Читать книгу Es sind doch nur drei Wochen - Tom Sailor - Страница 9
Die Oase in der Wüste
ОглавлениеDas Taxi hält genau vor dem Haupteingang und der Hotelportier in seiner Livree reißt mit einer Verbeugung den Wagenschlag auf. Ein weiterer Angestellter in einer eher schlichten Uniform kümmert sich sofort um das Gepäck, ohne das Erik auch nur etwas sagen muss. Dem Taxifahrer gibt er nun ein Entgelt von 5 Dollarnoten, worauf dieser sich überschwänglich bedankt.
»Das war also deutlich zu viel!« überlegt Erik, als er die Hotelhalle betritt.
Das Foyer ist gewaltig. Ein Wasserfall fällt aus etwa zehn Metern Höhe in einen kleinen Teich, alle Wände und Böden sind mit Marmor verkleidet, ein indischer Pianist sitzt an einem Flügel und spielt um 6 Uhr morgens leise, klassische Musik. In dem weitläufigen Raum sind überall kleine Sitzecken verteilt, wobei auf jedem Tischchen prächtige Blumensträuße stehen. Was sofort auffällt, ist der deutlich angenehmere Geruch. Erik folgt dem Kofferträger bis er vor einem bildhübschen Mädchen an der Rezeption steht. Sie trägt wie jede ihrer Kolleginnen neben ihrem ständigen Lächeln einen farbigen Sari, der in ähnlichen Farben gehalten ist, wie die Uniformen aller Bediensteten. Diese Umgebung lässt die elende Armut vor der Tür vergessen.
Nach dem Check-in kümmert sich ein anderer Boy um Eriks Gepäck. Etwas verwundert ist Erik, weil der Koffer-Boy ihn zwar bis zu seinem Fahrstuhl begleitet, den Knopf drückt um den Fahrstuhl zu holen, dann sich aber abwendet, um, zusammen mit dem Gepäck, einen anderen Fahrstuhl auf der Rückseite zu benutzen. Dieser separate Fahrstuhl ist für die Angestellten und das Gepäck vorgesehen, so dass ein Fahrgast im Fahrstuhl nicht unnötig bedrängt wird und nicht gezwungen ist, mit einem niederen Wesen wie den Bediensteten den Fahrstuhlraum teilen zu müssen. Diese bevorzugte Behandlung hat Erik bisher noch nicht erlebt. Die Schikanen am Flughafen haben dazu geführt, dass Erik das Land eher skeptisch betrachtet und im Stillen auf die nächste bedrohliche Überraschung wartet. Langsam entspannt sich Erik und beginnt die Atmosphäre und den Service zu genießen. Er merkt, wie die Anspannung, die sich seit der Ankunft am Flughafen stetig aufgebaut hat, von ihm abfällt und er sich langsam wieder besser fühlt. Plötzlich werden die lästigen Arbeiten von anderen bereitwillig übernommen. Allerdings erkennt Erik im Hintergrund auch ein leicht beschämendes Gefühl, da diese Bediensteten im Grunde genommen wehrlose Sklaven sind. Man kann sich schnell daran gewöhnen und ist dann versucht, auf diese Bediensteten als Menschen zweiter Klasse herab zu sehen. Als Erik an seinem Zimmer ankommt, steht der Kofferboy bereits da und hat die Tür geöffnet. Der Fahrstuhl der Bediensteten scheint wohl schneller zu laufen. Nachdem er die Koffer auf die dafür vorgesehenen Ablagen abgestellt hat, gibt Erik auch ihm eine Dollarnote aus seinem bereits etwas geplünderten Budget. Kaum ist die Tür hinter dem Boy ins Schloss gefallen, lässt Erik sich auf das Bett fallen. Dieses Hotel ist mit einem extrem weichen Bett ausstaffiert. Er dreht sich auf den Rücken und versucht ohne aufzustehen seine Schuhe abzustreifen. Auch seine Befreiung von Hemd und Hose versucht er mit einem minimalen Energieaufwand zu bewältigen. Schon fast glücklich und zufrieden darüber, die erste Hürde der Anreise erfolgreich geschafft zu haben, greift er mit der rechten Hand in die Decke und rollt sich ein. Da er ja jetzt im Land ist, dürfte es von nun an problemlos weitergehen. Erik empfindet es als kleinen Erfolg, dass er es bis hierher geschafft hat. Er entspannt sich immer mehr und es dauert nur wenige Sekunden, bis er in einen traumlosen Schlaf fällt.
