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1.2.1 Das Experiment

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Wie kann man detaillierte Aussagen zu kognitionspsychologischen Theorien treffen? Diese Frage ist besonders wichtig, da kognitive Prozesse nicht einfach von außerhalb des Menschen beobachtbar und zugänglich sind. In der Konsequenz stehen nur die Methoden Beobachtung und Experiment für die kognitive Forschung zur Verfügung. Die Beobachtung ist vor allem dann sinnvoll, wenn man das psychologische Geschehen in seiner Komplexität und seiner naturwüchsigen Dynamik untersuchen möchte. Das Experiment ist dagegen zu bevorzugen, wenn man die Kausalität von kognitiven Mechanismen im Einzelnen erforschen will. Dazu werden Bedingungen geschaffen, unter denen die Wirksamkeit einzelner Faktoren selektiv betrachtet werden kann; diese gezielte Selektion von Faktoren ist mit der Beobachtung nicht möglich. Das Experiment ist deshalb die Forschungsmethode für die Kognitive Psychologie. Im Rahmen dieser Methode werden oft künstlich vereinfachte Aufgaben unter verschiedenen Bedingungen hergestellt, die im Labor untersuchbar und für eine Fragestellung relevant sind. Diese Aufgaben haben das Ziel, den Einfluss bestimmter Faktoren auf kognitive Prozesse sinnvoll zu erforschen. Die verschiedenen Bedingungen stellen die unabhängigen Variablen dar. Abhängig von diesen Variablen sind neben subjektiven Daten (z. B. die Empfindung der Helligkeit eines Lichts oder der emotionale Zustand einer Person unter verschiedenen Bedingungen) auch Verhaltens- und neurophysiologische Daten (z. B. die Geschwindigkeit und Fehleranfälligkeit bei Entscheidungen zwischen Alternativen oder die Aktivität in bestimmten Gehirnarealen), das sind die abhängigen Variablen.

Schauen wir uns ein typisches Experiment der Kognitiven Psychologie im Detail an: In diesem Experiment mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe ( Kap. 6.2.3) sitzen Versuchspersonen vor einem Computerbildschirm. Ihnen werden, über viele Durchgänge hinweg, präzise und softwaregesteuert gängige deutsche Wörter (z. B. Juli) oder sinnlose Buchstabenketten (z. B. Jusa) präsentiert. Die Aufgabe der Versuchspersonen ist es, so schnell und fehlerfrei wie möglich per Tastendruck für die Zielreize zu entscheiden, ob es sich um ein gängiges Wort oder um eine sinnlose Buchstabenkette (d. h. ein Nicht-Wort) handelt. Vor jedem Zielreiz wird für einen sehr kurzen Moment (z. B. 100 ms) ein anderes Wort an derselben Position auf dem Computerbildschirm präsentiert, dieses Wort wird als Prime bezeichnet. Die entscheidende Manipulation in diesem Experiment ist es nun, dass diese Primes entweder in einer deutlichen inhaltlichen (semantischen) Beziehung oder in keiner inhaltlichen Beziehung zu den gängigen deutschen Wörtern stehen. Die Variable »inhaltliche Beziehung« mit ihren Ausprägungen mit und ohne inhaltliche Beziehung ist die unabhängige Variable. Ein Beispiel: Den Zielreizen Juli oder Jusa könnte der Prime Juni oder Wald vorangehen. Führt man das Experiment durch und analysiert die Reaktionszeiten (abhängige Variable), so stellt man fest, dass die Versuchspersonen auf die gängigen Wörter etwas schneller reagieren, wenn diesen Wörtern ein Prime mit einer inhaltlichen Beziehung vorangeht, im Vergleich zu den Reaktionen in Durchgängen mit Primes ohne inhaltliche Beziehung zum gängigen Wort (Meyer & Schvaneveldt, 1971).

Dieser Befund wird in der Regel als Nachweis dafür interpretiert, dass das semantische Gedächtnis im Langzeitgedächtnis Begriffe nicht isoliert repräsentiert, sondern dass diese Repräsentationen sprachähnlich und hinsichtlich ihrer Semantik miteinander vernetzt sind. Wird in einem Experiment mit lexikalischer Entscheidungsaufgabe der Prime Juni präsentiert, wird die Repräsentation dieses Begriffs aktiviert. Diese Aktivierung breitet sich nachfolgend über die Repräsentation des Prime-Begriffs hinaus auf Repräsentationen umliegender Begriffe mit einer inhaltlichen Beziehung aus, wie z. B. auf Juli. Durch diese Aktivierung ist der Begriff Juli leichter zugänglich und kann effizienter als ein Wort erkannt werden. Wenn ein Prime ohne inhaltliche Beziehung präsentiert wird (z. B. Wald), dann wird der nachfolgende Begriff Juli im Vergleich dazu schwerer zugänglich und kann weniger effizient als ein Wort kategorisiert werden (mehr zum semantischen Gedächtnis Kap. 6.2.3).

