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2.1.3 Der primäre visuelle Kortex und höhere kortikale visuelle Verarbeitung

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Die Weiterverarbeitung der visuellen Informationen erfolgt per Weiterleitung der Axone der Zellen des CGL in den primären visuellen Kortex, der im Hinterhauptlappen lokalisiert ist. Der primäre visuelle Kortex besteht aus ca. 200 Millionen Zellen (im Vergleich zu ca. 1 Millionen Ganglienzellen aus dem Auge und ca. 1.5 Millionen Zellen des CGL). Diese Zellen sind unterschiedlich: Es gibt einfache Zellen, komplexe Zellen und hyperkomplexe Zellen.

Einfache Zellen weisen eher längliche rezeptive Felder auf und reagieren (durch ihren Zentrum-Peripherie-Antagonismus) mit besonders hoher Entladungsfrequenz auf die Hell-Dunkel-Kontraste, die eine ganz bestimmte Orientierung haben. Die Entladung nimmt ab, je stärker die Orientierung des Kontrasts von der Zelle präferierten Orientierung abweicht.

Auch komplexe Zellen reagieren präferiert auf Kontraste mit bestimmten Orientierungen. Präferiert werden bewegte Reize in eine bestimmte Richtung. Anders als einfache Zellen ist die Entladungsfrequenz komplexer Zellen unabhängig von bestimmten Bereichen, auf die innerhalb des rezeptiven Feldes projiziert wird. Die rezeptiven Felder komplexer Zellen sind größer als die Felder einfacher Zellen.

Das Verhältnis zu den hyperkomplexen Zellen ist noch größer. Auch sie reagieren bevorzugt auf sich bewegende Kontraste in einer bestimmten Richtung und Orientierung. Aber die Entladungsfrequenz wird reduziert, wenn die Kontraste eine bestimmte Ausdehnung überschreiten.

Für alle einfachen, komplexen und hyperkomplexen Zellen gilt, dass sie bevorzugt auf Stimulationen von nur einem Auge reagieren.

Zwei Eigenschaften des CGL lassen sich auch im primären visuellen Kortex finden: der kortikale Vergrößerungsfaktor und die retinotope Anordnung ( Abb. 2.4). Reizinformationen aus dem Bereich der Fovea nehmen im primären visuellen Kortex einen weitaus größeren Raum ein als Reizinformationen, die aus peripheren Retinabereichen mit vergleichbarer Größe stammen. Die unterschiedlichen Größenverhältnisse zwischen fovealen und peripheren Repräsentationen sind folglich assoziiert mit den unterschiedlichen Auflösungsfähigkeiten der entsprechenden Netzhautverhältnisse. Des Weiteren werden benachbarte Bereiche auf der Retina und ähnliche Orientierungen in benachbarten Arealen und Zellen im primären visuellen Kortex verarbeitet, das ist ein Ausdruck der retinotopen Anordnung im primären visuellen Kortex.

Ab dem primären visuellen Kortex gibt es verschiedene Verarbeitungsströme in andere Kortexareale zur weiteren Verarbeitung visueller Informationen. Vom primären visuellen Kortex ausgehend ist der Informationsfluss nicht nur vorwärtsgerichtet, sondern auch komplex wechselseitig und rückwärtsgerichtet. Ein Beispiel für rückwärtsgerichtete Verarbeitung haben wir schon bei der Verbindung zwischen CGL und dem primären visuellen Kortex gesehen. Ein zusätzliches Merkmal der Weiterverarbeitung von visuellen Informationen, die vom Auge zum primären visuellen Kortex und den anschließenden Kortexarealen erfolgt, ist die Spezialisierung. Für die Weiterverarbeitung ab dem primären visuellen Kortex bedeutet das, dass einzelne Reizdimensionen spezialisiert in bestimmten Kortexarealen verarbeitet werden. So konnte gezeigt werden, dass Ausfälle bestimmter Kortexareale (sogenannte Läsionen) zum Ausfall der Verarbeitung bestimmter Reizmerkmale führt. Beispielsweise können Läsionen in bestimmten Orten des Hinterhauptlappens zum Verlust der Farbwahrnehmung führen. Bildgebende neuropsychologische Verfahren bestätigen diese Beobachtung.


Abb. 2.4: Kortikaler Vergrößerungsfaktor und retinotope Repräsentation im primären visuellen Kortex. Retinale Areale mit größerer Auflösung und fovealer Lage werden in relativ größeren kortikalen Arealen verarbeitet. Außerdem findet die Verarbeitung benachbarter Areale auf der Retina in benachbarten Kortexarealen statt (aus Spada, 2017, S. 38, Abb. 2.10).

