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3. Kapitel Europäisches Gesundheitsrecht › C. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats

C. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats

3. Kapitel Europäisches GesundheitsrechtC. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats › I. Einführung

I. Einführung

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Der im Jahre 1949 gegründete Europarat hat als internationale Organisation gemäß seiner Satzung[1] die Aufgabe, einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen, um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen (Art. 1 lit. a der Satzung). Dieses Ziel wird erstrebt durch die Prüfung von Fragen gemeinsamen Interesses, durch den Abschluss von Abkommen und durch gemeinsames Handeln auf den Gebieten der Wirtschaft, des sozialen Lebens, der Kultur, der Wissenschaft, der Rechtspflege und der Verwaltung sowie durch Schutz und Weiterentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 1 lit. b der Satzung). Jeder europäische Staat, der den Vorrang des Rechts und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten anerkennt, kann Mitglied des Europarats werden (Art. 3 und 4 der Satzung). Deutschland ist dem Europarat im Jahre 1951 als Vollmitglied beigetreten, Österreich im Jahre 1956. Insgesamt sind derzeit 47 europäische Staaten[2] Mitglieder des Europarats (Art. 26 der Satzung), weitere Staaten haben einen Beobachterstatus.[3] Der Sitz des Europarats ist Straßburg (Art. 11 der Satzung).

3. Kapitel Europäisches GesundheitsrechtC. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats › II. Organisation und Aufgaben des Europarats

II. Organisation und Aufgaben des Europarats

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Die Organe des Europarats sind das Ministerkomitee und die Beratende Versammlung (Art. 10 der Satzung). Das Ministerkomitee prüft auf Empfehlung der Beratenden Versammlung oder auf eigene Veranlassung geeignete Maßnahmen zur Verwirklichung der Aufgaben des Europarats, einschließlich des Abschlusses von Abkommen und Vereinbarungen und der Annahme einer gemeinsamen Politik durch die Regierungen (Art. 15 der Satzung). Jeder Mitgliedstaat hat mit dem Außenminister oder einem Beauftragten einen Vertreter im Ministerkomitee (Art. 14 der Satzung).

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Die Beratende Versammlung (Parlamentarische Versammlung) ist das beratende Organ des Europarates. Sie erörtert Fragen im Zusammenhang mit den Aufgaben des Europarates und gibt Empfehlungen ab (Art. 22 f. der Satzung). Die Beratende Versammlung besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten, die von deren Parlament aus seiner Mitte gewählt oder ernannt werden (Art. 25 der Satzung). Die Anzahl der Vertreter pro Mitgliedstaat variiert zwischen zwei und 18 (vgl. Art. 26 der Satzung).

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Der Europarat beschäftigt sich mit zahlreichen Sachthemen, die in Form von Abkommen und Vereinbarungen verabschiedet werden. Diese werden zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten aufgelegt und treten nach Ratifizierung durch eine bestimmte Zahl von Mitgliedstaaten in Kraft. Zahlreiche Abkommen und Vereinbarungen sehen zwischenzeitlich auch den Beitritt der Europäischen Union vor.

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Überragende Bedeutung kommt dem europäischen Menschenrechtsschutz mit der 1950 in Rom unterzeichneten und 1953 in Kraft getretenen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)[4] und der Errichtung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu. Die Menschenrechtskonvention wurde durch bislang 16 Zusatzprotokolle ergänzt.

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Die EMRK ist nach ihrer Rechtsnatur ein völkerrechtlicher Vertrag, in Deutschland im Range eines einfachen Bundesgesetzes, in Österreich mit Verfassungsrang. Der Menschenrechtskatalog umfasst elementare Menschenrechte, unter anderem das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Folterverbot (Art. 3 EMRK), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) sowie die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK).

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Der EGMR ist für alle die Auslegung und Anwendung des EMRK und der Protokolle betreffenden Angelegenheiten zuständig (Art. 32 EMRK).[5] Der Gerichtshof kann durch eine Vertragspartei im Wege einer Staatsbeschwerde (Art. 33 EMRK) oder von einer natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder einer Personengruppe im Wege einer Individualbeschwerde (Art. 34 f. EMRK) angerufen werden. Ferner kann der EGMR auf Antrag des Ministerkomitees Gutachten über die Auslegung des EMRK und der Protokolle erstatten (Art. 47 f. EMRK).

3. Kapitel Europäisches GesundheitsrechtC. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats › III. Übereinkommen mit Bezug zum Gesundheitsrecht

III. Übereinkommen mit Bezug zum Gesundheitsrecht

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Im Rahmen des Gesundheitsrechts wurde der Europarat vor allem in den Bereichen der öffentlichen Gesundheit und Biomedizin tätig. Im Wesentlichen sind folgende Übereinkommen zu nennen:[6]

Übereinkommen über den Austausch therapeutischer Substanzen menschlichen Ursprungs,[7]
Übereinkommen über die vorübergehende zollfreie Einfuhr von medizinischem, chirurgischem und Laboratoriumsmaterial zur leihweisen Verwendung für Diagnose- und Behandlungszwecke in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens,[8]
Übereinkommen über den Austausch von Reagenzien zur Blutgruppenbestimmung,[9]
Übereinkommen über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches,[10]
Übereinkommen über den Austausch von Reagenzien zur Gewebstypisierung,[11]
Übereinkommen gegen Doping,[12]
Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin (Biomedizin-Konvention),[13]
Übereinkommen über die Fälschung von Arzneimittelprodukten und ähnlichen Verbrechen, die eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellen,[14]
Übereinkommen gegen den Handel mit menschlichen Organen.[15]

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Insbesondere die Biomedizin-Konvention ist nicht unumstritten.[16] Die Konvention, die am 1.1.1999 in Kraft getreten ist, legt einen bioethischen Verhaltenskodex in den Bereichen Forschung, Reproduktionsmedizin und Organtransplantationen fest. Deutschland und Österreich haben nach wie vor weder die Konvention, noch die Zusatzprotokolle unterzeichnet.

