Читать книгу Vestalia - Tina Bajza - Страница 4
2 Das Kloster
ОглавлениеTiefstes Schwarz. Langsam fing die Dunkelheit an, sich in Facetten zu teilen. Schatten tanzten über ihr und lockten sie, ihre Augen zu öffnen. Es wurde allmählich heller und sie erkannte deutliche Umrisse.
„Signorina! Signorina Vestalia!”
Die Männerstimme bohrte sich messerscharf in ihren Kopf. Zuerst setzte das Pochen in der rechten Schläfe ein, und breitete sich augenblicklich zu einem rasenden Schmerz über die ganze Stirn aus. Sie musste ihre Augen zusammenkneifen. Sie presste ihre Finger auf die pulsierende Ader. Abwechselnd übte sie leichten Druck aus und ließ wieder los. Nach einigen Wiederholungen ließ der Schmerz nach.
„Signorina, ist alles in Ordnung?“, hörte sie die schrille Stimme fragen.
Vestalia wagte einen zweiten Versuch. Es brauchte eine Weile, bis sie sich an das Sonnenlicht gewöhnt hatte. Schließlich sah sie in das besorgte Gesicht eines Mannes mit dunklen, buschigen Augenbrauen. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sie sich in einem karg eingerichteten Raum befand. Es erinnerte sie an ein Krankenzimmer, jedoch war hier kaum mehr als das Notwendigste an Mobiliar vorhanden: die Pritsche, auf der sie lag; ein Instrumententisch, darauf eine Schüssel mit blutigen Stofffetzen; ein Hocker, auf dem der Mönch saß; und zuletzt eine hölzerne Arzneikommode am Fenster. Es fiel ihr wieder ein - sie war im Kloster des Dominikanerordens. Sie hatte eine Autopanne auf der Landstraße gehabt und die Mönche waren ihr zu Hilfe geeilt. Während sie darauf gewartet hatte, dass der Reifen ausgetauscht wurde, hatte Frater Federico mit ihr eine Führung durch das Kloster gemacht.
„Signorina Vestalia, wie geht es Ihnen? Ist Ihnen schwindelig?“, drängte sich Frater Federico in ihre Gedanken.
„Nur leichte Kopfschmerzen“ Vestalia richtete sich auf.
„Langsam, Signorina! Sie sollten lieber noch ein wenig liegen bleiben.“, versuchte der Mönch sie zu warnen.
Zu spät. Vestalia wurde schwindlig und sie kippte nach hinten. Frater Federico fing sie gerade noch rechtzeitig auf.
„Das war wohl zu schnell“, bemerkte sie verlegen.
„Sie sollten keine hektischen Bewegungen machen. Richten Sie sich langsam auf.“ Er setzte sich neben sie und stützte sie ab, während sie sich vorsichtig aufsetzte.
„Was ist passiert?“, fragte sie, als der Raum aufgehört hatte, sich um sie zu drehen.
„Sie wissen es nicht mehr?“
„Sie haben mir das Kloster gezeigt“
„Si“, bestätigte Frater Federico.
„Zuletzt waren wir in der Zelle von Frater Girolamo. Sie erzählten mir von ihm und ich wollte mir sein Bild näher ansehen, als…“
Sie erinnerte sich, wie sie ein beunruhigendes Gefühl bekommen hatte, als sie sich das Portrait von dem Mönch Girolamo Savonarola angesehen hatte. Es hing an der Wand in der Kammer, welche er zu Lebzeiten bewohnt hatte. Es war, als wäre er mit ihr im Raum gewesen, ganz nah bei ihr. Vielleicht hatte es aber auch nur an den lebhaften Schilderungen von Frater Federico gelegen. Das war jedenfalls der Moment gewesen, wo sie gestolpert war.
„Ich bin mit meinem Absatz hängen geblieben.“ Vestalia schlug die Hände vors Gesicht. „Oh, wie peinlich!“
Frater Federico lachte gönnerhaft.
„Kein Grund sich zu schämen, Signora Vestalia! Im Gegenteil, ich hätte Sie warnen müssen. Das ist ein altes Kloster und stellenweise ein wenig renovierungsbedürftig. Wir tun zwar unser Bestes, aber hier und da gibt es immer noch kleine Fallen. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen!“
„Sie sind zu freundlich, Frater.“
„Gott sei gedankt, dass nichts Ernsthafteres passiert ist! Es ist nur eine kleine Beule und eine winzige Platzwunde. In ein, zwei Tagen dürfte es so gut wie nicht mehr zu sehen sein.“
„Passt perfekt zu meiner Reifenpanne. Damit dürfte mein Soll an Fauxpas für heute erfüllt sein.“, scherzte Vestalia.
„Nicht nur für heute, hoffe ich. Apropos, der Reifen ist gewechselt. Ihr Auto steht startklar im Hof. Aber bevor Sie weiterfahren, sollten Sie zuerst noch etwas essen, damit Ihr Kreislauf wieder in Schwung kommt. Immerhin waren Sie eine Zeitlang ohnmächtig.“
„Wie lange eigentlich?“ Unwillkürlich sah sie auf ihre Uhr.
