Читать книгу Weggeworfen - Tina Voß - Страница 17
9. Oliver
ОглавлениеAls Oliver endlich dämmerte, wer die Journalistin war, die er befragen sollte, hatte Robert nur gelacht. Er weigerte sich, die Befragung zu übernehmen, und sagte zu Oliver: „Du solltest lernen, deine Vorurteile und Abneigungen in den Griff zu bekommen. Vielleicht ist sie doch ganz nett? Hübsch war sie damals zumindest.“
Oliver schüttelte den Kopf. „Vorurteile? Spinnst du? Die hatte sich mit ihren Kollegen wie ein Rudel Terrier in unseren Boss verbissen. Wenn die keinen Skandal finden, dann basteln sie einen. Hast du das vergessen?“
„Vergessen? Nein. Aber auch wir verdächtigen manchmal den Falschen. Und am Ende hat sich doch alles in Wohlgefallen aufgelöst.“
„Hat es nicht. Die haben uns wie Idioten aussehen lassen mit ihren falschen Behauptungen!“
„Olli, krieg dich wieder ein. Das ist zwei Jahre her, und du sollst sie nur befragen, nicht heiraten.“
„Kein halbwegs normaler Mann würde so eine heiraten“, hatte Oliver vor sich hingemurmelt und sich auf den Weg ins Hotel gemacht. Jetzt stapfte er, noch immer wütend, in der Lobby auf und ab und wartete.
„Frau Mika, einen Moment bitte!“ Die Empfangsmitarbeiterin drückte einem Anzugträger mit Rollkoffer einen Umschlag in die Hand. Oliver schreckte hoch und schaute durch die Lobby. Wer drehte sich um? Welche von denen war sie? Er war sich nicht sicher, ob er sie noch erkennen würde. Die Empfangsmitarbeiterin ging einer Frau entgegen, die bei der Nennung ihres Namens zusammenzuckte und ihren Hund kürzer an die Leine nahm.
„Der Herr dort hinten wartet schon seit einiger Zeit auf Sie. Er ist von der Polizei.“ Sie betonte das Wort „Polizei“ am Satzende so, dass es wie eine Frage klang.
Die Antwort konnte Oliver nicht verstehen. Er ging auf die beiden Frauen zu. Der Hund bellte.
„Frau Mika?“ Oliver hätte die Frau niemals wiedererkannt. Er hatte eine kurzhaarige, zornige Emanze abgespeichert und schaute nun in ein blond gerahmtes Gesicht mit Hornbrille.
„Ah, da sind Sie ja. Dann werde ich hier nicht mehr gebraucht.“ Die Hotelmitarbeiterin steuerte wieder ihren Tresen an, wo eine Schlange von weiteren Trolleybesitzern ausharrte.
„Oliver Klauenberg, Kripo Hannover. Haben Sie einen Moment Zeit?“ Er sprach Liv an, ließ aber das Tier nicht aus den Augen. Derartig fixiert, fing Frieda an zu knurren. Die Journalistin besaß nun also einen Hund. Die Spurensicherung hielt aufgrund der klaffenden Wunden und der Haare überall in Edgar Szumanskis Wohnung einen größeren schwarzen Hund für tatbeteiligt. Das versprach ein interessantes Gespräch zu werden, wenn ihm nicht schon bei dem Gedanken an den Tatort wieder übel werden würde.
„Frieda, aus! Kriminalpolizei? Was kann ich für Sie tun?“ Liv griff ins Halsband.
„Wir untersuchen einen Mord und haben dazu einige Fragen. Können wir irgendwo ungestört reden?“
„Mord? Was für ein Mord? Was hat das mit mir zu tun?“
„Können wir irgendwo ungestört reden? Auf Ihrem Zimmer?“
„Mein Zimmer?“, echote Liv und lachte auf.
Hatte sie dort Drogen versteckt? Sie reagierte zumindest entsprechend entgeistert.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein. Setzen wir uns einfach dorthin.“ Liv zeigte auf die am weitesten entfernte leere Sitzecke und ging vor. Frieda ließ sich nur widerstrebend mitziehen und drehte den Kopf nach hinten, um den Kommissar im Auge zu behalten. Oliver folgte den beiden in einigem Abstand. Er mochte Hunde, aber dieser hier kam ihm eher wie eine Waffe vor.
Liv befahl Frieda, sich abzulegen und setzte sich auf die vordere Kante des Sessels. „Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Wo waren Sie heute Vormittag?“
„Ich? Wieso ist das wichtig?“
„Frau Mika, ausnahmsweise stelle nur ich die Fragen. Sie dürfen sich auf Antworten beschränken. Also?“
„Spazieren.“ Sie zeigte auf den Hund. „Frieda brauchte Bewegung.“
„Und wo genau waren Sie spazieren?“
„Eilenriede. Wie alle Hundebesitzer in dieser Stadt bevorzuge ich den Stadtwald.“
„Was tun Sie in Hannover? Soweit ich weiß, wohnen Sie mittlerweile in Frankfurt.“
Liv öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Oliver hatte das Gefühl, dass sie eine Gegenfrage gerade noch hinunterschlucken konnte. Ihre Stirn fing an zu glänzen. Kam sie wegen seiner Fragen etwa ins Schwitzen? Er war es gewohnt, auf solche Details zu achten.
