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9 Ispettore Sperati

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Während Evas Rose und der Leichnam aus dem Fluss gleichsam welkten, befand sich Ispettore Sperati auf der Fahrt kreuz und quer durch die Stadt. Die Autopsie hatte ergeben, dass der Tote doch nicht ertrunken war. In seinen Lungen hatte sich kein Wasser befunden. Daraufhin wurde das Ufer nach eventuellen Spuren abgesucht. Weiter nördlich waren sie dann auf den wahrscheinlichen Tatort gestoßen. Das Blut des Opfers war noch auf dem Gehsteig verschmiert. Der DNA-Beweis fehlte zwar noch, aber die Blutgruppe stimmte. Es war so gut wie eindeutig. Und damit nicht genug, war der Tote nicht irgendein Tourist, er war der Sohn von Antonio Ciamberlano, dem Goldschmied des Papstes. Die Familie Ciamberlano war ein hochangesehenes Mitglied der Gesellschaft.

Der Wutausbruch seines Vorgesetzten war also zu erwarten gewesen. Aber wer hatte noch vor zwei Tagen ahnen können, dass sich die Sache so entwickeln würde. Da war man eben von einem Unfalltod ausgegangen - so wurde es auch an die Angehörigen weitergegeben - und im nächsten Moment war von Totschlag, oder sogar Mord, die Rede. Für seinen Vorgesetzten, den Primo Dirigente Marsella, war der Höhepunkt der Inkompetenz, dass kaum die Nachricht an die Familie übermittelt worden war, er sich für das bedauerliche Versehen entschuldigen musste.

Zur Strafe musste Sperati die Demütigung über sich ergehen lassen, dass so ein privater Handlanger von Antonio Ciamberlano ihm bis zum Abschluss der Untersuchungen auf die Finger sehen sollte. Mit sämtlichen Befugnissen ausgestattet, war dieser nun im Grunde der leitende Ermittler. Als ob er nicht schon genug am Hals hatte! Noch nie hatte er sich einer größeren „Beliebtheit“ seitens des Bürgermeisters erfreut. Auch der Polizeidirektor und das ganze Präsidium saßen ihm im Nacken. Aber zumindest hatten sie die Presse im Griff. Mehr als die ursprüngliche Version war nach außen nicht bekannt.

Dennoch fühlte er sich wie ein blutiger Anfänger. Unter all den wachsamen Augen sollte er den Gullideckel öffnen und den Dreck davon abhalten, sich über die Stadt zu ergießen. Er konnte nicht gewinnen, so oder so! Der Gestank würde bleiben, ob er den Fall aufklärte oder nicht - und vor allem auf ihm!

Laut der Autopsie hatte der Tote vorher noch Geschlechtsverkehr gehabt und war in eine Prügelei verwickelt gewesen. Schmutz-, Haut- und Faserpartikel sowie Haare, welche man an ihm gefunden hatte, stammten von den unterschiedlichsten Personen und Orten. Er hatte einen sehr kontaktfreudigen Abend gehabt, und es hatte im Rotlichtmilieu geendet.

Also war Sperati jetzt auf dem Weg dorthin. Wenn alles nach Plan lief und der zweite Eindruck nicht ebenfalls täuschte, konnte er Marsella nach diesem Besuch einen abgeschlossenen Fall vor die Füße werfen. Und er konnte froh sein, wenn er selbst nicht dabei zertrampelt werden würde. Die Angelegenheit war für alle Beteiligten äußerst heikel, nicht nur für die betroffene Familie. Sperati wusste nicht, wie er da wieder heil rauskommen sollte.

Sperati lenkte seinen Wagen in die breite Auffahrt und hielt vor dem ausladenden Gartentor. Die Villa ragte majestätisch inmitten einer gepflegten Gartenanlage. Es sah eher wie eine Adelsresidenz aus, und nicht wie ein gottverdammtes Bordell! Sperati drückte auf den Knopf der Fernsprechanlage. Er fragte sich, ob Oppia ihn nur vorführen wollte, als sie ihm ohne Umschweife und unverzüglich einen Termin gewährt hatte. Er klingelte erneut, diesmal länger. Keine fünf Sekunden später hörte er ein Rauschen. Eine verzerrte Männerstimme drang durch den Lautsprecher.

„Si“

„Ispettore Sperati!“, schrie er in den Lautsprecher.

Er hörte ein Knacken, und dann verstummte es wieder. Es folgten ein Krachen und ein Quietschen, und endlich ging das Tor auf. Er startete den Motor wieder und fuhr hindurch, sobald das Tor weit genug offen stand. Er lenkte das Auto zum protzigen Eingang, doch auf halber Strecke wurde er von einem breitschultrigen Mann in einem dunklen Sakko abgewunken. Er kannte ihn nicht. Musste wohl ein neuer Leibwächter von Oppia sein. Er folgte seinem Handzeichen und parkte neben einer Reihe Nobelkarossen. Neben dem schwarz-metallic schimmernden Mercedes sah sein silberner Ford aus zweiter Hand aus wie vom Schrotthändler. Er seufzte und stieg aus. Der stattliche Riese, Oppias Sicherheitsmann, stand bereits zur Stelle.

