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5. Kapitel Infektionsschutzrecht › IV. Verhütung übertragbarer Krankheiten

IV. Verhütung übertragbarer Krankheiten

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Schutzimpfungen i.S.v. § 2 Nr. 9 IfSG sind grundsätzlich freiwillige Maßnahmen (zu den Ausnahmen s. Rn. 26 f.). Die STIKO gibt regelmäßig Empfehlungen zu den unterschiedlichsten Schutzimpfungen und auch die erwartenden Impfrisiken und Impfreaktionen heraus. Die Empfehlungen der STIKO gelten als Standard im Rechtssinne. Die obersten Landesgesundheitsbehörden können diese Empfehlungen der STIKO für ihre eigenen öffentlichen Empfehlungen übernehmen, sind aber nicht an ihre Inhalte gebunden (§ 20 Abs. 3 IfSG). Gem. § 20i SGB V haben gesetzlich krankenversicherte Personen einen Anspruch auf Schutzimpfungen i.S.v. § 2 Nr. 9 IfSG. Die Einzelheiten sind in Richtlinien des G-BA (i.d.F. v. 17.10.2019)[1] gem. § 92 SGB V auf Grundlage der Empfehlungen der STIKO festgelegt. In der Anlage 1 zu diesen Richtlinien sind die einzelnen Impfungen mit Erläuterungen u.a. zu den Indikationen und Hinweisen, ob sie Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV sind, beschrieben. Der normative Charakter der STIKO-Empfehlungen spiegelt sich in § 13 der Richtlinie wider, wonach der G-BA innerhalb von drei Monaten nach einer Änderung der Empfehlungen die Richtlinie zu aktualisieren hat. Im Rahmen der PKV übernehmen die meisten Unternehmen ebenfalls die Kosten für die von der STIKO empfohlenen Impfungen.

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Regelmäßig gibt es immer wieder Diskussionen um den Sinn und die Rechtmäßigkeit einer Impfpflicht. Durch das Präventionsgesetz[2] wurde 2015 das Infektionsschutzgesetz geändert. Eltern mussten seitdem bei der Kita-Anmeldung nachweisen, dass eine ärztliche Beratung über einen ausreichenden Impfschutz vorliegt. Wenn der Nachweis nicht erbracht wird, benachrichtigt die Kita-Leitung das Gesundheitsamt. Das wiederum nimmt Kontakt mit den Eltern auf und mahnt sie, diese Beratung in Anspruch zu nehmen. Das BMG wurde ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann insoweit eingeschränkt werden.[3] Solange das BMG von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass dieser Rechtsverordnung ermächtigt. Wird festgestellt, dass eine Person in einer Gemeinschaftseinrichtung erkrankt ist, dessen verdächtig oder ansteckungsverdächtig ist, kann die zuständige Behörde Personen, die weder einen Impfschutz, der den Empfehlungen der STIKO entspricht, noch eine Immunität gegen Masern durch ärztliche Bescheinigung nachweisen können, Tätigkeiten untersagen, bei denen Kontakte zu den dort Betreuten bestehen sowie Betreuten Betretungs-, Benutzungs- und Teilnahmeverbote erteilen, bis eine Weiterverbreitung der Krankheit in der Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr zu befürchten ist (§ 28 Abs. 2 IfSG). Auch Nichtstörer können zu diesen Maßnahmen herangezogen werden. Ziel ist es, die Infektionskette zu unterbrechen. Maßnahmen nach § 28 IfSG werden auf Vorschlag des Gesundheitsamts von der zuständigen Behörde angeordnet. Bei Gefahr im Verzug kann das Gesundheitsamt auch selbst handeln. Widerspruch und Klage haben keine aufschiebende Wirkung. §§ 33–35 IfSG beinhalten besondere Vorschriften für Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen, wie Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen, Kinderhorten oder sonstigen Ausbildungsorten tätig sind. Diese besonderen Vorschriften richten sich auch an die Besucher/Nutzer dieser Einrichtungen. So können etwa auch Schulbesuchsverbote ausgesprochen werden.[4]

