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Prolog Afghanistan, Jahre vorher

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Sand, nichts als Sand. Das gesamte Land schien sich in dieser unbarmherzigen Hitze aufzulösen und in winzigen Partikeln durch die Luft zu fliegen. Wenn sie mit den gepanzerten Dingos an Dörfern vorbeifuhren und Wind aufkam, hatte der MG-Schütze immer ein Dreieckstuch vor dem Gesicht getragen. Später besorgten sich die meisten Gunner einen OP-Mundschutz. Am Ende einer solchen Erkundungsfahrt hing ein Teppich aus dunkelbraunen Partikeln in der Membrane fest. Selbst die Scheiße der Einwohner wurde zu Staub und schien sie anzugreifen.

Er versuchte, sich auf dem Beifahrersitz möglichst wenig zu bewegen. Ein Schweiß-Sand-Gemisch rann ihm unter der Splitterschutzweste und dem Einsatzhemd den Rücken runter und scheuerte zwischen seinen Pobacken. Das Außenthermometer zeigte zweiundfünfzig Grad Celsius an. In dem gepanzerten Fahrzeug kletterte die Temperatur noch höher. Unter den Kopfhörern des Bordfunks juckten ihm die Ohren. Während er sich mit dem Ärmel über die Stirn wischte, schlug der Fahrer des Dingos auf das karge Armaturenbrett.

»Diese beschissene Klimaanlage! Wann hat die je funktioniert?«, knarzte es in Chucks Kopfhörern.

»Brenner, fahr einfach und halt die Fresse«, zischte er in das Mikrofon, das ihm wie ein schwarzer aufgespießter Squashball vorm Mund hing.

Chuck hasste Dingos, Greenliner und die ganzen verfluchten Bundeswehrfahrzeuge, mit denen sie durch ausgedörrte Flussbetten und über Bergketten rumpelten. Vor ihnen fuhr der Transportpanzer Fuchs. Seine Störsender, die Jammer, verhinderten, dass Funkbomben gezündet werden konnten, und wackelten bei jedem Schlagloch wie betrunken auf dem Dach. Vor dem Fuchs umkurvte nur noch der andere Dingo die schlimmsten Krater und Felsbrocken. Die Cimic-Einsätze absolvierten sie mit der kleinstmöglichen Mannschaft, um die Einheimischen nicht zu verschrecken.

Als er zum Hauptmann befördert worden war, hatte er sich gemeinsam mit seinem Feldwebel Brenner für die Ausbildung „Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Auslandseinsatz“ gemeldet. Tee trinken mit den Dorfältesten, ab und an einen Brunnen versprechen und Hilfsgüter verteilen, das schien ihm der bestmögliche Job in dieser Gluthölle zu sein. Dafür hatten sie Landeskunde, Konvoi-Sicherung und ein paar Brocken der Sprache pauken müssen. Die Cimic-Einsätze kamen ihm mittlerweile vor wie der beschissenste Job der Welt. Die Kameraden dösten auf ihren Feldbetten, und sie mussten währenddessen in die entlegensten Dörfer, immer für endlos scheinende, sinnlose Gespräche. Wut über die Hitze und die Stunden, die er gleich mit alten Männern auf Teppichen herumsitzen würde, stieg in ihm hoch.

»Wenn die Karre während des Treffens in der Sonne steht, werden wir hier drin gegrillt«, meldete sich Brenner erneut über den Bordfunk.

In den Transportpanzern und anderen militärischen Fahrzeugen dröhnten die Maschinen derart laut, dass sie sich nur über die Funkanlage verständigen konnten. So standen sie beim Einschalten des richtigen Funkkreises auch mit den sie begleitenden Einsatzwagen in Verbindung. Falls sie angegriffen wurden, zählte jede Sekunde Kommunikation.

»Dann fahr das Ding im Kreis, bis ich wieder rauskomme«, fuhr er seinen Untergebenen an und riss sich die juckenden, verschwitzten Kopfhörer runter.

Der Konvoi hielt. Sie wurden bereits erwartet. In den verfluchten Hütten stand die Luft, und er hasste das nun folgende stundenlange Sitzen, Nicken und Lächeln jetzt schon.

»Du bleibst hier«, befahl Chuck und kletterte aus dem Dingo.

Nachdem er die gepanzerte Tür zugeknallt hatte, streifte er seine sandfarbenen Handschuhe ab. Bei Temperaturen über fünfzig Grad konnte man nicht mal einen Griff anfassen, ohne sich die Haut zu verbrennen. Aus einem der anderen Wagen sprang der einheimische Dolmetscher, an dem die mörderische Hitze abzuprallen schien. Chuck verschwand mit ihm in einer der Lehmhütten. Brenner zündete sich eine Zigarette an und wartete.

Nach zwei Stunden, die Brenner und seine Kameraden mit Stahlhelm und G36-Sturmgewehr dösend im Schatten des Dingos verbracht hatten, kamen der Dolmetscher und Chuck wieder hinter dem Vorhang der Hütte hervor. Der Hauptmann mahlte mit den Kiefern, die Muskeln traten deutlich hervor. Seine Lippen waren ein zusammengepresster Strich. Brenner sprang auf und schwang sich in das Fahrzeug. Ihm graute vor der Rückfahrt. Ein gut aufgelegter Chuck ließ keinen Spaß aus, vor allem, wenn er gegen die Regeln verstieß. Ein schlecht gelaunter Chuck verstieß gegen die Regeln. Ohne Spaß.

Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und rammte die Faust in die spartanische Türverkleidung.

»Diese beschissenen alten Säcke! Was bilden die sich ein, hier auch noch Forderungen zu stellen?«, brüllte er.

Wieder ein Schlag gegen die Tür.

Brenner schwieg und hoffte, dass der Ausbruch bald vorbei war, obwohl sich die Laune des Hauptmanns in letzter Zeit stetig verschlechterte. Er ließ seine Leute in der Hitze strammstehen und ordnete sinnlose Gefechtstrainings an, in denen die Gewehrläufe durch die Überbeanspruchung heiß geschossen wurden und kein Ziel trafen. Das hatte zur Folge, dass Chuck noch mehr schießen ließ. Als ein Soldat mal bissig bemerkte, dass die Gewehre schossen, wie Mädchen werfen würden, blieb Chuck ganz ruhig. Das hatte Brenner die meiste Angst gemacht. Er fühlte sich in der Nähe seines Hauptmanns jeden Tag unwohler. Als würde man neben einer Autobombe stehen und nie wissen, wann der Attentäter den Zünder betätigte.

Brenner wendete, setzte die Kopfhörer auf und fuhr eine andere Strecke durch einen ausgetrockneten Seitenarm des Flussbetts zurück zum Feldlager. Niemals die gleichen Routen nehmen. Der Befehl war ihm so in Fleisch und Blut übergangen, dass er Sorge hatte, dass er den später in der Heimat auf dem Weg zum Supermarkt nicht wieder loswurde. Chuck schien sich beruhigt zu haben und sah stur geradeaus. Weiter vorne durchquerten einige verschleierte Frauen mit Wasserkanistern den ehemaligen Fluss. Sie lachten und scherzten. Nur Frauen und Mädchen. Keine Männer. Die hüteten die mageren Ziegen in den Bergen und zogen durch die Täler, immer auf der Suche nach Wasser und Vegetation.

Chuck setzte die Kopfhörer auf und schaltete den Hebel von der Nullstellung auf den Zugkreis.

»Asterix an alle. Kommen.«

»Hier Asterix Eins. Kommen.«

»Hier Asterix Zwei. Kommen.«

»Hier Asterix. Eins bis Zwei sofort zurückverlegen ins Lager. Wir folgen in zwei Stunden. Verstanden? Kommen!«

»Asterix Zwei an Asterix. Wiederholen Sie. Kommen«, meldete sich der Fahrer des Fuchses mit den Störsendern auf dem Dach. Brenner meinte, einen ungläubigen Unterton rauszuhören. Es war höchst ungewöhnlich, dass man ohne Not ein Fahrzeug aus dem Konvoi zurückließ.

»Spreche ich irgendwie undeutlich?«

»Nein. Asterix Eins verstanden. Ende.«

Nachdem auch die Besatzung des Fuchses bestätigt hatte, stellte Chuck den Schalthebel der Funkanlage in die Nullstellung, sodass sie sich nur noch miteinander unterhalten konnten. Brenner zog sich der Magen zusammen. Drückte jetzt jemand auf den Zünder der Bombe? Wieso blieben sie in dieser Einöde zurück? Er wagte es nicht, etwas zu fragen, schaute Chuck aber von der Seite an. Der starrte mit funkelnden Augen in Richtung der Frauen.

»Halt an.«

Brenner stoppte. Der Motor brummte im Leerlauf. Sie saßen im Wagen und schwitzten. Kalksteine reflektierten das gleißende Sonnenlicht. Die anderen beiden Fahrzeuge entfernten sich in einer Staubwolke.

»Weiter.«

Brenner legte den Schalthebel auf D und rollte los. Die Frauen schauten dem sich entfernenden Trupp nach und musterten mit vor dem Mund gehaltenen Schleier gestikulierend den langsam auf sie zurollenden Dingo. Eine der Frauen kreischte los, und sie rannten alle aus dem Flussbett in Richtung ihrer Lehmhütten.

»Gib Gas!«

Brenner trat das Pedal durch. Kies spritzte hoch. Die Frauen ließen die Kanister fallen, stolperten, fingen sich und hetzten weiter zu den rettenden Hütten. Chuck schmiss Helm und Kopfhörer nach hinten. Er riss die Klettverschlüsse der Splitterschutzweste auf und warf sie dazu. Dann wühlte er in den Taschen seiner Hose und zog das Messer heraus.

Endlich verstand Brenner, was Chuck vorhatte. In derselben Sekunde versteifte sich sein Glied, und er schluckte. Sein Herz trommelte so sehr, dass es ihm in den Ohren rauschte. Er löste den Kinnriemen des Helms und lenkte den Dingo die ausgetrocknete Böschung hoch. Jagdzeit! Chuck warf einen Blick in Brenners Schritt und grinste.

Vergangen

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