„Ispettore Sperati, prego, folgen Sie mir!“

Der Mann ging voran, ohne Speratis Antwort abzuwarten. Dieses vornehme Getue machte ihn noch gereizter, als er es ohnehin schon war. Sperati folgte ihm mit knirschenden Zähnen und zusammengeballter Faust über den Schotterweg.

Im Haus herrschte eine angenehme Kühle. Es war luftig und geräumig. Hohe Decken und weiß gestrichene Wände ließen es sehr einladend und offen wirken. Nach wenigen Schritten spürte er den kalten Schweiß unter seinen Achseln, und sein Unbehagen wurde noch stärker. Er wurde durch den Salon geführt, der fast so groß war wie seine ganze Wohnung. Die gesamte Fensterseite war verschleiert durch schneeweiße luftige Gardinen, die sich bei jedem kleinen Luftzug geschmeidig hin und her wiegten. Sperati wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als er sich der Tür zur Terrasse näherte, hörte er die Herrin des Hauses sich mit jemandem unterhalten. Oppias Leibwächter deutete ihm kurz zu warten und ging hinaus auf die Terrasse. Sperati hörte, wie er angemeldet wurde.

„Signora Oppia, Ispettore Sperati ist angekommen.“

„Grazie, Achille, bitte ihn zu uns.“

Durch die Gardinen konnte Sperati Oppia und ihren geheimnisvollen Gast nur schemenhaft erkennen.

„Brauchen Sie noch etwas, Signora Oppia?“, fragte Achille.

Sperati wusste zwar, dass es wahrscheinlich nur Einbildung war, aber er konnte nichts dagegen tun, diese ganze Verzögerung persönlich zu nehmen.

„Vorerst nicht“

Dann hörte Sperati Achilles Schritte wieder näherkommen, vor der Schwelle blieb er stehen.

„Ispettore Sperati“

Sperati trat in die Hitze hinaus, jedoch unter der großzügigen Bedachung, war sie bei weitem nicht so drückend. Ein angenehm leichter Luftzug wehte über die Terrasse. Oppia und ihr Gesprächspartner saßen gemütlich beisammen bei kühlem Zitronentee und Espresso.

„Wir haben Sie bereits erwartet, Ispettore Sperati. Gesellen Sie sich doch bitte zu uns.“, begrüßte ihn Oppia freundlich aber distanziert.

„Ich denke, Sie beide haben sich noch nicht persönlich kennengelernt. Darf ich Sie einander vorstellen: Ispettore Sperati, Signore Rubinieri.“

Oppia deutete mit der Hand auf ihren Sitznachbarn. Dieser saß lässig in seinem Rattansessel und hatte ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht. Die Augen leicht zusammengekniffen, verfolgte er seine Schritte genau, während Sperati auf ihn zuging. Rubinieri erhob sich und reichte Sperati die Hand, sein Lächeln verschwand.

„Ispettore Sperati, ich bin mir sicher, dass wir gut zusammenarbeiten werden.“, entgegnete Rubinieri unterkühlt.

„Ganz ohne Zweifel, Signore Rubinieri.“ Sperati bemühte sich höflich zu bleiben.

„Schön zu hören“

Rubinieris Händedruck war fest. Sperati befürchtete, er würde ihn gar nicht mehr loslassen. Seine Knöchel schmerzten bereits. Rubinieri hielt seinen prüfenden Blick auf ihn gerichtet. Sperati gefiel es nicht, wie er ihn musterte. Warum hatte ihm niemand Bescheid gegeben, dass Rubinieri schon vor Ort war?

„Sie sind vom Revier über den Stand der Ermittlungen unterrichtet worden?“, überspielte Sperati seinen Unmut.

„Wie Sie sehen können“, war die herablassende Antwort.

Sperati versuchte seinen Ärger über diese Spitze zu verbergen. Offenbar gelang es ihm nicht allzu besonders, denn Oppia lenkte die Aufmerksamkeit auf sich, wie es eine achtsame Gastgeberin tat, wenn eine Situation unangenehm wurde.

„Ispettore Sperati, darf ich Ihnen ein Glas Zitronentee anbieten, oder hätten Sie lieber einen Espresso?“

„Nur Zitronentee, grazie!“

Für ihre Hilfestellung war Sperati alles andere als dankbar. Auch wenn Oppia darin geschickt war, ihre Gedanken zu verbergen, konnte er sich sehr wohl ausmalen, was sie von ihm halten musste.

