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3 Ankunft in Rom

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Vestalia fuhr auf der Autobahn, so schnell es ihr körperlicher Zustand erlaubte. Erst als sie sich den ersten Wohnsiedlungen näherte, drosselte sie die Geschwindigkeit. Bald verdichteten sich die einzelnen Wohnhäuser zu massiven, aneinandergereihten Gebäuden. Es war bereits später Nachmittag und die schwüle Hitze hatte die Stadt aufblühen lassen. Überall auf den Straßen sprühten die Menschen vor Lebenslust, Einheimische sowie Touristen. Im zähen Stop-and-go-Tempo schlängelte Vestalia sich durch den Verkehr. Ihr schweißdurchtränktes Sommerkleid klebte unangenehm am Rücken. Nach einer Stunde endlich hielt sie vor dem von Weinreben umwachsenen Gartentor. Es zauberte immer ein Lächeln auf ihr Gesicht, wenn sie es sah. Sie stieg aus und holte die gold-glänzende Tragetasche vom Rücksitz.

Das Tor stand weit offen. Sie schritt hindurch und genoss die betörenden Düfte, die auf sie einströmten. Vor ihr erstreckte sich ein bunter Garten mit den unterschiedlichsten Blumen, und jede einzelne von ihnen umschmeichelte sie mit ihrem eigenen Duft. Mittendrin eingebettet lag das Haus der Scalises. Auf halbem Wege lief ihr der sonnengebräunte Hausherr entgegen.

„Signorina Vestalia, benvenuto! Signorina Vestalia, was ist denn mit Ihnen passiert? Hatten Sie etwa einen Unfall?“, fragte er erschrocken, als er das Pflaster unter ihrem Haar entdeckte.

„Es ist nichts weiter. Ich war nur tollpatschig.“

„Sie sehen auch etwas blass aus. Geht es Ihnen gut? Kommen Sie herein, kommen Sie!“ Er packte sie und trug sie regelrecht ins Haus.

„Rosa, mein Täubchen! Signorina Vestalia hatte einen Unfall, komm schnell!“, rief Andrea aufgeregt nach seiner Frau. Rosa kam sofort aus der Küche herbeigeeilt.

„Dio buono, lassen Sie sich ansehen, meine Liebe!“ Rosa machte Anstalten, ihr das Pflaster von der Stirn zu reißen. Vestalia konnte sie gerade noch davon abhalten.

„Es ist nur eine kleine Beule. Es geht mir gut. Ich wurde bereits verarztet, grazie!“

„Und damit sind Sie Auto gefahren? Mit so etwas ist nicht zu spaßen!“, schimpfte Rosa beherzt mit ihr und wandte sich dann an Andrea. Sie schlug ihren Mann mit dem Küchentuch auf den Arm. „Deshalb ist sie so spät dran. Ich habe dir doch gesagt, dass etwas nicht stimmt!“

„No, per favore! Ich versichere Ihnen, es ist alles Bestens. Kein Grund zur Sorge.“, versuchte Vestalia zu schlichten, so gut sie konnte.

„Ich weiß nicht, vielleicht sollten wir doch lieber einen Arzt holen, nur zur Sicherheit. Warten Sie, ich rufe gleich…“

„Grazie, Signore Andrea, aber ich wurde bereits ärztlich versorgt. Machen Sie sich bitte keine Umstände. Ich fühle mich gut. Nur ein wenig matt vielleicht, von der langen Fahrt - das ist alles.“

Andrea und Rosa sahen sich an, unschlüssig darüber, was sie machen sollten.

„Bene, wir machen Folgendes“, entschied Rosa schließlich. „Sie bleiben zum Essen und ruhen sich ein wenig aus. Und wenn es Ihnen danach immer noch gut geht, fährt Andrea mit Ihnen zu Celias Haus.“

„Einverstanden“

Sie setzten sich auf die Veranda und Andrea tischte das Abendessen auf. Vestalia übergab Rosa die Tragetasche mit dem begehrten Inhalt. Rosa warf einen verstohlenen Blick hinein, um dann mit dramatischen Gesten das Geschenk widerwillig anzunehmen. Vestalia musste jedes Mal über ihr kleines Ritual schmunzeln.

