Читать книгу Es sind doch nur drei Wochen - Tom Sailor - Страница 5

Gaby

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Gaby und Erik haben sich vor etwas über vier Jahren auf einer Studentenparty kennengelernt. Eine hübsche, junge Frau saß halb auf einem Heizkörper an der Wand gegenüber der Tür, eine Bierflasche in der Hand und mit einem fröhlichen, offenen Blick. Erik hatte sie vorher nie gesehen, aber als er ihr Lachen hörte, war ihm sofort klar, dass er sie unbedingt kennenlernen muss. An dem Abend haben sie sich lange und intensiv unterhalten. Er weiß noch genau, welche Mühen er dabei hatte, am darauffolgenden Sonntag, nach einer nahezu schlaflosen Nacht, drei Rosen aufzutreiben. Mehr gab sein Studentenbudget nicht her. Endlich stand er dann vor ihrer Tür und keiner machte auf. Also hat er die Rosen am Türknauf befestigt. Leider hatte er nicht damit gerechnet, dass sie nicht da sein könnte. Also hatte er auch nichts dabei, auf dem er eine Nachricht hätte hinterlassen können. Verzweifelt sucht er dann im Hausflur und fand einen alten Einkaufszettel. Auf der Vorderseite stand eine Liste an hastig und unordentlich hingekritzelten Dingen, wie Zahnpasta, Petersilie, Omo und Toilettenpapier. Die Rückseite war noch frei, so dass er diese Seite benutzte, um eine Einladung zum Essen darauf zu schreiben. Das Ganze klemmte er dann unter Ihre Türklinke und ging wieder nach Hause. Leider ist die Zeit bis zu einer Antwort die reine Hölle.

»Was, wenn ein Nachbar einfach die Blumen klaut? Was ist, wenn sie gerade im Urlaub ist und dann einen Strauß toter Blumen findet? Was denkt sie sich, wenn sie den Einkaufszettel liest? Wie kann man nur so blöd sein und einen Einkaufszettel nehmen?«, waren die Gedanken, mit denen Erik sich selbst marterte. Als er es nicht mehr aushalten konnte, ist er am Abend noch einmal mit dem Fahrrad vorbeigefahren, um nachzuschauen, ob die Blumen vielleicht noch da sind. Leider war die Eingangstür verschlossen, so dass Erik vor dem Haus stehen musste und versuchte, von dort ihre Wohnung zu finden. Er war sich nun nicht mehr sicher, ob es die rechte oder linke Tür war, das Stockwerk war klar, aber er hatte nicht aus dem Fenster geblickt, ob es nun zum Hof oder zur Straße zeigte. Zu seiner Erleichterung brannte aber in beiden Wohnungen auf der Etage Licht. Trotzdem blieb die bange Frage, ob sie die Nachricht nun erhalten hat oder vielleicht doch ein Nachbar zuvorgekommen war. Mein Gott, was war Erik nervös, ob sie reagieren würde und vor allem wie? Das Gespräch zwischen beiden war toll gelaufen, aber die Unsicherheit, wie ein Mensch dann tatsächlich auf so eine eindeutige Botschaft oder fast eher Frage reagiert, hängt wie ein Mühlstein am seidenen Faden über einem.