Werfen wir noch einen Blick auf die relevante abhängige Variable des obigen Experiments. In diesem Experiment werden vornehmlich die Reaktionszeiten analysiert. Genauer gesagt, es erfolgt eine Analyse von Reaktionszeiteffekten als Differenzen zwischen Reaktionszeiten unterschiedlicher Bedingungen (Reaktion auf gängige Wörter mit [1] Primes mit inhaltlicher Beziehung und [2] Primes ohne inhaltliche Beziehung). In diesem Experiment werden außerdem computergesteuert relativ einfach Fehlerraten im Kategorisieren von Zielreizen in Wort oder Nicht-Wort mit aufgenommen, diese Fehlerdaten bzw. Fehlereffekte können dann ebenfalls analysiert werden. Eine andere Version des Experiments könnte folgendermaßen aussehen: Den Versuchspersonen wird ein Prime-Wort (z. B. Juni) vorgegeben. Sie werden instruiert, das erste Wort zu nennen, das ihnen als Assoziation aus dem Gedächtnis einfällt. Plausibel ist, dass unter diesen Umständen relativ häufig das Wort Juli genannt wird. In dieser Version mit semantischem Priming werden dann weniger Reaktionszeiten und Fehlerdaten analysiert, sondern das Augenmerk wird auf die Nennung von Wörtern aus dem Gedächtnis gelegt (ähnlich wie eine Gedächtnisleistung). Reaktionszeiten, Fehlerdaten oder Gedächtnisleistung zählen zu den eher verhaltensbezogenen Variablen, da sie anhand von äußerem Verhalten leicht zu beobachten und aufzunehmen sind.

Ein Nachteil vieler verhaltensbezogener Daten ist, dass es in jedem Versuchsdurchgang nur einen Datenpunkt gibt (z. B. eine Reaktionszeit). Der Datenpunkt lässt keine direkten Schlüsse darüber zu, wie er sich generiert. Das bedeutet, dass entlang einer Zeitachse keine Aussagen darüber getroffen werden können, wodurch beispielsweise Reaktionszeiteffekte entstehen. Es bleibt offen, ob diese Effekte eher auf einer sehr frühen Verarbeitungsstufe (z. B. bei Wahrnehmungsprozessen zur Aufnahme von Informationen) oder einer relativ späten Verarbeitungsstufe entstehen (z. B. bei Prozessen zum Abruf aus dem Gedächtnis). Eine mögliche Methode zur Differenzierung zwischen frühen und späten Effekten ist die Methode zur Messung von Elektroenzophalogrammen (EEG). Über viele Experimentaldurchgänge hinweg wird dabei die hirnelektrische Aktivität durch auf der Kopfhaut platzierten Elektroden gemessen. Durch Mittelung dieser Aktivitäten über alle Durchgänge entstehen typische Verläufe der hirnelektrischen Aktivität. Am Beispiel der Aufgabe mit semantischem Priming zeigt sich etwa 400 ms nach Präsentation des Zielwortes eine höhere negative Aktivierung, wenn zuvor ein Prime mit inhaltlicher Beziehung präsentiert wurde im Vergleich zu Durchgängen mit Primes ohne diese Beziehung (Grossi, 2006). Dieser zeitliche Verlauf kann Auskunft darüber geben, auf welcher Stufe der Verarbeitung ein Prime mit inhaltlicher Beziehung wirkt und wie sein Effekt erklärt werden kann. Auch zeigen die Positionen der Elektroden über der Kopfhaut an, in welchen Gehirnstrukturen dieser Effekt lokalisiert sein könnte. Eine noch genauere Lokalisation dieser Effekte lässt die Methode der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) zu.

EEG und fMRT sind typische Methoden der Kognitiven Neuropsychologie. Vereinfacht gesagt hat die Kognitive Neuropsychologie das Ziel, kognitive Funktionen im Gehirn zu lokalisieren und damit zur kognitiven Theorienbildung beizutragen. Allerdings ist dieses Buch, mit einigen wenigen Ausnahmen (z. B. in der Wahrnehmungspsychologie in Kapitel 2.1), eher auf die Kognitive Psychologie und auf verhaltensbezogene Daten ausgerichtet. Deshalb wird hier nicht näher auf die Kognitive Neuropsychologie und auf neurokognitive Methoden eingegangen. Vielmehr wird auf das einführende Lehrbuch von Solso, MacLin und MacLin (2008) verwiesen.

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