„Ist Signora Favelli wohl auf?“, erkundigte sich Andrea nach Celia, ihrer Geschäftspartnerin.

„Sie sagt uns zwar immer, dass sie das Leben in vollen Zügen genießt, aber auch wir wissen, dass das Führen eines Juweliergeschäftes nicht nur reines Vergnügen ist, selbst wenn man noch so sehr für Gold und Edelsteine schwärmt.“

„Ah, sie ist einfach unermüdlich. Bei Stress blüht sie förmlich auf. Mit Geschäftsleuten zu verhandeln, dafür lebt sie. Nun, Sie kennen sie besser als ich.“

„Sie war schon immer sehr tüchtig, das stimmt. Und ich bin mir sicher, sie kann sich glücklich schätzen, in Ihnen eine so treue Partnerin gefunden zu haben. Loyalität kann nämlich unter Umständen eine sehr komplizierte Sache sein.“, bemerkte Andrea in einem für ihn zu ernsthaften Ton, wie Vestalia fand.

„Tatsächlich ist es das nicht“, hielt sie ihm entgegen.

Nach all den Jahren bestand offensichtlich immer noch ein leises Misstrauen ihr gegenüber. Sie war eine Di Salvo, ein Abkömmling der vorherrschenden Familie der Goldschmiedezunft in Rom. Aber für sie war dieser Teil des Lebens ein abgeschlossenes Kapitel. Sie arbeitete zusammen mit Celia daran, sich als Juwelierin in Venedig zu etablieren. Celia kümmerte sich ums Geschäftliche, sie um das Kreative, und es funktionierte sehr gut. Celia konnte gut mit Investoren und Zahlen, sie mit Künstlern und Edelsteinen. Celia und sie ergänzten sich perfekt. Sie hätte Celia nie für die Di Salvos verraten. Sie empfand sie nicht als ihre Familie. Sie war lediglich hineingeboren worden, sie war kein Teil von ihnen.

„No, nicht für unsere liebe Signorina Vestalia!“ Andrea klatschte fröhlich in die Hände. „Wie lange bleiben Sie?“

„Vorerst eine Woche. Aber das hängt davon ab, was Signora Luci für uns hat. Wenn alles reibungslos läuft, dann bleibt es bei dem einen Termin am Montag.“

„Sie wird sicherlich sehr schöne Steine für Sie haben“

„Davon bin ich überzeugt“

Zum Nachtisch gab es Rosas Tiramisu.

„Ich habe noch eine Speciale im Kühlschrank, nur für Sie.“ Rosa zwinkerte ihr zu. „Sie wissen schon, für nachher, wenn Sie sich entspannen.“

Mit „Speciale“ meinte Rosa, in Alkohol ertränkt. Sie mochte Rosas Tiramisu ganz besonders, auch ohne extra Schuss.

„Das werde ich, grazie!“

Andrea belud seinen Wagen noch schnell mit frischen Lebensmitteln und dann brachen sie auf. Vestalia fuhr ihm in ihrem Wagen, wie gewohnt, in einem rasanten Tempo hinterher. Sie kamen noch vor der Abenddämmerung an Celias Haus an. Ihr Puls raste und sie war wieder schweißgebadet. Sie war kaum zu Atem gekommen, als Andrea schon ihre Autotür aufriss und ihr beim Aussteigen half.

„Na, da hat sie doch prompt etwas Farbe auf ihre blassen Wangen bekommen.“, rief Andrea begeistert.

„Also ich muss sagen, Signore Andrea, dass Sie nach wie vor einen temperamentvollen Fahrstil haben. Sie haben kein bisschen nachgelassen.“

„Meine Liebe, ich bin ein temperamentvoller Mann! Glauben Sie mir, ich hätte sonst meine schöne Rosa nicht so lange halten können. Sie gibt sich nicht mit weniger zufrieden.“ Andrea lachte laut auf, als er sah, wie Vestalia errötete.

