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4. Kapitel Das Gesundheitswesen in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland › A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

A. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

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Eine generelle Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Gesundheitswesen gibt es nicht.[1] Sie ist vielmehr auf die ausdrücklich in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12, 19, 19a und 26 GG beschriebenen Regelungskomplexe beschränkt. Die Kompetenz zur Regelung des Apothekenwesens, AMG und MPG, der Heilmittel und Gifte sowie für Maßnahmen gegen gemeingefährliche übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren ist weithin eher unproblematisch (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG). Von gewisser Brisanz ist die Bundeszuständigkeit für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhausentgelte einerseits (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG) mit den Regelungen der Länder zur Krankenhausfinanzierung (KHG der Länder)[2] und Krankenhausplanung andererseits. Unter den Kompetenztitel von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG fällt das private Versicherungsrecht einschließlich der privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Ferner ist die Bundeskompetenz für die Reproduktionsmedizin, die Gentechnik und das Transplantationswesen zu nennen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG). Bei den Kompetenztiteln gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Nr. 19a und Nr. 26 GG ist die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung besonders zu begründen (Art. 72 Abs. 2 GG). Damit bleibt es dabei, dass der Bund gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nur die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, nicht aber Regelungen zur (ärztlichen) Berufsausübung treffen kann, es sei denn, die Berufsausübung würde von einer Spezialmaterie, z.B. des Sozialversicherungsrechts, so überlagert, dass eine einheitliche sozialversicherungsrechtliche Regelung zwingend erforderlich ist, wie dies z.B. für den Bereich der Qualitätssicherung diskutiert und entschieden worden ist.[3] Im Lichte der Systematik des Grundgesetzes, das die Kompetenz der Länder an erster Stelle nennt (Art. 70 Abs. 1 GG), sollte von dieser „Annexkompetenz“ allerdings nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.[4]

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Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der Sozialversicherung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG als „verfassungsgerichtlichen Gattungsbegriff“ bezeichnet. Danach fällt alles unter diesen Begriff, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt.[5] Daraus ist zunächst zu schließen, dass auch das sog. Leistungserbringerrecht der Ärzte hierunter zu subsumieren ist. In der Praxis wird diese Problematik in zweierlei Hinsicht relevant, nämlich

dass das Sozialversicherungsrecht für die Leistungserbringung selbst Beschränkungen vorsieht, die das Berufsrecht nicht kennt, und
neuerdings – das Leistungserbringungsrecht Erleichterungen vorsieht, die entweder berufsrechtlich nicht geregelt sind oder berufsrechtliche Verbote entgegenstehen.