3. Kapitel Europäisches GesundheitsrechtC. Gesundheitsrecht im Rahmen der Tätigkeit des Europarats › IV. Entscheidungen des EGMR mit Bezug zum Gesundheitsrecht

IV. Entscheidungen des EGMR mit Bezug zum Gesundheitsrecht

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Eine vollständige Darstellung der Rechtsprechung des EGMR mit Bezug zum Gesundheitsrecht ist an dieser Stelle nicht möglich. Im Folgenden kann nur auf einige der in neueren Entscheidungen des Gerichtshofs erörterten Problemkreise stichwortartig hingewiesen werden.[17]

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In Bezug auf Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) wurden unter anderem der Umfang des Schutzes des ungeborenen Lebens,[18] die Vorenthaltung medizinischer Behandlungen[19] bzw. deren Abbruch[20] sowie die Beihilfe zum Selbstmord[21] geprüft. Darüber hinaus wurden Fragen im Zusammenhang mit den ärztlichen Sorgfaltspflichten[22] sowie im Hinblick auf den Umfang der ärztlichen Schweigepflicht im Spannungsverhältnis zum Schutz des Lebens anderer[23] erörtert.

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Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) umfasst auch das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Herangezogen wurde diese Bestimmung unter anderem bei der zwangsweise erfolgten Verabreichung eines Brechmittels[24] bzw. Urinprobe mittels Katheter,[25] der Durchführung einer Sterilisation,[26] dem Umgang mit psychischen Erkrankungen[27] sowie im Hinblick auf den Umfang bzw. die Verweigerung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen, so etwa im Hinblick auf genetische Tests bzw. eines Schwangerschaftsabbruchs[28] oder im Zusammenhang mit nicht zugelassenen Arzneimitteln.[29] Eine reichhaltige Kasuistik existiert auch bei untergebrachten oder inhaftierten Personen und den diesbezüglichen Umständen[30] so etwa im Zusammenhang mit einer gynäkologischen Untersuchung eines weiblichen Häftlings in Anwesenheit männlicher Sicherheitsbeamter[31] oder im Hinblick auf eine Vorenthaltung einer Drogensubstitutionsbehandlung.[32]

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Im Hinblick auf Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) stellten sich im Gesundheitsbereich wiederholt Fragen betreffend einer zwangsweise erfolgten Unterbringung in einem Krankenhaus bzw. einer psychiatrischen Einrichtung und der damit verbundenen Freiheitsentziehung und Behandlung des Betroffenen.[33]

113

In Bezug auf Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) wurden zahlreiche innerstaatliche Verfahren vor allem im Hinblick auf ihre Verfahrensdauer, aber auch in Bezug auf die Rechtsanwendung und Beweiswürdigung der jeweiligen Gerichte überprüft. Hiervon waren auch wiederholt Verfahren im Gesundheitsbereich betroffen, neben einschlägigen Haftungs- und Strafverfahren[34] auch Verfahren im vertragsärztlichen Bereich[35] sowie im Hinblick auf die Frage der Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit.[36]

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Die Bestimmung des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) wurde unter anderem herangezogen bei der Präimplantationsdiagnostik,[37] der künstlichen Fortpflanzung,[38] der Leihmutterschaft,[39] der Durchführung einer Hausgeburt,[40] der Geburt unter Anwesenheit von Studenten,[41] bei einem Schwangerschaftsabbruch[42] bzw. dessen Verweigerung,[43] der Verweigerung zur experimentellen Stammzellentherapie,[44] zur Substitutionstherapie,[45] zur Herausgabe beschlagnahmter eingefrorener Embryonen,[46] zur Durchführung eines Vaterschaftstests,[47] einer Sterilisation,[48] einer geschlechtsverändernden Operation[49] oder sonstigen medizinischen Eingriffen, so etwa an einem behinderten Kind gegen den Willen der Mutter[50] oder bei untergebrachten oder inhaftierten Personen.[51] Wiederholt stellte sich auch die Frage der Vertraulichkeit der Gesundheitsdaten,[52] der Herausgabe medizinischer Befunde bzw. Überlassung von Kopien der Behandlungsdokumentation.[53] Ferner wurde die Bestimmung auch im Zusammenhang mit dem Recht auf ein menschenwürdiges Sterben bzw. auf Sterbehilfe[54] geprüft. Schließlich beschäftigte sich der Gerichtshof auch mit der Frage der Berufszulassung als Rechtsanwalt bei gleichzeitiger Tätigkeit als Arzt.[55]

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Im Hinblick auf Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) setzte sich der Gerichtshof unter anderem auseinander mit den auf Grundlage von ärztlichen Standesregeln bestehenden Werbebeschränkungen[56] sowie mit der internen und öffentlichen Kritik eines Arztes an von Kollegen durchgeführten Behandlungen[57] und im Zusammenhang mit der Offenlegung von Pflegemissständen.[58] Wiederholt stellte sich auch die Frage des Umfangs der freien Meinungsäußerung im Zusammenhang mit gezielten Aktionen von Abtreibungsgegnern vor gynäkologischen Arztpraxen.[59]

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