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Auditive Szenenanalyse: Raumwahrnehmung und Gestaltgesetze in der auditiven Wahrnehmung

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Das obige Beispiel der Transformation von Melodien um einen konstanten Tonwert und des konstanten Erkennens dieser Melodien zeigt, dass Elemente der Gestaltpsychologie auch auf die auditive Wahrnehmung zutreffen. Genauer gesagt erkennt man auch in der sogenannten auditiven Szenenanalyse, dass Raumwahrnehmung möglich ist und Gestaltgesetze angewendet werden. Ein Beispiel für auditive Szenenanalyse: Wir können aus einer Live-Band oder einem live spielenden Orchester die einzelnen Instrumente auditiv trennen (z. B. können Schlagzeug, Bass und Gitarre beziehungsweise Geigen und Kontrabass voneinander unterschieden werden). Es ist auch möglich, aus einer Gruppe von verschiedenen gleichzeitigen Sprachsignalen einen bestimmten Sprecher zu segregieren (z. B. kann auf einer Cocktail-Party problemlos mit einem Gegenüber kommuniziert werden, obwohl im selben Raum viele andere Gespräche geführt werden und Musik läuft).

Die Fähigkeit zur auditiven Raumwahrnehmung ist erstaunlich, da auditive Reize zunächst keine räumliche Information enthalten, während visuelle Rauminformationen im Gegensatz dazu direkt aus der Verortung des Reizes auf der Retina erschlossen werden können. Allerdings findet in der auditiven Wahrnehmung, ähnlich zur visuellen Information, ein Vergleich zwischen dem linken und rechten Sinnesorgan (in der auditiven Wahrnehmung zwischen dem linken und rechten Ohr) statt. Aus diesem Vergleich können zwei Informationsarten zur räumlichen Repräsentation herangezogen werden: Die interaurale Zeitdifferenz beschreibt das Phänomen, dass der sich von einem Punkt ausbreitende Schall und die dazu gehörige Zeitdifferenz, mit der der Schall das linke und rechte Ohr erreicht, abhängig von der horizontalen Lage (dem sogenannten Azimut) der Schallquelle ist. Geht eine Schallquelle von einem Punkt aus, der gleich weit von den Ohren entfernt ist (z. B. mittig vor oder hinter einer Person), erreicht der Schall beide Ohren zum selben Zeitpunkt. Je weiter seitlich sich die Schallquelle befindet, desto ausgeprägter ist die Zeitdifferenz, mit der die Schallwellen an beiden Ohren eintreffen (maximal 0,6 bis 0,8 ms). Der interaurale Pegelunterschied ist eine zusätzliche Informationsart aus dem Vergleich des Signals in beiden Ohren. Durch eine Behinderung der Ausbreitung von Schallwellen am von der Schallquelle abgewandten Ohr (z. B. eine Behinderung durch die Kopfform) kommt es zu einer verminderten Lautstärke in diesem Ohr. Diese Lautstärkeunterschiede werden neben der interauralen Zeitdifferenz ebenfalls als Information zur räumlichen Verortung von Schallquellen auf der horizontalen Ebene herangezogen.

Die Schallwellen werden des Weiteren vor dem Erreichen des Trommelfells an den Ohrmuscheln im Außenohr und im Gehörgang reflektiert. Diese Reflektion ist abhängig vom Einfallswinkel, der zum einen aus der Vertikalebene, zum zweiten aus dem Azimut und zum dritten aus der individuellen kopfbezogenen Transferfunktion bestimmt wird. Diese Funktion ergibt sich aus der individuellen Form und Größe von Ohr und Gehörgang und führt zu einer individuellen Änderung des Frequenzspektrums durch eine räumliche Verlagerung der Schallquelle. Die individuelle Erfahrung hinsichtlich dieser systematischen Änderung stellt eine zusätzliche Informationsquelle für die auditive Raumwahrnehmung dar.

Vornehmlich an der Szenenanalyse kann verdeutlicht werden, wie der einkommende Schall so strukturiert wird, dass Zahl und Art der Schallquellen bestimmt werden können. Die wesentlichen Operationen sind dabei das Trennen von Schallanteilen aus verschiedenen Schallquellen und das Verbinden von Anteilen aus miteinander verbundenen Quellen. Ähnlich wie mit Gestaltgesetzen in der visuellen Domäne mit meist statischen Bildern gibt es auch in der auditiven Domäne Anteile, deren Verbindung durch Gestaltgesetze beschrieben werden können, hier allerdings eher dynamisch über die Zeit hinweg. Dabei geht man davon aus, dass maximal vier auditive Ströme gleichzeitig voneinander differenziert werden können (eine Beschränkung ähnlich der generellen Kapazitätsbeschränkungen im kognitiven System und im Arbeitsgedächtnis; Cowan, 2001). Es helfen Informationen aus Tonhöhe (z. B. eine tiefe männliche Sprechstimme oder eine hohe weibliche Sprechstimme), Klangfarbe (z. B. Klavier und Geige) und Ort der Schallquelle bei der Szenenanalyse (die Detektion des Ortes wurde im Kontext der auditiven Raumwahrnehmung beschrieben). Des Weiteren hilft der unterschiedliche Beginn von Tönen bei der Analyse dynamischer Szenen. Schon eine Asynchronie von zehn ms zwischen den Tonbeginnen reicht aus, um den Eindruck entstehen zu lassen, dass zwei Schallanteile von verschiedenen Quellen stammen. Außerdem gibt es in der auditiven Domäne das Prinzip der Nähe und der Ähnlichkeit (äquivalent zur visuellen Domäne). Dabei werden zeitlich nahe aufeinander folgende sowie ähnliche Töne (z. B. kleine Frequenzabstände) als zusammengehörig strukturiert und derselben Quelle in einer Szenerie zugeordnet (van Noorden, 1975).

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