„Eine Stunde“, bestätigte Frater Federico, als Vestalia ihn ungläubig ansah.
„Ist das normal für eine harmlose Platzwunde?“ Sie ertastete das Pflaster auf ihrer Stirn.
„Ich nehme an, dass die lange Autofahrt Sie erschöpft hat, auch wenn Sie es selbst wahrscheinlich gar nicht gemerkt haben. Sie müssen darauf achten, dass Sie bei dieser Hitze draußen ausreichend trinken.“, riet er ihr an und hielt ihr ein Glas Wasser hin.
„Grazie!“ Sie war tatsächlich durstig.
„Und jetzt bringen wir Sie wieder auf die Beine“ Frater Federico stand auf und reichte ihr die Hand. Immer noch leicht zittrig, ergriff Vestalia sie.
„Langsam“ Frater Federico hielt sie fest.
Der jüngere Mönch, der ebenfalls bei der Führung durch das Kloster dabei gewesen war, stützte sie von der anderen Seite. Vestalia spürte, wie ihr Körper zusammensacken wollte, aber sie blieb entschlossen stehen, bis der drohende Schwächeanfall vorüber war. Als sie endlich einen sicheren Stand hatte, ging sie ein paar Schritte.
„Bene“, nickte Frater Federico. „Ich denke, wir können uns in die Messe wagen. Dort nehmen Sie eine kleine Stärkung zu sich und danach dürften Sie wieder ganz hergestellt sein.“
Frater Federico schien mit seiner Diagnose zufrieden zu sein. Vestalia war erleichtert. So nett die Mönche auch waren, fand sie die Brüder dennoch ein wenig unheimlich. Sie liefen entweder paarweise oder im Rudel, nie einzeln. Und während der Führung war sie teilweise auffällig gemustert worden. Sie war sich wie in einem Männergefängnis vorgekommen. Bei diesem Gedanken überkam sie der Drang schnellstens davonzurennen. Sie ermahnte sich selbst, höflich zu bleiben. Also, anstatt Frater Federico und dem jungen Mönch die Ellenbogen in die Rippen zu rammen und zu flüchten, antwortete sie brav.
„Grazie mille, das klingt wirklich sehr gut.“
„Bene, folgen Sie mir!“
Der Frater geleitete sie aus dem Krankenzimmer. Sie begegneten auf den Fluren den anderen „Insassen“ und wie erwartet, waren sie wieder paarweise unterwegs. Vestalia versuchte, sie zu ignorieren, so gut sie konnte. In der Messe angekommen, war sie froh, als sie mit Frater Federico alleine war. Bei dem Anblick von aufgeschnittenem Schinken und Käse merkte sie, wie hungrig sie tatsächlich war. Sie setzte sich auf den ihr angebotenen Stuhl und wartete geduldig, bis der Frater sein Gebet beendet hatte. Er selbst aß nichts. Er leistete Vestalia lediglich Gesellschaft bei einer Tasse Kräutertee. Schon nach wenigen Bissen spürte sie, wie sich ihr Magen entkrampfte und beruhigte. Die noch leichte Benommenheit wich vollends.
Frater Federico sah nachdenklich aus dem Fenster. Als Vestalia ihre Gabel niederlegte, erkundigte er sich höflich.
„Hat es Ihnen gemundet?“
„Es war vorzüglich, grazie!“
„Das freut mich! Fühlen Sie sich ein wenig besser?“
„Si, der Schwindel ist verflogen.“
Frater Federico überprüfte ihren Puls und ihre Reaktionsfähigkeit.
„Ihr Blick ist wieder ruhig und klar. Trinken Sie noch einen Tee. Er wird Ihnen gut tun.“
Er schenkte ihr eine weitere Tasse ein und sie unterhielten sich über ihre Reisepläne, wobei Vestalia mit äußerster Vorsicht über ihre Absichten sprach. Tatsächlich, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, belog sie den Frater. Ganz recht, sie belog einen Mönch innerhalb der gesegneten Klostermauern, während er um ihr körperliches Wohlergehen bemüht war. Vestalia schwante Böses – das würde sich sicherlich noch rächen. Schließlich erhob Frater Federico sich und lud sie ein, ihm zu folgen.
„Wollen Sie sich jetzt Ihren Wagen ansehen?“ Damit war der fürsorgliche Teil erledigt.
„Gerne“
Sie gingen in den Hof, wo sie bereits von seinen Ordensbrüdern erwartet wurden. Vestalia konnte sich nicht helfen, die ganze Situation kam ihr sehr merkwürdig vor. Es geschah alles wie aufs Stichwort. Sie kam sich vor wie in einem sorgfältig einstudierten Theaterstück. So sehr sie auch versuchte, sich selbst einzureden, dass es nur an ihrer eigenen Paranoia gegenüber dogmatischen Glaubensgemeinschaften lag, konnte sie ihren Argwohn nicht gänzlich abschütteln.