„Recherche.“
„Recherche? Oder helfen Sie den Tatsachen ein wenig nach und bauen Ihre Skandale selbst?“ Verdammt! Das war unprofessionell. Oliver, reiß dich zusammen.
„Worauf wollen Sie hinaus?“ Ihre Augen weiteten sich, und Oliver verspürte ein Ziehen. Himmel. Was hatten die denn für eine Farbe? Wie Stahl oder Beton.
„Sagt Ihnen der Name Edgar Szumanski etwas?“
„Edgar? Was hat der denn damit zu tun?“
„Also ja?“
„Ja.“
„In welcher Beziehung stehen Sie zu Herrn Szumanski?“
„In keiner.“
„Woher kennen Sie ihn?“
„Aus meiner Zeit in Hannover. Wir hatten uns bei einer Recherche vor ungefähr zwei Jahren kennengelernt.“
„Wann haben Sie Herrn Szumanski zuletzt gesehen?“
Liv stockte. „Vor zwei Jahren.“
„Und wann haben Sie ihn zuletzt gesprochen?“
Wieder dieses Zögern. „In den letzten Tagen irgendwann …“
„Geht das genauer?“
„Gestern.“
„Worum ging es da?“
„Tut mir leid. Ich denke, dass Sie das nichts angeht. Zumal ich auch nicht verstehe, was Edgar Szumanski mit dem Mord … mit einem Mord zu tun haben soll.“
„Das ist leicht zu beantworten. Er ist das Opfer.“
Er sah, wie sie zusammenfuhr. Der Hund spürte die Veränderung und hob aufmerksam den Kopf. Hoffentlich blieb der Köter genau da liegen. Oliver tastete unauffällig nach seiner Dienstwaffe. Sie saß im Holster.
„Er soll das Opfer sein?“ Liv verstummte und biss sich auf die Unterlippe. Das sah sexy aus, fand Oliver und hielt sich in der gleichen Sekunde ein Stoppschild vor seine Gedanken. Die waren unangemessen bei einer Verdächtigen. Aber er konnte es nicht lassen, sie weiter intensiv anzustarren. Hoffentlich dachte sie, dass das ein Teil seiner Verhörtechnik war. Oliver wartete noch ein paar Sekunden, aber die Journalistin nahm den Satz nicht wieder auf.
„Wir haben Ihre Nummer in seiner Telefonliste gefunden und bei Ihnen in der Redaktion angerufen. Da sagte man uns, dass Sie nach Hannover gefahren sind und das vermutlich kurz nach seinem Anruf. Nun ist er tot. Es geht mich also durchaus etwas an. Finden Sie nicht?“
„Ich kann Ihnen nicht helfen. Er bat mich um ein Treffen. Ich bin hergekommen, er ist nicht erschienen, ging nicht ans Telefon. Ende der Geschichte. Jetzt fahre ich wieder nach Hause.“
„Worum ging es bei dem Treffen?“
„Keine Ahnung. Das wollte er mir nur persönlich sagen.“
„Wie oft haben Sie versucht, ihn zu erreichen?“
„Einige Male. Vielleicht acht oder neun?“
Das stimmte mit den Anrufen in Abwesenheit überein, die das Telefon des Opfers angezeigt hatte. Oliver machte in Gedanken einen Haken hinter diesen offenen Punkt.
„Darf ich die Anrufe auf Ihrem Telefon sehen?“
„Nein.“
„Wo ist das Problem?“
„Kein Problem. Ich mag nur Ihre Willkür nicht. Oder bin ich verdächtig? Ich sehe auch nicht, wie ich Ihnen helfen kann.“ Liv stand auf und griff nach ihrer Tasche.
„Ich muss eine Speichelprobe von Ihrem Hund nehmen.“
„Was?“ Liv lachte. „Von Frieda? Was hat sie denn damit zu tun?“
Oliver stand ebenfalls auf, stellte sich dicht vor Liv. Er antwortete ruhig: „Edgar Szumanski wurde von einem Hund im Blutrausch regelrecht in Stücke gerissen. Ich möchte nur untersuchen, ob es sich um diesen hier handelt. Denn wenn es dieses Tier war, will ich, dass es niemals wieder die Gelegenheit dazu bekommt.“
Er ließ sie beim Sprechen nicht aus den Augen. Liv erwiderte seinen Blick ohne sichtbare Regung, wühlte dann in ihrer Umhängetasche, bis sie einen teilweise abgenagten Kauknochen in einer Klarsichttüte fand. Sie nahm die Tüte, presste überall auf das Plastik ihre Finger drauf und drückte den Beutel Oliver in die Hand.
„Hier. Das dürfte reichen. Meine Abdrücke gibt’s als Add-on dazu. Nur, falls Sie danach auch noch fragen.“
Keiner von beiden rührte sich. Oliver fixierte sie ohne weitere Regung. Unvermittelt sang Hans Albers Auf der Reeperbahn nachts um halb eins ...
„Möchten Sie nicht rangehen?“ Sie lächelte ihn an. Es veränderte ihr Gesicht schlagartig, und Oliver war fasziniert.
„Wenn es mein Telefon wäre, würde ich das tun.“
„Es ist nicht Ihres? Meines ist es ganz sicher auch …“ Liv verstummte. Ihr Lächeln gefror.