Auf ihre Antwort musste Erik dann zwei Tage warten. Der erste Tag war noch hart. Am zweiten Tag beginnt sich dann bereits das Vergessen einzuschleichen, so dass man den theoretischen Verlust einzukalkulieren beginnt und ruhiger wird. Ihre Antwort hat ihn dann aber doch schier umgehauen. Als Erik zwei Tage später nach Hause kam, fand er eine Papierrolle unter seiner Türklinke. Es war mit einer blauen Schleife zusammengebunden. Er rollte das feste Pergament auf und fand ein Aquarell vor. Gaby studierte Kunst und hatte die drei Rosen als Aquarell gemalt. Auf der Rückseite hatte sie dann einen kurzen Text verfasst, in dem sie die Einladung annahm. War das eine herrliche Zeit. Als Student hat man keinen Luxus gebraucht, um glücklich zu sein. Die Endorphine der Verliebtheit reichten völlig, um jeden Tag zu vergolden. Nach einigen Monaten haben beide dann eine gemeinsame Wohnung gesucht. Nachdem Erik mit dem Studium fertig war und eine feste Anstellung hatte, sind sie in eine größere Wohnung gezogen, in der sie nun seit zwei Jahren zusammenleben. Es läuft eigentlich ganz gut. O. K. Es gibt immer ein paar Kleinigkeiten, über die man streiten kann, doch beide betrachteten das eher als Salz in der Suppe. Eine wichtige Regel war, niemals mit bösen Gedanken auf den Anderen ins Bett zu gehen, sondern sich vorher immer wieder zu vertragen. Keine schlechte Regel, fanden beide, wenn sie den Versöhnungssex genossen.

Auch Gaby hat ihre Ausbildung beendet und vor kurzem einen gut bezahlten Job in einer Galerie gefunden. Beide sind also recht erfolgreich aufgestellt und können das Leben gemeinsam genießen. Gerade dann, wenn man als Student sehr auf das Geld schauen musste, ist das Geld, das man anschließend regelmäßig verdient, ein Luxusvermögen. Essen gehen bedeutet nicht mehr, dass man Abstriche an anderer Stelle machen muss. Den Euro braucht man eben nicht mehr zweimal umzudrehen und hat trotzdem noch einen positiven Kontostand am Ende des Monats.

»Wenn ich Gaby heute Abend erzähle, dass ich nächste Woche nach Indien fliege, wird sie nicht begeistert sein.«, überlegt sich Erik auf dem Weg nach Hause.

»Wir haben in drei Wochen unseren ersten gemeinsamen Urlaub geplant. Der fällt jetzt aus!«, kommt es Erik überraschend in den Sinn, da er das ganz vergessen hatte.

»Am besten ich werde erst noch ein paar Blumen besorgen, um die unerfreuliche Neuigkeit etwas zu verschönern! Verdammt, sie wird sich nach der Nachricht sicher nicht mehr über die Blumen freuen. Diese Blumen sind dann das Symbol für eine schlechte Nachricht. Ich habe aber keine bessere Idee. Diese Blumen sind aus meiner Sicht eher das Symbol dafür, dass mir die Beziehung nicht gleichgültig ist!«, versucht sich Erik zu beruhigen.

»Hallo Schatz, wie war Dein Tag?«, wird Erik von Gaby mit einem Kuss begrüßt, als er aufschließt.

»Sie ist sehr attraktiv.«, denkt Erik und blickt auf ihre dunkelblonden, leicht gelockten Haare, die ihr etwas über die Schulter reichen, nicht zu dick und nicht zu dünn, irgendwie genau nach seinem Geschmack. Ihr Busen ist normal entwickelt. Erik versteht die Männer nicht, die sich diese Riesenbomben wünschen. Er findet eher, dass Frauen durch Riesenbrüste verunstaltet werden. Am meisten gefällt ihm aber ihre frische, direkte, fröhliche Art.

»Hi, schön, Dich zu sehen. Ich hab Dir ein paar Blumen besorgt.«, entgegnet er ihr.

»Ooh, die sind schön. Danke. Du siehst aber nicht sehr glücklich aus. Was ist los?«, fragt sie Erik und schaut ihn mit einem besorgten Blick an.

»Andresen hat mich nach Indien versetzt!«, antwortet Erik ohne zu zögern.

»Was? Wieso? Wann? Warum?«, prasseln die Fragen regelrecht auf Erik ein, wobei sich Bestürzung und Entsetzen in ihrem Gesicht abwechseln.

»Die haben ein Problem, weil der Leiter der Inbetriebnahme krank geworden ist. Ich habe lange mit Andresen diskutiert, aber er hat mich dann auf den Arbeitsvertrag verwiesen, in dem ich Einsätzen im Ausland zugestimmt habe. Um aus der Nummer raus zu kommen, müsste ich kündigen!«, erläutert Erik seine Situation.

