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4 Die Rose

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Vestalia stand in einem Meer aus Flammen. Sie hob ihre Arme, um ihre Augen zu schützen, doch es machte keinen Unterschied. Sie spürte, wie das Feuer das Fleisch durchdrang und sich unerbittlich die Atemwege hinabschlängelte. Sie bekam keine Luft mehr. Ihre Kräfte verließen sie und sie fiel auf die Knie. Vestalia versuchte sich mit den Händen abzustützen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie lag zusammengekrümmt auf dem Boden und war nicht mehr fähig, sich zu bewegen. Der brennende Schmerz breitete sich in ihr aus und wurde unerträglich. Sie wollte Schreien, als wenn es ihr eine Erleichterung hätte verschaffen können, aber ihre Kehle blieb stumm. Sie fing an unkontrolliert zu zittern, und es steigerte sich hin bis zu massiven Krampfanfällen. Ihr ganzer Körper schrie nach Luft, doch stattdessen drang das Feuer immer tiefer in sie hinein und loderte in ihren Lungen. Plötzlich nahm sie eine Präsenz wahr: zornig, unnachgiebig, willensstark - mächtig!

„Gibst Du auf?“, erscholl eine dunkle Stimme in ihrem Kopf.

Aber sie hörte nichts weiter, weder Schritte, noch das Rascheln von Kleidung, auch keine Atemgeräusche. Es machte sie beinahe wahnsinnig vor Angst, nicht zu sehen, was sich hinter ihr heranschlich.

„Gibst Du auf?“

Die Stimme donnerte, dass Vestalia es kaum ertragen konnte. Ihr Schädel drohte zu zerbersten. Der Druck legte sich auf ihre Augen und sie musste ihre Lider fest zusammenpressen, wenn sie nicht wollte, dass sie ihr aus den Höhlen gedrückt wurden. Sie fühlte, wie der Widerstand ihres Körpers ihre Grenzen erreichte und er jeden Augenblick zersprengt werden würde. Sie versuchte, sich dagegen zu wehren. Schließlich überwand ihre Wut die Angst und sie richtete all ihre Gedanken auf das, worin die gierigen Flammen noch nicht eingedrungen waren - auf das schlagende Herz in ihrer Brust! Mit einem gellenden Aufschrei presste sie das verzehrende Feuer aus ihren Lungen.

„No!“

Ihr Körper bäumte sich auf und verdrängte das Feuer nicht nur aus ihrem Inneren, sondern ebenso aus ihrem unmittelbaren Umkreis. Vestalia stand auf, schwer keuchend und nach Luft ringend.

Als hätte die Präsenz nur auf ihre Gegenwehr gewartet, zeigte sie sich ihr nun. Sie erschien direkt vor Vestalia und trat in ihren Kreis ein. Die Luft flimmerte vor Hitze und Vestalia erblickte eine verhüllte, dunkle Gestalt, verzerrt und unwirklich wie eine Fata Morgana. Wohlwollend sah die Gestalt auf Vestalia hinab, das Gesicht bis auf die Augen verborgen im Schatten ihres Gewandes. Sie hielt etwas in ihren Händen, von dem ein schwacher Schein ausging. Als Vestalia genauer hinsah, erkannte sie, dass es eine goldene Rose war. Sie versuchte einen Blick auf die Hände zu erhaschen, die den Stängel der Rose hielten, doch die Ärmel des Gewandes bedeckten sie. Plötzlich begannen die Blütenblätter abzufallen und um sie herum zu schweben. Sie kreisten immer schneller und sahen dabei aus wie kleine Sternschnuppen. Neben ihrem Ohr hörte Vestalia ein leises Summen. Instinktiv griff sie danach. In ihrer Handfläche kitzelte es. Als sie spürte, wie die Bewegungen nachließen, öffnete sie ihre Hand. Es war ein Glühwürmchen. Für einen flüchtigen Moment zauberte es ein Lächeln auf Vestalias Lippen. Doch bevor sich die flüchtige Freude festsetzen konnte, erlosch sein Licht. Entsetzt ließ sie es fallen. Sowie es auf dem Boden aufschlug, fielen auch die anderen Glühwürmchen um sie herum. Ihre winzigen Körper zuckten im Todeskrampf.

Fragend sah Vestalia die Gestalt an, doch sie rührte sich nicht. Durch ihr anhaltendes Unverständnis, musste sie wohl ihr Gegenüber in Rage gebracht haben, denn plötzlich wandelte sich das Wohlwollen in Zorn. Die Gestalt stieß ein langes Kreischen von unerträglicher Intensität aus. Unsichtbare Hiebe, wie von einem Dolch, drangen tief in Vestalias Leib. Wieder und wieder stachen die gellenden Schreie der Gestalt in ihre Brust, in ihren Bauch, in ihren Unterleib. Ihr Körper vom Schmerz benommen, machte es ihr unmöglich, sich gegen die Angriffe zu wehren. Regungslos stand sie da und beobachtete nur, wie das Blut ihr Kleid durchtränkte. Unter ihren Füßen bildete sich eine Blutlache und bedeckte die Kadaver der Glühwürmchen. Es gerann und bildete Klümpchen.

Die Gestalt verstummte. Langsam kniete sie sich nieder und hob eines der blutverkrusteten Kadaver auf. Sie strich die Kruste von dem toten Tier ab und es verwandelte sich in ein blutrotes Rosenblatt. Die dunkle Gestalt fing an, einen Kreis um Vestalia zu beschreiben. Sie hob ein Blütenblatt nach dem anderen auf und fädelte sie auf eine goldene Schnur auf. Als sie ihren Kreis vollendet hatte, legte sie Vestalia den Kranz aus Rosen um den Hals.

Vestalia ließ die einzelnen Blätter durch ihre Finger gleiten - fühlte ihre Weichheit, ihre Verwundbarkeit, ihre Vergänglichkeit. Sie verstand. Die Gestalt verlangte Opfer im Gegenzug für ihr Leben. Sie musste diejenigen, deren göttliches Licht erloschen war, dem reinigenden Feuer übergeben.

Vestalia spürte den prüfenden Blick in ihre Seele. Sie wusste, wonach die Gestalt gesucht hatte, als ihre Verwünschungen ihre Seele offengelegt hatten, dass sie blutete. Vestalia nickte.

Die Gestalt zog sich zurück und entschwand in das Flammenmeer.

Vestalia

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