Plötzlich wird er durch ein lautes Pochen an der Tür aufgeschreckt. Erik versucht sich aufzusetzen, wobei er sich in der zusammengerollten Decke verheddert und eine Weile benötigt, bis er realisiert, wo er sich befindet.
»Was war das, warum bin ich so aufgeschreckt?«, geht es durch seinen Kopf. Da hört er es wieder klopfen.
»Room Service, Sir«, klingt eine gedämpfte Stimme durch die Tür.
»Oh, Shit, ich habe vergessen, dieses »Bitte nicht stören Schild« nach draußen zu hängen.«, stöhnt Erik vor sich hin. »Ohne dieses Schild kommt sicher ständig ein Bediensteter und will irgendetwas im Zimmer richten.«, murmelt Erik mürrisch vor sich hin und steigt aus dem warmen Lager. Mit dem »Bitte nicht stören Schild« in der Hand öffnet er die Tür und hängt das Schild über den Türknopf. Der Hausdiener schaut ihn erschreckt an, als Erik nur in Unterhose vor ihm steht.
»Oh, sorry, Sir!«, antwortet er verschreckt und zieht sich sofort zurück.
Erik schließt wieder die Tür und schaut auf seine Uhr. »Ich war gerade fest am Schlafen. Wie spät ist es eigentlich? Auf meiner Uhr ist es 9:00 Uhr vormittags. Also wenn hier 9:00 Uhr ist, dann ist das viereinhalb Stunden früher als in Deutschland. Also müsste es in Deutschland jetzt 4:30 Uhr sein. Kein Wunder, dass ich immer noch müde bin.«, rechnet Erik vor sich hin.
Als er zurück zum Bett geht, fällt ihm auf, dass er sich in die Tagesdecke eingerollt hatte. Er war heute Nacht einfach zu erledigt, um das noch zu merken. Jetzt ist er allerdings wach und kann die Sonne durch die Vorhänge sehen.
»Noch ein Viertelstündchen oder aufstehen?« diskutiert Erik mit seinem inneren Schweinehund. Da die Klimaanlage läuft, ist es recht kühl im Zimmer. Während Erik noch mit sich kämpft, beginnt er zu frieren, so dass er sich wieder ins Bett legt. Der Kampf mit seinem inneren Schweinehund hat ihn so ermüdet, dass er gleich wieder einschläft.
Zwei Stunden später wacht er wieder auf. Nach einer ausgiebigen Dusche lässt er sich ein Frühstück aufs Zimmer bringen und genießt, nachdem er die Vorhänge geöffnet hat, den Blick über Delhi aus dem 10. Stock. Als er die Balkontür öffnet, stoppt das leise Rauschen der Klimaanlage sofort. Kaum hat er die Tür zur Seite geschoben, trifft ihn ein aggressives Sonnenlicht, so dass er seine Augen zusammenkneift. Die Scheiben des Hotels sind getönt, so dass sie einen Teil des grellen Sonnenlichts zurückhalten. Dazu kommt die flirrende Hitze, die augenblicklich zusammen mit den unangenehmen Gerüchen in sein Zimmer eindringt und nach ihm greift. Nachdem sich seine Augen etwas an das helle Licht gewöhnt haben, erkennt er, dass die Sonne eher milchig am Himmel steht. Es ist keine Wolke zu sehen, aber ein blauer Himmel ist das auch nicht. Eher dunstig wie ein leichter Nebel. Erik vermutet den Grund in den Abgasen der Fabriken, der Fahrzeuge und der vielen Feuer. Er stützt sich auf das Geländer und blickt nach unten. Er steht zufälligerweise direkt über dem Eingang für das Personal und es scheint gerade Schichtwechsel zu sein. Erik beobachtet ein stetes Kommen und Gehen, eine bunte Schar, die sich vor dem Eingang sammelt und langsam in das Hotel einsickert.