Beiden war schon irgendwie klar, dass Erik irgendwann mal ins Ausland gehen könnte. Doch irgendwie haben sie den Gedanken daran verdrängt. Nun wurden sie davon überrascht. Vor allem, dass es ohne lange Vorwarnung passiert, so dass es wie ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis erscheint.

Erik erläutert Gaby die Anreise, so wie es die Sekretärin ihm geschildert hat. Zunächst wird er mit dem Flugzeug bis Neu Delhi fliegen und von da aus noch einmal etwa 10 Stunden mit dem Zug unterwegs sein. Am Ziel sollte dann ein Fahrer mit einem Auto auf ihn warten. Leider hat die Sekretärin recht häufig davon gesprochen, dass sie glaubt, dass die Reise so verläuft. Sie kümmert sich nur um das Ticket für das Flugzeug. Genaueres sollte er mit dem Büro in Delhi klären, wenn er da ist.

Erik ist sich bewusst, dass solch eine Versetzung ins Ausland vor allem für die Daheimgebliebenen schlimmer ist als für den Reisenden. Der Reisende ist von vielen neuen Eindrücken umgeben, so dass er nicht viel Zeit zum Grübeln hat. Die Daheimgebliebenen haben das Problem, dass sie sich Sorgen machen und diese Ungewissheit kontinuierlich an der guten Laune nagt. Es ist kein wirklich schöner Abend für Gaby und Erik, da beiden klar ist, dass dies eine Zäsur für ihr bisheriges Leben bedeutet. Sie fingen gerade an, sich einzurichten und müssen sich jetzt schon Gedanken über eine Trennung machen. Der schwache Trost besteht darin, dass der Zeitraum mit drei Wochen überschaubar ist.

»Bist Du sicher, dass es nur drei Wochen sind?« erkundigt sich Gaby mit einem fragenden Blick.

»Was soll ich dazu sagen?«, antwortet Erik, »meinst Du, mein Chef würde das unterschreiben? So lange bin ich nun auch noch nicht im Unternehmen, dass ich unentbehrlich bin und Forderungen stellen kann!«

»Und was machst Du, wenn es länger wird?«, bohrt sie weiter.

»Dann muss ich eben krank werden, krank vor Liebeskummer!«, erwidert Erik und nimmt Gaby zärtlich in den Arm, um das Thema zu beenden. Die Stimmung bleibt den ganzen Abend getrübt. Es ist eine Mischung aus Angst vor der Trennung, einem leichten Entsetzen darüber, dass die Reise ohne Vorbereitung, wie ein Schicksalsschlag über sie hereinbricht und dem stillen Vorwurf, dass Gaby an der Entscheidung nicht mitwirken konnte. Die zusätzliche Unsicherheit, dass Erik keine genauen Angaben dazu machen kann, wie lange der Einsatz dauern wird und wo denn der Ort genau liegt, hat die Stimmung nicht nachhaltig verbessert.

Die letzten gemeinsamen Tage vergehen wie im Flug. Erik war vorher noch nie in Indien. Eigentlich kennt er das Land nur von den Plakaten im Reisebüro. Von den Arbeitskollegen hat er erfahren, dass er möglichst haltbare Lebensmittel mitnehmen soll, da diese wohl nicht leicht zu bekommen sind. Erik und Gaby wird im Laufe der letzten Tage immer mehr bewusst, dass die bisherige Arbeitsteilung nicht funktionieren wird. Gaby muss ihn bei allen offiziellen Sachen vertreten können, so dass es für Erik selbstverständlich ist, dass er ihr für alle wesentlichen Sachen Vollmachten gibt. Sie trösten sich damit, dass sie in der Zeit seiner Abwesenheit möglichst viel telefonieren werden.

Es sind doch nur drei Wochen

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