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Anfang 2019 stieß der SPD Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Diskussion um eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern angesichts des weltweiten Anstiegs der gemeldeten Erkrankungen erneut an. Gesundheitsminister Jens Spahn nahm die Initiative auf. Am 1.3.2020 ist das Gesetz für den Schutz vor Masern zur Stärkung der Impfprävention in Kraft getreten. Die Regelungen finden sich jetzt in § 20 Abs. 8–14 IfSG. Darin wird u.a. für bestimmte Personenkreise, z.B. Kindergartenkinder und Schüler, eine Impfpflicht zum Schutz vor Masern eingeführt (dazu unten Rn. 26 f.). Das Meinungsbild hierzu ist sehr unterschiedlich.[5] In der früheren DDR gab es eine entsprechende Impfpflicht. Dies schlägt sich auch in Umfragen nieder. Die ostdeutsche Bevölkerung steht der (Wieder-)Einführung einer Impfpflicht wesentlich offener gegenüber als der Rest der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Aber auch in der „alten“ Bundesrepublik gab es bis weit in die siebziger Jahre hinein – von vielen vergessen – eine Impfpflicht gegen Pocken, die im Übrigen vom Bundesverwaltungsgericht als mit dem GG vereinbar eingestuft wurde.[6] Sie wurde formell erst 1982 aufgehoben[7], nachdem die WHO Pocken weltweit als ausgerottet deklariert hat. Andere Länder in Europa, wie etwa Tschechien oder Italien, haben eine entsprechende Impfpflicht zum Schutz vor Masern, aber deshalb keineswegs eine bessere Durchimpfungsrate als Deutschland. Während die organisierte Ärzteschaft einer Impfpflicht wohl eher positiv gegenübersteht, sehen es einige Gesundheitspolitiker eher zurückhaltend, so etwa die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Hummel „Überzeugung ist besser als Zwang“. Ähnlich zurückhaltend äußert sich der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme v. 27.6.2019.

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Das Grundgesetz können Impfgegner wohl nicht für ihre Position in Anspruch nehmen.[8] Das gilt sowohl für Art. 2 Abs. 2, Art. 4 und Art. 6 Abs. 2 GG. Hinsichtlich Art. 2 Abs. 2 GG ist zunächst der Parlamentsvorbehalt gewahrt. Der Schutz der Bevölkerung vor aggressiv ansteckenden und gefährlichen Infektionskrankheiten, der nur mit einer Steigerung der Impfquote zur Herbeiführung der sog. „Herdenimmunität“ erfolgreich gewährleistet werden kann, hat auch verfassungsrechtlich einen hohen Stellenwert.[9] Die Impfung ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Das Risikopotential der Masernimpfung ist nachweislich verschwindend gering.[10] Das Grundrecht auf elterliche Sorge schützt nicht nur die Entscheidungshoheit der Personensorgeberechtigten, i.d.R. der Eltern, sondern verpflichtet sie auch, gesundheitliche Gefahren von ihren Schutzbefohlenen abzuwenden.[11] Vor dem Hintergrund des unbestreitbaren individuellen Nutzens der Impfung für den Impfling, gerade im Kleinkindalter, lässt die Verweigerung von Eltern, ihren Kindern diesen Schutz zuzubilligen und sich dabei auch noch auf Art. 6 Abs. 2 GG zu berufen, als rechtsmissbräuchlich einordnen.[12] Art. 4 GG wäre durch die Einführung einer Impfpflicht ebenfalls nicht verletzt. Dieses Grundrecht steht zwar nicht unter einem Gesetzesvorbehalt, ist jedoch keineswegs schrankenlos. So kann sich wohl niemand auf Art. 4 GG berufen, wenn seine Handlungen offensichtlich dem deutschen ordre publique widersprechen, wie etwa das Schächten von Tieren oder die Diskriminierung von Frauen oder die Vielweiberei[13]. Dies gilt im Hinblick auf die Impfdiskussion erst recht, wenn sie insoweit mit längst widerlegten Argumenten, Verschwörungstheorien und Leugnung epidemiologischer Erkenntnisse geführt wird.

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