitel zu führen, nicht durch Gemeinwohlbelange gedeckt.[3] Berufsrechtliche Werbeverbote sind ebenfalls mit Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nicht in Einklang zu bringen, wenn sie einem Informationsbedürfnis der Bevölkerung zuwiderlaufen[4] (im Einzelnen dazu siehe § 5 Rn. 170). Aus Art. 12 Abs. 1 GG können aber auch Verfahrensrechte hergeleitet werden, so für den Fall einer defensiven Konkurrentenklage von Vertragsärzten gegen die Ermächtigung eines Krankenhausarztes entschieden.[5] Zwar gewähre Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz.[6] Die Vertragsärzte hätten aufgrund ihres Zulassungsstatus auch keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit.[7] Die Wettbewerbsposition und die Erträge unterliegen grundsätzlich dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen. Eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge[8] hat, könne aber das Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel steht.[9] Eine solche Situation sei im System des Vertragsarztrechts, insbesondere wegen der Zulassungsbeschränkungen und Deckelungen der Gesamtvergütung, vorliegend gegeben: Der Vertragsarzt müsse zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit Einschränkungen seines Behandlungsspektrums ebenso hinnehmen wie Regelungen, die seine Niederlassungsfreiheit, seine Fallzahlen und seine Vergütung begrenzen. Diese Eingriffe können im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Gemeinwohlbelang der Sicherstellung der Versorgung der gesetzlich Versicherten gerechtfertigt werden. An diesem legitimen Zweck sind aber die jeweiligen Beschränkungen der Berufsfreiheit der im System tätigen Leistungserbringer auch zu messen.[10] Komme es durch hoheitliche Maßnahmen zu weiter gehenden Eingriffen in die gesetzlich durchstrukturierten Marktbedingungen, können die im System eingebundenen Leistungserbringer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein. Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung erfordere die Befugnis des Grundrechtsträgers, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für die Erteilung einer Ermächtigung zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Die Einbindung der Vertragsärzte in das System der gesetzlichen Krankenversicherung, das ihnen einen Vorrang gegenüber anderen Ärzten garantiert, korreliert mit dem Anspruch auf Rechtsschutz bei Vernachlässigung der gesetzgeberischen Entscheidung durch die Zulassungsgremien. Da das einzelne Mitglied nicht die Möglichkeit habe, seine KV zur Einlegung von Rechtsbehelfen zu verpflichten,[11] sei der Grundrechtsschutz des einzelnen Vertragsarztes weder durch die paritätische Besetzung der Zulassungsgremien noch durch die Möglichkeit der KV, eine Ermächtigungsentscheidung anzufechten, ausreichend abgesichert. Die verfahrensmäßige Absicherung des Grundrechtsschutzes setze daher nicht erst bei Willkür ein. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des BSG überspanne im Ergebnis die Darlegungslast zum Nachweis der Klagebefugnis. Mittlerweile hat das BSG diese Grundsätze auch bezüglich der Anfechtungsbefugnis niedergelassener Vertragsärzte gegen Sonderbedarfszulassungen umgesetzt.[12]

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Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, dass die Einschränkung auf der Stufe vorgenommen werden muss, die die geringste Belastung für die Betroffenen zur Folge hat,[13] wobei dem Gesetzgeber ein erheblicher Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden wird („Einschätzungsprärogative“). Letztlich führt dies dazu, dass Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG gerade im Gesundheitswesen zu einem der meist überschätzten Grundrechte aus Betroffenensicht geworden ist. Hufen[14] weist zurecht darauf hin, dass das BVerfG seine in anderem Zusammenhang aufgestellten Schranken zum Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG quasi mit einem Federstrich vom Tische fegt, wenn es im Rahmen sozialer Sicherungssystem um den Systemerhalt geht.[15] Allerdings gibt es hierfür vertretbare Argumente. Denn schließlich ist ein funktionierendes Sozialversicherungssystem eine der Grundvoraussetzungen für sozialen Frieden in einer Zivilgesellschaft. Sozialer Frieden wiederum ist Voraussetzung für freie Berufswahl und Berufsausübung. Die Mär des Arztes als „Freier Beruf“ ist aber zumindest im Rahmen der GKV längst als solche enttarnt,[16] so dass sogar Mitglieder des BVerfG[17] von einem staatlich gebundenen Beruf sprechen. Dennoch ist es vornehme Pflicht des prüfenden Anwalts, angesichts dieser Faktizität das Verfassungsrecht nicht einfach auszuklammern. Das Stufenprogramm des Art. 12 Abs. 1 GG muss bei einschlägigen Sachverhalten im Hintergrund immer mitlaufen. Der beratende Anwalt sollte sich allerdings davor hüten, Art. 12 Abs. 1 GG unkritisch wie eine Monstranz vor sich herzutragen; damit läuft er Gefahr, seine einfachrechtliche Argumentation zu entwerten. Maßgeblich dürfte sein, die – wenigen – Fallkonstellationen zu entdecken, in denen man auch in Kenntnis der Rechtsprechung von BSG, BVerwG und BVerfG mit Art. 12 Abs. 1 GG Pluspunkte sammeln kann. Hat man einen derartigen Fall, ist es nicht nur legitim, sondern geradezu geboten, schon von Anfang an die verfassungsrechtliche Dimension deutlich zu machen.

