Читать книгу Allgemeines Verwaltungsrecht - Thorsten Siegel - Страница 158
I. Steuerung der öffentlichen Verwaltung durch Gesetze
Оглавление190
Das Handeln der öffentlichen Verwaltung wird insbes. durch Gesetze gesteuert, welche von der Verwaltung nach dem Vorrang des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch beachtet werden müssen (s.o. Rn 181 ff). Diese Steuerung kann allerdings unterschiedlich intensiv ausgestaltet sein. Am schwächsten ist sie bei der sog. „gesetzesfreien“ Verwaltung (s.o. Rn 24). Dabei sei aber nochmals betont, dass die „Gesetzesfreiheit“ hier eher theoretischer Natur ist. Denn zum einen sind weite Bereiche der Verwaltungstätigkeit durchnormiert, und an vorhandene Gesetze ist die Verwaltung stets gebunden. Zum anderen greifen auch bei fehlender Steuerung durch Gesetze die verfassungsunmittelbaren Handlungsmaßstäbe ein (s.o. § 7). Umgekehrt ist die Steuerung am stärksten, wenn der Verwaltung beim Gesetzesvollzug keine Handlungsspielräume zuerkannt werden, sondern sie vielmehr im Sinne einer „wenn, dann“-Regel handeln muss. Eine solche intensive Steuerung wird daher auch als konditionale Programmierung der Verwaltung, die hier zu treffende Entscheidung als gebundene bezeichnet[1].
Beispiel:
Die Bauordnungen der Länder sehen vor der Erteilung einer Baugenehmigung ein bestimmtes Prüfprogramm vor. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist die Baugenehmigung zu erteilen (etwa nach § 71 Abs. 1 S. 1 BauO Bln)[2].
191
Zwischen der „gesetzesfreien“ Verwaltung und der konditional programmierten Verwaltung sind diejenigen Konstellationen angesiedelt, in denen die Verwaltung zwar durch Gesetze gesteuert wird, ihr jedoch nach der normativen Ausgestaltung ein Handlungsspielraum zuerkannt wird. Da hier aber zumindest die Zielsetzung durch den Gesetzgeber vorgegeben wird, kann eine solche Steuerung auch als finale Programmierung der Verwaltung bezeichnet werden.
Beispiel zu Fall 4:
Im Polizei- und Ordnungsrecht sind viele Eingriffsbefugnisse der zuständigen Behörden vorgesehen. Insbes. „können“ nach den polizeilichen Generalklauseln die zuständigen Behörden die „notwendigen Maßnahmen“ treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren (etwa nach § 17 Abs. 1 ASOG Berlin)[3]. Die Steuerung der Verwaltung ist hier in zumindest zweierlei Hinsicht nicht abschließend: Zum einen wird nicht vorgegeben, um welche Maßnahmen es sich genau handeln kann, der Begriff ist vielmehr offen. Zum anderen „können“ die Maßnahmen getroffen werden, sie müssen es also nicht. Bei der Interpretation dieser Begriffe muss sich die Verwaltung vom zentralen Ziel der Gefahrenabwehr leiten lassen.
192
Solche Entscheidungsspielräume können sowohl auf der Tatbestandseite als auch auf der Rechtsfolgenseite angesiedelt sein. Auf der Tatbestandsseite kommen Entscheidungsspielräume bei sog. unbestimmten Rechtsbegriffen in Betracht. Darunter sind solche Rechtsbegriffe zu verstehen, die zunächst durch Auslegung präzisiert werden müssen. Da aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch der Grundsatz vollständigen Rechtsschutzes abzuleiten ist, sind solche Beurteilungsspielräume auf der Tatbestandsseite aber nur in besonderen Ausnahmekonstellationen anzuerkennen (hierzu sogleich unter II.)[4].
193
Die Entscheidungsspielräume können aber auch auf der Rechtsfolgenseite angesiedelt sein. Typische Formulierungen lauten hier, dass die Verwaltung bestimmte Maßnahmen „darf“ oder „kann“. Sie finden sich etwa in der bereits unter Rn 191 angesprochenen polizeilichen Generalklausel. Die auf der Rechtsfolgenseite angesiedelten Handlungsspielräume werden als Ermessensspielraum bezeichnet (hierzu sowie zu den Modifizierungen unter III.). Schließlich können unbestimmte Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite und Ermessenspielräume auf der Rechtsfolgenseite auch kombiniert werden. Dann handelt es sich um sog. Koppelungsvorschriften (hierzu unter IV.).