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2 Wahrnehmung

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Herr F. betritt wie bei jedem Heimspiel seiner Lieblingsfußballmannschaft das Stadion. Die hellen Flutlichter und Werbedisplays im Stadion blenden ihn. Unschwer ist an den Fahnen, Schals, Trikots und Gesängen zu erkennen, dass Herr F. das Stadion und den Block mit den Fans seiner Lieblingsmannschaft erreicht. In einem Block auf der gegenüberliegenden Stadiontribüne sind die Fans der Gästemannschaft zu erkennen. Schon am Eingang des Stadions hat Herr F. einige Bekannte getroffen und im Fanblock seiner Mannschaft kommen weitere bekannte Gesichter dazu.

An dieser kurzen Beschreibung vom Betreten des Stadions unseres Protagonisten können einige interessante Fragen abgeleitet werden, die wir in diesem Kapitel beantworten werden:

• Welche physiologischen Prozesse kennzeichnen unsere visuelle Wahrnehmung, die dazu führen, dass Herr F. beim Betreten des Stadions geblendet wird?

• Wie werden Farben durch das physiologische System verarbeitet und repräsentiert? Immerhin kann Herr F. die verschiedenen Farben der Fans, sowohl der eigenen als auch der gegnerischen Mannschaft, unterscheiden.

• Allerdings sind es nicht nur die Farben der Mannschaften, sondern auch die Ordnung, mit der sich die Fans im Stadion und in den Blöcken gruppieren und welche die Fangruppen voneinander unterscheidbar macht. Dazu kann Herr F. verschiedene Objekte, wie Schals, Fahnen oder Trikots wahrnehmen, erkennen und benennen. Wie aber werden solche Objekte wahrgenommen und erkannt?

• Daran angeschlossen ist die Frage: Wie ist es möglich, bekannte Gesichter zu erkennen und zu identifizieren? In der Forschung wurden große Anstrengungen unternommen, gerade die Besonderheiten der Gesichtserkennung darzustellen.

Der Hauptteil des Kapitels wird sich mit der visuellen Wahrnehmung auseinandersetzen; an der kurzen Beschreibung haben wir deren Bedeutung beim Stadionbesuch gesehen. Aber wir beschäftigen uns in gesonderten Textboxen auch mit der auditiven Sinnesmodalität. Für detaillierte Ausführungen zu anderen Sinnesmodalitäten, wie dem Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn, muss auf andere Stellen verwiesen werden (Goldstein, 2015).

Die hier dargestellten Sinnesmodalitäten und ihre Wahrnehmungseigenschaften werden aus drei Perspektiven behandelt: die neurophysiologische Perspektive, die beschreibende Perspektive und die erklärende Perspektive. Die neurophysiologische Perspektive beschreibt die essentielle Frage nach der Beziehung zwischen physikalischer Energie eines Reizes und seiner Reizdimensionen (z. B. Helligkeit und Farbigkeit von Licht, Lautstärke von Tönen) sowie den Erregungsprozessen der Sinnesorgane und des Nervensystems. Die beschreibende Perspektive definiert sich vornehmlich über die Gestaltpsychologie und die stark methodisch orientierte Psychophysik mit der Fragestellung: Welche Beziehung besteht zwischen einfachen physikalischen Dimensionen von Wahrnehmungsreizen und dem Wahrnehmungseindruck? Die Antwort lautet: Durch diese Beziehung wird vor allem eine Relation zwischen den objektiven physikalischen Eigenschaften und den subjektiven Empfindungen hergestellt. Allerdings sehen die neurophysiologische und die beschreibende Perspektive die kausale Rolle der Wahrnehmung insbesondere in den Reizeigenschaften.

In der erklärenden Perspektive werden außerdem kognitive Prozesse formuliert, die die Wahrnehmung zusätzlich zu den Reizeigenschaften kausal beeinflussen. Dadurch wird beispielsweise der Fakt berücksichtigt, dass nicht nur Reize in das Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass deren Wahrnehmung durch die im Gedächtnis repräsentierte Informationen beeinflusst werden. Im Fall unseres Stadionbesuchs nimmt Herr F. nicht nur Gesichter wahr, sondern er erkennt die Gesichter auch als bekannt und ruft eventuell dazugehörige Informationen, wie den Namen der Person, ab. Dieser Fall zeigt, dass Reizinformationen nicht nur einfach in unser Wahrnehmungssystem aufgenommen werden, sondern dass diese Informationen zusätzlich durch das Wahrnehmungssystem bearbeitet werden. Diese Bearbeitung bestimmt ebenfalls unseren subjektiven Erlebniseindruck.

Aus diesem Ansatz können wir die folgenden grundlegenden Fragen ableiten: Wieweit können wir unserem subjektiven Erlebniseindruck überhaupt glauben? Wieweit stellt dieser Eindruck ein Abbild der objektiven und physikalischen Umwelt dar? Drastisch aufgenommen wurde diese Frage in der Matrix-Filmreihe (»The Matrix« [1999], »Matrix Reloaded« [2003] und »Matrix Revolution« [2003]) mit Keanu Reeves und Laurence Fishburne in den Hauptrollen. Es ist die zentrale Idee dieser Filmreihe, dass die Computer die Kontrolle über den menschlichen Geist und den Verstand übernehmen. Die Fähigkeit dieser Übernahme erlaubt es den Computern, Menschen eine beliebige virtuelle Realität wahrzunehmen zu lassen und die geistige Freiheit zu simulieren. Menschen sind also lediglich Gefangene in einer computergenerierten Umwelt. Auf einer gewissen Abstraktionsebene greifen die Matrix-Filme damit eine Reihe von Fragen auf, die (vielleicht nicht ganz so drastisch, aber annähernd) so auch in der erklärenden kognitiven Wahrnehmungspsychologie gestellt werden: Wieweit sind unsere subjektiven Wahrnehmungseindrücke eine eins-zu-eins-Abbildung unserer äußeren Umwelt? Was von unseren Eindrücken existiert überhaupt in unserer objektiven Umwelt? Wie können wir wissen, was in dieser Umwelt vorhanden oder nicht vorhanden ist? Übertragen auf die Wahrnehmungspsychologie werden wir uns also damit beschäftigen, wie Reizinformationen systematisch durch kognitive Prozesse und deren Mechanismen moduliert werden und somit unsere subjektive Wahrnehmung beeinflussen.

Kognitive Psychologie

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