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Wie vielfältig einschränkbar Art. 12 Abs. 1 GG ist, wenn Gemeinwohlinteressen berührt werden, zeigt die Rechtsprechung der vergangenen Jahre: Bedarfsplanung verfassungsrechtlich zulässig;[18] bessere Ressourcensteuerung kann Abrechnungsbeschränkung technischer Leistungen in der GKV rechtfertigen,[19] auch wenn berufsrechtlich die Leistung (noch) zum Gebiet des ausgeschlossenen Fachs gehört;[20] Altersgrenze 68 zulässig;[21] für 68er Grenze und § 95 VII SGB V auch Zeiten als ermächtigter niedergelassener Psychotherapeut anzurechnen;[22] Altersgrenze 55 zulässig;[23] ausreichend ist Zulassungsantrag vor Vollendung des 55. Lebensjahres.[24] Wie kritisch derartige Regelungen zu betrachten sind, sieht man darin, wie der Gesetzgeber mit einem Federstrich die 55-Jahresgrenze im Rahmen des GKV-WSG[25] ersatzlos gestrichen hat. Ähnlichen Zweifeln begegnete auch die 68-Jahresgrenze. War doch für ihre Rechtfertigung auf eine funktionierende Bedarfsplanung Bezug genommen worden.[26] Wird aber die Bedarfsplanung z.B. im Bereich der Zahnheilkunde aufgehoben und im humanmedizinischen Bereich durch die Möglichkeit der Filialisierung durchlöchert, schwindet auch hier zunehmend die Rechtfertigung für derartige Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit. Dies zumal die 68-Jahresgrenze auch nicht mehr strikt durchgehalten wurde. So können auch ältere Ärzte weiterhin Vertretungen übernehmen,[27] in unterversorgten Gebieten konnte der Landesausschuss beschließen, dass auch über 68-jährige Ärzte vertragsärztlich tätig sind. In manchen Arztgruppen (z.B. Pathologie) herrscht Nachwuchsmangel, eine Bedarfsplanung gab es für diese Fachrichtung bislang nicht, was rechtfertigt also die 68-Jahresgrenze? Folgerichtig hat sie der Gesetzgeber auch im Bereich der Humanmedizin mit dem GKV-OrgWG rückwirkend zum 1.10.2008 aufgehoben.[28]

