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3. Maria, einige Wochen vorher
ОглавлениеDer Briefumschlag mit dem Anwaltslogo zitterte so stark in ihren Händen, dass die Buchstaben vor ihren Augen tanzten. Als sie versuchte, den Umschlag aufzuschlitzen, zuckte ihr Arm zur Seite, und das Küchenmesser schlitterte über das Linoleum. Vielleicht wollte ihr Lieblingsmesser, ein Geschenk von Christel, verhindern, dass sie schlimme Nachrichten las?
Maria schluckte und riss das Papier mit den Fingern auf. Sie strich den Brief glatt, setzte sich auf ihre linke Hand und überflog mit klopfendem Herzen das dreiseitige Schreiben. Dann begann sie wieder von vorne. Wort für Wort arbeitete sie sich durch die Zeilen, während sie langsam die Tragweite der Sätze erfasste.
Es klopfte.
»Maria bist du da?«, rief Christel durch die geschlossene Tür des kleinen Appartements.
»Ja.«
Marias Stimme war nur ein Flüstern, aber durch die dünnen Wände vermutlich trotzdem gut zu hören. Die Tür wurde von außen geöffnet, und Christel trat mit einem Korb voller Süßigkeiten in die Wohnküche mit Schlafnische.
»Die Schokolade ist zwar noch nicht abgelaufen, aber durch falsche Lagerung im Container hat sie zu viel Wärme abbekommen und war geschmolzen. Nimm dir, was du möchtest.«
Maria schaute hoch. Ihr Gesicht war nass von Tränen.
»Himmel, was ist passiert? Du weinst ja«, rief Christel.
Wortlos reichte Maria den Brief weiter. Ihre Hand zuckte unter dem Bein, als würde sie sich befreien wollen. Christel überflog die erste Seite, streifte Maria mit einem Blick und blätterte um.
Seufzend zog sich Christel einen Stuhl heran, legte den Brief auf den Tisch und griff nach Marias rechter Hand. Die Hand, die meistens ihren Dienst tat.
»Das sind doch gute Nachrichten oder? Vielleicht ist das auch der Ruf nach Deutschland, den du gebraucht hast, damit du dich endlich untersuchen lässt?«
»Ich weiß nicht ...«
»Was weißt du nicht?«
»Ob ich nach Hause zurück möchte.«
»Es ist doch nicht für lange. Du gehst zu diesem Anwalt, lässt dir einen Termin bei einem vernünftigen Arzt geben, und dann bist du schon wieder hier.«
Maria blickte auf ihre kooperative Hand und entzog sie Christel. Das Zucken der linken Seite verstärkte sich bei Stress. Immer öfter fing auch ein Fuß an, unwillkürliche Bewegungen zu machen.
»Lass es endlich abklären und regele die andere Sache.«
»Die andere Sache?« Maria lachte freudlos auf.
»Tut es dir weh?«
»Nein. Ich glaube, ich bin erleichtert. Vielleicht spielt es auch keine Rolle mehr. Das war ein anderes Leben.«
»Ich buche dir einen Flug und ein paar Nächte in einem schönen Hotel, okay? Auf meine Kosten. So was gibt es doch hoffentlich in deinem Hannover?«
Alarmiert schreckte Maria hoch. »In Hannover? In dieser Provinz? Lieber nicht. Ähm ... wie wäre es mit Hamburg? Wir warten doch auf einen neuen Container? Dann kann ich den gleich vor Ort bezahlen.«
»Ist dir das nicht zu umständlich? Ich kann das Geld auch wie immer der Botin mitgeben.«
»Besser das, als dahin zurück.«
»Nun gut. Du musst es wissen.«
Christel stand auf, stellte den Korb auf den Kühlschrank und ging in Richtung Tür.
»Geht es dir sonst wirklich gut, bis auf ...« Sie ließ das Ende offen und nickte in Richtung Marias Hände.
»Er ist tot. Ich werde zu seiner Beerdigung fahren und auf den Sarg spucken.«