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12 Der Anruf

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Im Zimmer war es dunkel und die Hitze staute sich. Die Fensterläden waren geschlossen, um es erträglicher zu halten. Ein leises Summen schwebte über dem Raum, aber der Deckenventilator brachte nur wenig Erleichterung. Ein leises Knistern war hin und wieder zu hören, wenn Antonio an der Zigarre zog, die er zwischen seinen schmalen Lippen zusammengepresst hatte, die von einem leicht graumelierten, dunklen Bart umrandet waren. Die Wangen darüber waren tief eingesunken. Darin eingebettet lagen durchdringende, blaue Augen, die im Gegensatz zu dem schmalen Gesicht, übergroß und wachsam wirkten. Jetzt waren sie starr auf einen imaginären Punkt gerichtet, während seine Gedanken dahinter umso mehr kreisten. Über die hohe Stirn fiel das dichte Haar in Locken wie ein Kranz und wiegte sich im Windhauch des Ventilators. Das Freizeichen auf der anderen Seite der Leitung drang an sein Ohr.

„Si“

„Ciao Mario, hier ist Antonio.“

„Wie geht es dir?“, hörte er Marios kraftlose Stimme.

„Den Umständen entsprechend. Und dir?“

„Den Umständen entsprechend“

Stille. Antonio zog erneut an seiner Zigarre und blies den Rauch ohne Hast aus, bevor er weitersprach.

„Carmine war gerade hier. Du hast dich um Stefano gekümmert, wie es dir gesagt habe?“

„Si, aber er ist dennoch sehr beunruhigt. Er hat Angst, dass du ihm nicht glaubst.“ Mario gab sich Mühe, seine Unsicherheit zu verbergen, aber Antonio kannte seinen Freund nur zu gut.

„Natürlich tue ich das. Mach dir keine Sorgen! Ich kümmere mich um alles. Es bleibt unter uns. Ich melde mich wieder.“

„Ich danke dir, Antonio!“

„Ciao Mario!“

„Ciao, mein Freund!“

Antonio konnte sich nicht helfen, aber irgendwie hatte das Telefonat nach einem Abschied geklungen, und dabei wollte er Mario nur seinen Beistand als Freund versichern. Doch tief im Inneren wusste er, dass sie unwiderruflich entzweit waren und er diesen Bruch nicht mehr würde kitten können.

Die Rauchwolke umhüllte ihn, während er durch die Speichen der Fensterläden hinaus sah. Seine Erinnerungen trugen ihn weit in die Vergangenheit, als seine geschäftlichen Erfolge zur banalen Routine geworden waren. Es war Mario gewesen, der ihm den Impuls gegeben hatte, einen neuen Weg einzuschlagen. Er hatte ihn kennengelernt, als er Juwelen von ihm gekauft hatte. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden. Zwei Junggesellen, die in die Fußstapfen ihrer Väter getreten waren. Die bereits etablierten Familienunternehmen hatten für sie keine weiteren Herausforderungen mehr geboten. Er hatte in Mario einen Seelenverwandten gefunden, mit dem er seine Gedanken und Gefühle hatte teilen können.

Tagsüber waren sie ihren Geschäften nachgegangen und nach Feierabend ihren philosophischen Interessen. Beide hatten sie eine Vorliebe für antike Schriften und theologische Themen. Sie hatten, wann immer es möglich gewesen war, nächtelang alte Schriften bei Wein und Zigarren studiert. Als die Zeit gekommen war, den Fortbestand des Familiennamens zu sichern, waren sie ihrer Verpflichtung nachgekommen, ohne dass es ihrer Verbundenheit einen Abbruch getan hatte. Gegenseitig hatten sie ihren Söhnen Pate gestanden. Sie hatten damals auch ihre beruflichen Wege vereint, was sie auf die höchste Ebene ihrer Zunft gehoben hatte.

Spätestens an diesem Punkt war es deutlich gewesen, dass ihre Begegnung schicksalhaft gewesen war. Die Vereinigung von Gold und Glaube hatte sie innerhalb der begehrten heiligen Mauern geführt. Ihnen beiden war der Eintritt in den Klerus von ihren Vätern verwehrt worden, weil sie die Erstgeborenen waren. Da sie ihre Liebe zu Gott nicht über das Priesteramt ausüben konnten, war ihnen von Gott auf diesem Wege die Tür geöffnet worden. Sie waren zu den Goldschmieden des Papstes ernannt worden, und konnten nun die Herrlichkeit Gottes auf künstlerische Weise preisen.

Sie waren so sehr in ihrer heiligen Mission aufgegangen, was zwangsläufig dazu geführt hatte, dass ein der familiäre Bereich in ihrem Leben darunter leiden musste. Und wie in den meisten Fällen, waren es die Kinder gewesen, die es am härtesten getroffen hatte. Je älter ihre Söhne wurden, desto ernsthafter wurden ihre Verfehlungen, was beinahe seine und Marios Stellung im Vatikan gefährdet hatte. Antonios Hoffnung, dass eine Trennung der beiden Jugendfreunde die Wogen glätten würde, hatte sich jedoch als Trugschluss herausgestellt. Zu sehr hatte sich bereits die rebellische Natur in Claudio manifestiert. Er hatte zu spät eingegriffen. Nur knapp hatte Carmine Claudio damals vor dem Schlimmsten bewahrt, als er ihn in jener Nacht vor einer Überdosis gerettet und in die Entzugsklinik gebracht hatte. Diese gottverdammten Drogen! Aber er war überzeugt gewesen, dass er mit Gottes Hilfe einen Weg finden würde, seinen Sohn auf den rechten Weg zurückzuführen.

Und jetzt war sein Sohn tot und Stefano versteckte sich vor seinem eigenen Patenonkel. Antonio kam es vor, als würde ihm alles aus den Händen gleiten. Zahlte er etwa den Zoll für den goldenen Weg? Hatte er Gottes Vertrauen missbraucht, so wie er es mit Claudios Vertrauen getan hatte? Wenn er wenigstens Mario an seiner Seite wissen würde. Sein lebenslanger Gefährte drohte nun zu seinem ärgsten Feind zu werden.

Antonio ließ sich erschöpft auf den Stuhl fallen. Er wusste nicht, wie er es abwenden sollte. Kardinale Laurentius selbst hatte ihn ausdrücklich gebeten, die Angelegenheit schnellstens und so diskret wie möglich zu bereinigen. Um die Medien hatte der Kardinale sich persönlich gekümmert, ein Tribut für die jahrzehntelange Treue. Doch der Kardinale war letztendlich auch nur ein Diener, und was außerhalb seiner Weisheit lag, blieb Gott längst nicht verborgen. Er und Mario wurden für ihren Hochmut zur Rechenschaft gezogen, weil sie wider die Natur gehandelt hatten. Antonio wurde das Gefühl nicht los, dass ganz gleich, was auch immer er ab jetzt unternahm, es Gottes Willen unterliegen würde. Wer war er, dass er sich anmaßte Gott zu widersprechen?

Und doch konnte er nicht tatenlos zusehen. Er musste versuchen, die Seinen zu beschützen so gut er konnte, damit sie nicht für seine Sünden büßen mussten.

Vestalia

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