»Wo diese Menschen wohl übernachtet haben? Womöglich auch am Straßenrand. Und jetzt sollen Sie in diesem Luxus die verwöhnten Gäste bedienen?«, fragt sich Erik. »Ich frage mich, wie ein Mensch diesen krassen sozialen Unterschied aushalten kann.«
Erik ist froh über den Abstand aus dem 10. Stock, so dass es bei der philosophischen Frage bleibt. Die Hitze auf dem Balkon erträgt er aber nur kurz. Im Zimmer sind es vielleicht 23°C, wohingegen draußen jetzt schon über 40°C sind. Erik schließt wieder die Balkontür und die Klimaanlage springt augenblicklich wieder an.
»Wow, allein für den Betrieb der Klimaanlage wird dieses Hotel sicherlich ein Vermögen aufbringen.«, überlegt Erik. Dazu kommen noch viele weitere Stromverbraucher, wie die Beleuchtung, die Restaurants, Küchen, Fernseher in den Zimmern und so weiter. Da Erik in der Energiebranche tätig ist, beginnt er fast automatisch eine Hochrechnung: »Auf der Klimaanlage für den Raum steht 3 kW Leistung. Wenn die nur das halbe Jahr läuft, sind das schon locker 15.000 kWh. Das ganze mal 200 Zimmer sind 3 Millionen kWh pro Jahr. Ich habe keine Ahnung, was der Strom hier kostet, aber bei uns zuhause dürfte das so bei 20 Cent pro kWh liegen. Ein Vermögen von mehreren hunderttausend, was hier jedes Jahr im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft geblasen wird.«, sinniert Erik. »Für ein angenehmes Leben brauchst Du hier also viel Kohle.«, schließt er seine Überlegungen ab.
Geplant ist, dass Erik am Abend mit der Bahn die 600 km lange Reise zur Baustelle antreten soll. Zuerst muss er sich allerdings im Büro der Firma melden, damit sich jemand um die Koffer im Zoll kümmert. Außerdem braucht er ja noch die Zugtickets und weitere Details, wie er schließlich zur Baustelle kommt. Erik sucht aus seinem Adressbuch die Kontaktdaten und Telefonnummer des Büros. Es meldet sich eine Inderin, die ein leidliches Englisch spricht. Etwas überrascht ist Erik dann doch, als die Person, an die er weitergeleitet wird, sich in perfektem Deutsch meldet.
»Hallo, Herr Jacobsen, willkommen in Delhi. Hatten sie eine gute Reise?«
Erik erzählt dem Büroleiter seine Geschichte. Er ist weder überrascht noch verärgert, sondern erklärt nur, dass das öfters passiert. Erik muss allerdings noch einen Tag länger in Delhi bleiben, um die Formalitäten mit dem Zoll zu klären. Außerdem bräuchte er Eriks Reisepass, da gegen ihn ja ein Verfahren eingeleitet wurde. Bevor er wieder ausreisen möchte, sollte das Verfahren abgeschlossen sein. Ansonsten dürfte es bei der Ausreise Probleme geben. Der Büroleiter erklärte weiter, dass er einen Boten schicken wird, der sich darum kümmern wird.
Etwas irritiert legt Erik den Hörer wieder auf. Den Pass abzugeben ist irgendwie keine gute Idee.
»Wenn ihm jetzt irgendetwas passiert, kann ich womöglich nicht einmal das Land verlassen, sondern kann nur beten, dass ich die Zustände überlebe.«, murmelt Erik entnervt zur Wand. »Na ja, wird schon irgendwie schiefgehen.«, wischt er seine negativen Gedanken beiseite.
Da der Zug erst am Abend abfährt, ist eigentlich noch genug Zeit, um sich die Stadt etwas näher anzusehen. »Mit dem Taxi eine Rundfahrt zu machen dürfte wohl die beste Methode für das Erste sein!«, entscheidet sich Erik und zieht sich an.