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Auch Unternehmen können sich grundsätzlich auf Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG berufen.[29] Teilweise wird in diesem Zusammenhang auch Art. 14 GG genannt, wenn z.B. Gewinnmöglichkeiten des Arzneimittelherstellers beeinträchtigt werden. Hier ist allerdings bereits der Schutzbereich von Art. 14 GG sehr strittig.[30] Dies gilt auch für den Eigentumsschutz durch Zulassung,[31] soweit Preisregelungen gemeint sind, wie das Festbetragsurteil des BVerfG[32] zeigt. Wenn auch den Entscheidungen zu entnehmen ist, dass durch die angegriffenen Regelungen zwar in die Berufsausübungsfreiheit von Unternehmen in zulässiger Weise (Stabilisierung des Sozialversicherungssystems) eingriffen werden darf, steht auf der anderen Seite eine Stärkung der verfahrensrechtlichen Position der Unternehmen, um ihnen Beteiligungsrechte zu sichern. Zunehmend können sich Unternehmen im Gesundheitswesen auf die Transparenzrichtlinie 89/105 EWG berufen,[33] zumal der EuGH[34] ihre direkte Anwendung für die Aufnahme in (leistungsbeschränkende und/oder gewährende) Listen bestätigt hat. Der Gesetzgeber hat dem in § 34 Abs. 6 SGB V[35] für den Fall der OTC-Liste des G-BA und in § 35b SGB V für die Nutzenbewertung Rechnung getragen. Generell ist eine Entwicklung zu beobachten, dass Preisregelungsinstrumente im Arzneimittelsektor, soweit jedenfalls ihre Abgabe im Rahmen der GKV betroffen ist, sowohl auf Seiten der Pharmazeutischen Industrie wie auch der Apotheker, erhebliches Gewicht bekommen. Verfassungsrechtlich wird dies weitgehend nicht beanstandet.[36]

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Wie weit der Gesetzgeber im Rahmen seiner Reformvorhaben der GKV in das Recht der Unternehmen der Privaten Krankenversicherung eingreifen darf und welcher Kompetenztitel hierfür einschlägig ist, ist Gegenstand eines heftigen Meinungsstreits.[37] Während die Einführung der (privaten) Pflegepflichtversicherung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden konnte und letztlich vor dem BVerfG Bestand hatte,[38] lässt sich dies auf den Basistarif und den Kontrahierungszwang der PKV nicht unkritisch übertragen, weil das Regelungskonzept in § 110 SGB XI und § 178a Abs. 5–9 VVG[39] nicht deckungsgleich ist.[40] Der Kontrahierungszwang ohne Risikoprüfung stellt einen eklatanten Bruch mit den Grundsätzen des privaten Versicherungsrechts dar. Verbunden mit der Verpflichtung, dies auch noch zu einer nicht kostendeckenden Prämie zu vollziehen, und damit letztlich den bisherigen eigenen Versichertenbestand zu belasten, bedeutet dies eine sozialversicherungsrechtliche Umverteilung im privaten Versicherungsrecht, für die jedenfalls Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht ausreichen dürfte. Dennoch hat das BVerfG die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.[41] Für die Einführung eines Basistarifs in der privaten Krankenversicherung hat es den notwendigen Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gesehen. Der Kontrahierungszwang nach § 12 Abs. 1b VAG, § 193 Abs. 5 VVG stelle keinen übermäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen dar und verletze daher Art. 12 Abs. 1 GG nicht. Allerdings treffe den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, inwieweit die einzelnen Regelungen zum Basistarif, der Portabilität von Altersrückstellungen sowie die erweiterte Versicherungspflicht in der GKV nicht zu (unzumutbaren) Prämiensteigerungen für Versicherte in den Normaltarifen führen werde und dadurch wieder die Stabilität der Versicherungsunternehmen gefährden könne.[42]

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Wiederum andere Fragen stellen sich in Bezug auf die Organisation der Gesetzlichen Krankenversicherung selbst. Die Kompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG kann nicht ernsthaft bestritten werden. Die Eingriffsbefugnisse reichen weit, sofern sie mit der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems begründet werden (was regelmäßig nicht allzu schwer fällt).[43] Es gibt keine Garantie sozialer Selbstverwaltung aus Art. 87 Abs. 2 GG.[44] Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts genießen keinen Bestandsschutz wie etwa Kommunen aus Art. 28 GG. Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts sind letztlich keine Grundrechtsträger. Deshalb scheint die im GKV-WSG vorgesehene Organisationsreform der GKV vom Grundsatz her möglich. Ob dies für die Einzelheiten der Finanzierung und der Verteilung der Mittel in gleicher Weise gesagt werden kann, ist umstritten.[45] Immerhin hat das BVerfG die Mittelverschiebung über den RSA als dem Solidarprinzip immanent mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vereinbar erklärt.[46] Fragen nach wettbewerblichen Elementen im Gesundheitswesen spielen zunehmend eine Rolle, auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht.[47] Dies betrifft sowohl das Organisationsrecht der Kassen wie auch der Teilnahmestatus z.B. der Vertragsärzte bei Selektivverträgen.

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