„Frater Federico, das sieht ja richtig gut aus!“, rief sie erfreut und hoffte, dass sie ihre Unsicherheit glaubwürdig überspielen konnte.
„Prego“ Er öffnete ihr die Autotür. Vestalia schwang sich auf den Fahrersitz.
„Perfetto! Keine Schieflage mehr.“, rief sie freudig aus.
Sie bedankte sich bei den Ordensbrüdern und Frater Federico entließ die beiden. Sie gehorchten wortlos und entfernten sich. Der junge Mönch hatte sich zwischenzeitlich wieder zu ihnen gesellt. In seinen Händen hielt er eine hölzerne Schatulle, die er ehrfürchtig Frater Federico überreichte.
„Signorina Vestalia, bitte nehmen Sie dies als ein kleines Dankeschön für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld mit uns.“
„Wenn jemand zuvorkommend war, dann Sie. Ich habe Ihnen so viele Unannehmlichkeiten bereitet. Wie kann ich mich Ihnen erkenntlich zeigen?“
Suspekt hin oder her, immerhin hatten die Mönche ihr den Reifen gewechselt und sie verarztet.
„No, no, Signorina!“, wehrte Frater Federico vehement ab.
„Es war uns eine Ehre, Ihnen helfen zu dürfen. Wir haben selten so einen reizenden Besuch.“
Das glaubte sie sofort! Vestalia lächelte entzückt und nahm das kunstvolle Kästchen an sich. Es war aus Buchenholz und mit aufwendigen Schnitzereien verziert. Auf dem Deckel war eine Gruppe von Ordensbrüdern dargestellt. Einer von ihnen stand im Vordergrund – Savonarola, nahm sie an. Es war ein wenig schaurig, aber dennoch hübsch, auf eine kryptisch-unheilvolle Art und Weise.
„Es ist wunderschön“, und das meinte sie tatsächlich ernst.
Sie sah Frater Federico fragend an. Sie war sich nicht sicher, ob es unhöflich wäre, reinzusehen.
„Prego“ Er nickte und forderte sie mit einer Handbewegung auf, es zu öffnen.
Als sie den Deckel anhob, strömte ihr ein vertrauter Duft entgegen, den sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gerochen hatte – Weihrauch und geweihte Kerzen.
„Wir dachten uns, Sie könnten ein wenig himmlischen Beistand auf Ihrer weiteren Reise gebrauchen. Nun ja …“ Frater Federico lächelte verschmitzt. „… bei Ihrem offensichtlichen Hang zu Missgeschicken.“
„Das ist wirklich sehr frech von Ihnen!“, lachte Vestalia überrascht über diesen unverhofften Scherz. „Grazie! Der Besuch bei Ihnen war sehr …“ Sie suchte nach dem richtigen Wort.
„Umwerfend?“, neckte sie der Frater.
„Si, einfach umwerfend!“
Beide genossen sie noch kurz die ausgelassene Stimmung, bevor sie sich endgültig von einander verabschiedeten.
„Alles Gute für Sie und Ihre Brüder“
„Seien Sie gesegnet und möge Gott über Sie wachen!“
Je mehr Abstand Vestalia zwischen sich und dem Kloster brachte, umso mehr fiel das beklemmende Gefühl von ihr ab und ihr Griff um das Lenkrad wurde lockerer. Es war noch eine weitere Stunde vergangen. Sie musste sich beeilen, wenn sie noch vor Sonnenuntergang in Rom sein wollte.
Hinter den schweren Mauern sah Frater Federico Vestalia von der Aussichtsplattform aus nach. Er hörte schwere Schritte näher kommen. Abt Donatus trat schweigend neben ihn. Zusammen beobachteten sie, wie Vestalia auf der Landstraße davonfuhr.
„Stimmt etwas nicht, ehrwürdiger Abt?“, fragte Frater Federico, als sich Abt Donatus immer noch nicht rührte, selbst nachdem Vestalia aus ihrer Sicht verschwunden war.
„Etwas anderes haftet noch an diesem Mädchen“
„Was meint Ihr?“
„Verdammnis!“, antwortete der Abt.
„Ewige Verdammnis?“, wiederholte Frater Federico sichtlich beunruhigt. „Aber wie kann das sein? Ich meine, immerhin hat…“
„Und dennoch…“, unterbrach ihn Abt Donatus. „… fürchte ich, hat sie noch eine schwere Prüfung vor sich. Das haben alle, die gesegnet sind.“
Frater Federico hatte den Abt selten so besorgt gesehen, doch er wagte es nicht, ihn weiter zu bedrängen.
Abt Donatus ging schweigend wieder ins Innere der Klostermauern. Was auch immer diesem Mädchen innewohnte, es war ihm nicht gestattet gewesen, es zu ergründen.