Zum Beispiel zeigt das Betrachten farbiger Felder im Vergleich zum Betrachten von Feldern mit unterschiedlichen Grautönen eine besonders hohe Aktivierung in einem Kortexareal im primären visuellen Kortex, das als V4 bezeichnet wird (Zeki, 1993). Entsprechend findet man besonders hohe Aktivierungen im Areal V5 beim Betrachten sich bewegender Felder im Vergleich zum Betrachten statischer Felder.

Die Spezialisierung im Verlauf der Verarbeitung von visueller Information zeigt eine extreme Ausprägung in Fällen, in denen bestimmte Kortexareale nicht nur spezifisch für bestimmte Reizdimensionen sind, sondern sogar spezifisch für bestimmte Objektklassen und einzelne Objekte. Eine Objektklasse mit hoher Expertise bei vielen Menschen sind Gesichter. Die visuelle Wahrnehmung von Gesichtern hat eine spezifische neuronale Verarbeitung. Beim Betrachten von Gesichtern zeigen sich dabei im Vergleich zu Objekten aus der Klasse Häuser, Stühle oder Schuhe eine stärkere Aktivierung mit einem besonderen Muster im ventralen Temporalkortex (dem sogenannten Gyrus fusiformis oder face area; Haxby et al., 2001). Die wohl extremste Form der Spezialisierung bei der visuellen Informationsverarbeitung sind einzelne Neuronen, die spezifisch auf Gesichter von nur bestimmten Personen reagieren. Genauer gesagt gibt es Beispiele von einzelnen Neuronen im medialen Temporallappen, die selektiv auf Gesichter berühmter Persönlichkeiten (z. B. Jennifer Aniston, Halle Berry) reagieren (Quiroga, Reddy, Kreiman, Koch & Fried, 2005). Die selektive Reaktion dieser Neuronen bleibt sogar aus, wenn diese Persönlichkeiten mit Gesichtern anderer Persönlichkeiten (z. B. Jennifer Aniston zusammen mit Expartner Brad Pitt) gezeigt werden.

Die zum Teil extreme Spezialisierung in der visuellen Verarbeitung führt uns aber zu folgenden Fragen: Wenn einzelne Merkmale (z. B. Farbe, Bewegung, Orientierung) in verschiedenen Kortexarealen repräsentiert und spezialisiert verarbeitet werden, wie wird sichergestellt, dass verschiedene Merkmale desselben Objekts als zusammengehörig erkannt werden? Und welcher Mechanismus ermöglicht eine korrekte Integration und Bindung dieser Merkmale? Konkret: Wie wird ein vornehmlich weißes Objekt mit zwei vertikal orientierten Kanten und einer horizontal orientierten Kante als Fußballtor erkannt? Eine mögliche Erklärung dieses sogenannten Bindungsproblems wäre, dass die Zugehörigkeit verschiedener visueller Reizmerkmale zum selben Objekt in der Gleichförmigkeit der Entladungsmuster in den beteiligten Kortexarealen kodiert wird (Engel, König, Kreiter, Schillen & Singer, 1992). Alle Zellen in Kortexarealen, die Merkmale desselben Objekts repräsentieren, weisen zum selben Zeitpunkt Entladungen im höheren Ausmaß auf als die Zellen, die Merkmale verschiedener Objekte repräsentieren.

Auf einer sehr globalen Betrachtungsebene finden sich bei der visuellen Informationsverarbeitung Hinweise für eine Weiterverarbeitung in zwei getrennten neuronalen Verarbeitungssystemen. Vereinfacht dargestellt verlaufen diese Verarbeitungsströme ausgehend vom primären visuellen Kortex zum Temporallappen (ventrale Route) und zum Parietallappen (dorsale Route). Nach dieser Modellvorstellung erfolgt die Erkennung von Objekten über den ventralen Pfad; aufgrund dieser Eigenschaft wird diese Route als Was-Pfad bezeichnet (Mishkin, Ungerleider & Macko, 1983). Der dorsale Pfad dagegen hat die Aufgabe, solche Merkmale zur Verfügung zu stellen, die mit der gezielten Interaktion mit diesem Objekt benötigt werden (z. B. Position und Bewegungsrichtung im Raum). Deshalb wird dieser Pfad als Wie-Pfad bezeichnet (Milner & Goodale, 2006).

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