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7. Oliver, abends

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»Es gibt echt so kranke Typen in dieser Stadt. Und seit Wochen kein weiterer Hinweis. Niemand hat etwas gesehen oder gehört.«

Robert schüttelte den Kopf und warf Oliver den Obduktionsbericht auf seine Seite des Schreibtisches. Der legte den Hörer auf und schaute den Aktendeckel an, als könnte eine Horde Vogelspinnen aus den Unterlagen springen.

»Der Doc meinte, er würde uns gern was zeigen. Er hat sich die Leiche mit seinen Studenten noch mal vorgenommen, und sie sind da auf etwas gestoßen.«

Robert stöhnte. »Auch das noch. Ich hatte beim ersten Zusammentreffen mit dem Opfer schon genug. Das muss ich echt nicht noch mal sehen.«

»Fotos. Er zeigt uns Fotos, die er uns dann auch mitgeben will.«

»Wieso hat er sie sich noch mal vorgenommen?«

»Weil ich ihn drum gebeten habe. Die KTU hatte nichts für uns. Ich hatte gehofft, dass er vielleicht eine Winzigkeit übersehen hat. Irgendwas, das uns weiterbringt.«

»Wurde die Leiche denn noch nicht für die Angehörigen freigegeben? Sie liegt doch da schon einige Zeit.«

»Bisher haben wir keine Verwandten ausfindig gemacht. Ihre Eltern sind lange tot, keine Geschwister. Sie lebte seit Jahren allein, arbeitete in der Buchhaltung eines Unternehmens für ...« Oliver blätterte in den Unterlagen. »... für Melamin-Laminat-Kantenstreifen«, las er weiter aus der Akte vor.

»Für was?«

»Keine Ahnung. Hat irgendwas mit Möbeln zu tun. Da wusste man aber auch nur wenig über sie. An Betriebsfeiern hat sie nie teilgenommen, unternahm nichts mit den Kollegen privat, und von einem Freund hat ebenfalls niemand was gehört oder gesehen.«

»Wer hat die Vermisstenmeldung aufgegeben?«

»Der Geschäftsführer der Firma, ein Herr Glück, aber erst nach drei Tagen. Alle dachten bis dahin, dass sie sich bei irgendwem anders krankgemeldet hatte.«

»Also wurde sie nur von ihrem Arbeitgeber vermisst? Keine Freunde auf dem Anrufbeantworter oder ähnliches?«

»Nichts.«

»Was für ein trauriges Leben mit einem so schrecklichen Ende«, seufzte Robert.

»Lass uns hören, was der Pathologe zu sagen hat.«

Oliver und Robert standen im Büro des Rechtsmediziners vor einer Metaplantafel und studierten die Ausdrucke.

»Wir haben uns den Fall wie gewünscht noch mal angesehen, doch leider keine neuen Spuren entdeckt. Aber wir haben einige Theorien zu den Verletzungen aufgestellt, die ich Ihnen gern erörtern möchte. Fangen wir mit den bekannten Fakten an. Das Opfer wurde zwar vergewaltigt, aber es gibt keine verwertbare DNA. Der Täter hatte ein Kondom benutzt.«

»Das steht auch in den Akten«, merkte Robert an.

»Stimmt. Das war, soweit man das sagen darf, normal.«

»Was dann? Die Achillessehnen?«

»Nein, das finde ich logisch und eindeutig.«

»Logisch? Warum hat er das getan? Um sie zu foltern?«, fragte Oliver.

Der Pathologe schob seine Brille hoch und schüttelte stumm den Kopf. Oliver konnte sich gut vorstellen, wie er seine Studenten bei einer falschen Antwort mit dem gleichen missbilligenden Blick bedachte.

»Nein. Damit sie nicht weglaufen konnte.«

»Hätte er sie nicht einfach fesseln können?«

»Aus Sicht des Täters war es vielleicht so am praktischsten, denke ich«, sagte der Pathologe und nahm das anatomische Modell eines Fußes in die Hand. »Mit dem Muskel an der Sehne wird die Fußschaufel nach unten gedrückt. Ohne die Sehne kann man kaum laufen, geschweige denn springen. Es gibt zwar schwächere Muskeln, die die Funktion beim vorsichtigen Gehen übernehmen könnten, aber die Schmerzen wären gigantisch.«

»Und wieso ist das praktisch?«

»Wie sah das Bett im Schlafzimmer aus, in dem die Leiche gefunden wurde?«

»Vollgeblutet.«

»Das ist nachvollziehbar bei den multiplen Verletzungen. Darauf will ich auch nicht hinaus. Gab es Bettpfosten? Ein Gitter?«

Oliver rief sich den Tatort ins Gedächtnis. »Nein, es gab ein Kopfteil, aber am Fußende war nichts dergleichen.«

»Das hat uns auf eine Idee gebracht. Oben hat er sie festgebunden, aber um sie vergewaltigen zu können, wäre es hinderlich, wenn er ihr die Füße zusammenbindet. Und wenn es am Fußteil keine Möglichkeit zum Fesseln gab, macht es durchaus Sinn, die Sehnen zu durchtrennen. Also aus Sicht des Täters, meine ich.«

Robert nickte.

»Wenn man nicht an überbordender Empathie leidet und sein Ziel erreichen will, ist das die einfachste Möglichkeit. Mit durchtrennten Sehnen ist eine Flucht unmöglich. Durch die Schmerzen wird sie sich nicht mehr gewehrt haben. Und durch den Knebel blieb er von ihren Schreien verschont.«

»Das ist widerlich.«

»Ja, aber noch nicht alles. Wir haben uns auch Gedanken über die anderen Stichverletzungen gemacht. Sie erscheinen auf den ersten Blick unnötig und planlos. Außer ...«

»Ja?«, hakte Oliver nach.

»Außer, der Täter wollte einfach schauen, wie das Opfer darauf reagiert. Er hat völlig willkürlich in die unterschiedlichsten Stellen gestochen, auch unterschiedlich tief, manchmal hat er nur gepikst. Foltern sieht anders aus. Gezielter. Verzeihen Sie den Vergleich, aber es wirkt so, als hätte ein experimentierfreudiges Kind die Widerstandskraft eines weiblichen Körpers testen wollen.«

»Wer macht so etwas und warum?«

»Jemand, der ausprobieren möchte, wie weit er gehen kann.«

Robert verzog das Gesicht. »Hoffentlich ist die Frau schnell gestorben.«

»Das ist sie leider nicht. Nahezu alle Wunden sind ihr prämortal zugefügt worden.«

»Irgendwann war sie aber tot und sein kranker Spaß vorbei.«

»Ja, aber wenn ich den Doc richtig verstehe, hat der Täter dabei einiges dazugelernt«, merkte Oliver an. »Wollen wir hoffen, dass er diese Erkenntnisse nicht erneut anwendet.«

»Ein Serientäter? Gott bewahre!«

Der Pathologe putzte seine Brille mit einer Kittelecke, setzte sie wieder auf und nahm wortlos die Bilderreihe von der Tafel.

Vergangen

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