Während Andrea den Wagen entlud, spazierte sie durch Celias Anwesen. Sie strich mit ihren Fingern sanft über die Rosenblüten, welche sich ihr stolz am Gehweg entgegenreckten. Andrea hatte wirklich eine Begabung für die Gartenarbeit. Es gab keine Pflanze, die er nicht kannte, keine Blume, die nicht unter seinen Händen erblühte - ganz im Gegenteil zu ihr. Das Längste, was eine Pflanze je bei ihr überlebt hatte, waren sechs Monate. Andrea kümmerte sich stets gut um das Anwesen. Auch der Garten hinter dem Haus war einwandfrei gepflegt. Die hohen Hecken, die als Sichtschutz dienten, waren ordentlich gestutzt. Die Blumenbeete waren verspielt, aber nicht wahllos, angelegt und ihre Farben gingen ineinander über wie bei einem Regenbogen.

„Signore Andrea, das ist wunderschön! Ich bin ganz hingerissen.“

„Grazie, Signorina Vestalia! Für Sie und Signora Favelli wähle ich nur die schönsten Blumen aus.“ Andrea war sichtlich stolz über ihr Kompliment.

Er trug die restlichen Sachen gleich mit noch mehr Begeisterung ins Haus. Vestalia musste unweigerlich lachen, als sie ihm dabei zusah. Dieser Mann kannte aber auch keine Schwermut! Er pfiff und sang in einem fort. Auch im Haus war alles tadellos: der Staub gewischt, die Räume gelüftet. Andrea hatte im Foyer, im Wohnzimmer sowie in ihrem Gästezimmer frischgeschnittene Blumensträuße arrangiert. So verteilt, durchströmte der Duft der Rosen das ganze Haus. So sehr es ihr auch bei jedem Mal schwerfiel nach Rom zurückzukehren, Rosa und Andrea machten es ihr ein wenig erträglicher. Und durch eben solch kleine, herzliche Gesten, beinahe angenehm.

Als alles eingeräumt war, verabschiedete sich Andrea von ihr und eilte zurück zu seiner erwartungsvollen Rosa. Und wieder lachte er, als Vestalia verschämt zur Seite sah. Er winkte ihr aus dem Lieferwagen zu und brauste davon.

Vestalia hängte als erstes ihr Windspiel über der Tür hinten auf der Veranda auf. Celia hatte es ihr geschenkt, als sie sie zu ihrer Geschäftspartnerin gemacht hatte. Die Goldschmiede, die Vestalia betreute, hatten es eigens für sie angefertigt. Es war aus 24-karätigem Gold und zeigte Vesta, die antike Göttin des Feuers, in einer abstrakten Abbildung als Flamme mit zum Himmel erhobenen Armen. Darunter hingen die Klangornamente in Form von sechs kleineren Flammen, welche Vestas Priesterinnen, die vestalischen Jungfrauen, darstellten. Es war eine Anspielung auf ihre Namensgeberin und sollte sie beschützen. Vestalia betrachtete es einen Moment lang. Die sanften Klänge halfen ihr zur Ruhe zu kommen.

Dann ging sie hinauf ins Badezimmer und gönnte sich eine ausgiebige Dusche. Das Wasser prickelte angenehm auf ihrer Haut. Endlich wusch sie sich den Gestank des Tages von ihrem Körper ab. Als sie aus dem Badezimmer herauskam, fühlte sie sich erfrischt und rein. Sie entschied sich, für den Rest des Abends nur einen Bikini anzuziehen. Hinten im Garten würde sie ja niemand sehen. Auf dem Weg in die Küche nahm sie ihr Smartphone aus der Handtasche und wählte Celias Nummer. Es kam die automatische Ansage. Vestalia schickte ihr also eine SMS: „Bin gut angekommen. Rosa und Andrea haben mich wie immer wundervoll versorgt. Wir hören uns dann morgen. Ciao J

Sie schaltete das Smartphone aus.

„Genug für heute“, sagte sie zu sich selbst und entließ sich in den Feierabend.

Mit einem Glas frischer Limonade und Rosas Speciale setzte sie sich auf die Veranda. Der stark konzentrierte Alkohol tat bald seine Wirkung. Sie lehnte ihren Kopf zurück und legte die Beine auf das Geländer. Entspannt lauschte sie dem Zirpen der Grillen.

Der Sonnenuntergang färbte den Himmel über ihr rot. Das Licht tauchte Vestalias blasse Haut bald in Bronze, und wie die Sonne immer tiefer sank, in Kupfer. Die letzten Sonnenstrahlen tanzten auf ihrem Gesicht. Sie fühlten sich angenehm warm an.

Vestalia

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