„Signora Oppia war so freundlich, mir die Vorkommnisse des besagten Abends zu schildern. Sie erlaubt uns weiterhin, mit den Angestellten zu sprechen.“

„Keine Ursache, Signore Rubinieri! Ich helfe Ihnen sehr gerne. Es ist einfach grässlich, was passiert ist.“, und zu Sperati fügte sie erklärend hinzu, „Ich habe alle meine Angestellten angewiesen, Ihnen bei den Ermittlungen behilflich zu sein, so gut sie können. Sie warten im oberen Stockwerk. Achille bringt sie Ihnen für die Befragungen ganz nach Ihrem Belieben herunter.“

Oppia erhob sich.

„Ich werde jetzt Achille zu Ihnen schicken. Wenn Sie sonst noch etwas benötigen, zögern Sie bitte nicht, es mich wissen zu lassen. Ispettore Sperati, Signore Rubinieri.“

„Signora Oppia“

Rubinieri erhob sich und gab ihr einen Handkuss, wobei er sie verführerisch ansah.

„Signora Oppia“, antwortete Sperati reserviert.

Oppia nickte ihnen beiden zu und entschwand hinter den wehenden Gardinen. Die Unterredung war also beendet. Rubinieri nippte schweigend an seinem Espresso und wartete. Sperati hätte nur zu gerne gewusst, was Oppia und Rubinieri zuvor besprochen hatten. Er wurde den Verdacht nicht los, dass Rubinieri ihn absichtlich in diese Lage gebracht hatte.

Achille kam nacheinander mit den Zeugen zu ihnen. Rubinieri führte überwiegend die Befragungen durch. Alle sagten sie dasselbe, aber das hatte er erwartet. Alle Beschreibungen passten genauestens auf den Toten. Sie schilderten dessen Unbeherrschtheit an dem Abend, und wie er von Achille mit Nachdruck angehalten worden war, das Haus zu verlassen, was die Hautpartikel an Claudios Händen erklärte. Alles hörte sich folgerichtig einstudiert an. Das machte Sperati sehr ungeduldig. Rubinieri hingegen blieb freundlich und bedankte sich bei jedem von ihnen für die ausgezeichnete Mitarbeit.

Nachdem sie sämtliche weiblichen und männlichen Angestellten verhört und nichts Hilfreiches erfahren hatten, kam Oppia noch einmal zu ihnen. Rubinieri bedankte sich und fragte nach einem Mädchen, das nur beiläufig erwähnt worden war. Sperati wunderte sich darüber, da sie noch nicht einmal im direkten Zusammenhang mit dem Fall stand. Die Prostituierte hatte sie erwähnt, die ein letztes Mal das Vergnügen mit dem Opfer gehabt hatte. Oppia winkte ab, es sei nur ein Missverständnis gewesen. Die Frau, von der hier die Rede war, sei keine vom Haus gewesen. Claudio hatte die Frau im Vorbeigehen gesehen und sich nach ihr erkundigt. Es war ihm erklärt worden, sie wäre nicht verfügbar, und damit war das Thema erledigt gewesen. Rubinieri sah Oppia eindringlich an. Dann entspannte er sich wieder und lächelte charmant.

„Wer war das Mädchen? War sie von einem anderen Haus?“

„Sie war kein Mädchen“

„Mit wem war sie hier?“

„Mit niemanden“

„Sie war alleine?“, fragte Rubinieri erstaunt.

„Sie kam alleine und ging auch wieder alleine“ Oppia lächelte geheimnisvoll.

„Verzeihung, ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.“ Rubinieri sah Oppia verwirrt an.

„Ich denke schon, mein lieber Signore Rubinieri.“

Rubinieris Blick erhellte sich, als wenn er eine Eingebung hätte. Sperati wusste nicht, was er davon halten sollte.

„Sie sagen, diese Dame war Ihr Gast?“

„Sicherlich ungewöhnlich, aber ich sah keinen Grund, ihr gegenüber nicht die Gastfreundschaft zu erweisen wie einem Gentleman auch.“

„Haben Sie das Claudio auch erzählt?“

„Selbstverständlich nicht. Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Diskretion eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg in unserem Gewerbe ist.“

Oppia nannte ihnen keinen Namen, stattdessen gab sie ihnen eine grobe Beschreibung von der Besucherin. Diese war jedoch wenig hilfreich, da sie auf die Hälfte der Frauen zutraf. Sperati ärgerte sich, Diskretion hin oder her, bei diesem Fall konnte man nicht Rücksicht darauf nehmen. Er fand Oppias Arroganz unangebracht und unverschämt. Er hätte ihr gerne etwas Demut vor dem Gesetz beigebracht, aber Rubinieri sah das wohl anders - er bedankte sich. Sperati fragte sich, ob Rubinieri die mysteriöse Frau möglicherweise kannte, denn er beendete die Befragung abrupt und verabschiedete sich.

Bis zum Parkplatz sagte Rubinieri kein Wort. An seinem Auto blieb er vor der offenen Tür stehen und sah gedankenverloren über die Straße. Sperati hatte endgültig genug und stieg in seinen Ford. Er musste sich dank Rubinieri damit abfinden, dass er ohne eine Verhaftung geblieben war. Er sah sich sprichwörtlich in Teufels Küche.

Vestalia

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