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In der medizinrechtlichen Literatur wird die Kompetenz für den Bereich des Vertragsarztes nicht als Annexkompetenz angesehen, sondern als eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang.[6] Die bisher bedeutsamsten Entscheidungen diesbezüglich sind diejenigen, die für die Abrechnung einer Leistung qualitative Anforderungen im Bereich des Sozialversicherungsrechtes fordern, die das Berufsrecht nicht kennt;[7] oder auch das durch Nichtannahmebeschluss seitens des Bundesverfassungsgerichts bestätigte Gebot für den Facharzt für Innere Medizin, entweder ausschließlich an der hausärztlichen, oder ausschließlich an der fachärztlichen Versorgung teilzunehmen.[8] Aber auch die Diskussion um die mantelvertraglichen Vorschriften bezüglich der Zweigpraxen und der ausgelagerten Praxisräume, insbesondere für den Bereich der Dialyse, wo im vertragsärztlichen Bereich noch weitere Sonderregelungen[9] bestehen, gehört hierher[10] sowie die Einführung sog. medizinischer Versorgungszentren (MVZ) in die vertragsärztliche Versorgung (siehe § 95 SGB V), nachdem der Bundesgesetzgeber in seiner Begründung, trotz teilweise entgegenstehenden Berufsrechts, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft (zumindest als juristische Person des Privatrechts) als statthaft erachtet hat (zum Verhältnis Berufsrecht/MVZ siehe auch Kap. 6 Rn. 147). Damit ist festzuhalten, dass unzweifelhaft das Sozialversicherungsrecht höhere Anforderungen an die Leistungserbringung und Abrechnung des niedergelassenen Arztes stellen kann, als das Berufsrecht. Noch nicht abschließend beschieden ist die Frage, inwieweit das Sozialversicherungsrecht – bezogen auf seine eigene Regelungsmaterie – berufsrechtliche Verbote letztlich aushebeln kann. Diese Diskussion gewann im Rahmen der VÄndG ganz erhebliche Bedeutung. Während das BMG die Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG herleitet, vertrat der Bundesrat[11] sowie die überwiegende Auffassung in der Literatur[12] den Standpunkt, hiermit werde die Länderkompetenz bei der Regelung der Berufsausübung verletzt. Soweit die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung vom 30.8.2006 zur Stellungnahme des Bundesrates die vorgeschlagene Bezugnahme auf eine Kompatibilität mit Landesrecht ablehnte (§ 95 Abs. 9 S. 1 SGB V, § 24 Abs. 3 S. 3 Ärzte-ZV, § 33 Abs. 3 S. 5 Ärzte-ZV, § 24 Abs. 3 S. 1 Zahnärzte-ZV und § 33 Abs. 3 S. 5 Zahnärzte-ZV), hielten z.B. der Medizinrechtsausschuss des DAV[13] und andere daran fest, dass dem Bund insoweit die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Der Verweis in der Entwurfsbegründung auf Art. 72 Abs. 2 GG (Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, S. 17 III. 1. und S. 31 zu Nummer 11 – § 33) übersieht nämlich, dass Art. 72 Abs. 2 GG im Zuge der Föderalismusreform geändert worden ist. In der neuen Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG[14] bezieht sich das Gesetzgebungsrecht des Bundes im Rahmen der Gesetzgebungsmaterien in Art. 74 GG mit der Zielsetzung des Art. 72 Abs. 2 GG nur noch auf die enumerativ in der Neufassung aufgeführten Sachgebiete.[15] Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gehört nicht dazu. Auf diese Einschränkung des Anwendungsbereichs der Erforderlichkeitsklausel in Art. 72 Abs. 2 GG (n.F.) hat die Bundesregierung mit Drucksache 651/06 vom 4.9.2006 hingewiesen.[16] Der Vorrang der Länderkompetenz im Rahmen der originären Berufsausübung ohne sozialversicherungsrechtliche Ausgestaltung bleibt daher unberührt. Insofern war die Formulierung in der Gegenäußerung der Bundesregierung, diese Änderungen würden nur den vertragsärztlichen Bereich betreffen und eventuelle Zulässigkeitshindernisse unberührt lassen, irreführend. Der „Vertragsarzt“ ist kein eigenständiger Beruf. Der Kompetenztitel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG trägt nur dort, wo spezielle sozialversicherungsrechtliche Ziele, wie etwa die Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit berührt sind, nicht aber im Bereich der reinen Berufsausübung ohne zwingenden Bezug zur Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung.[17] Dies wird auch an folgendem Beispiel deutlich. Während in der vertragsärztlichen Versorgung strikt auf die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen – auch im Hinblick auf die Vergütungsfähigkeit von Leistungen geachtet wird –, scheint dies bei rein privatärztlichen Leistungen nicht mehr konsequent durchgehalten zu werden. Zwar haben die Zivilgerichte[18] teilweise eine Abrechnungsfähigkeit fachfremder Leistungen abgelehnt; nach einer Entscheidung des BVerfG[19] können auch fachfremde Leistungen abgerechnet werden, wenn der Arzt die Leistung medizinisch korrekt erbringen kann.

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Ein Dauerbrenner ist – trotz der Einführung von § 91 Abs. 6 SGB V – die Diskussion über die verfassungsrechtliche Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses.[20] Das BMG hatte eigens drei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben,[21] die die bisherige Konzeption, wenn auch mit unterschiedlichen Überlegungen im Ergebnis für vertretbar hielten, allerdings auf erhebliche Kritik stießen.[22] Trotz nach wie vor erheblicher Bedenken in der Literatur[23] halten sowohl das BVerfG wie auch das BSG an der grundsätzlichen Legitimation des G-BA zur Normgebung fest, wenn auch in Teilbereichen die Regelungsintensität diskutiert wird.[24] Im Ergebnis hält die Rechtsprechung die demokratische Legitimation des G-BA für ausreichend belegt.[25]

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