Читать книгу Es sind doch nur drei Wochen - Tom Sailor - Страница 6

Eine Zeitreise

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»Wir haben noch ein paar Sachen, die Sie unbedingt mitnehmen müssen!«, erklärt ihm die Sekretärin, Frau Berger, als Erik am Morgen des Reisetages in der Firma ankommt.

Mit den Worten, »Holen sie doch am besten den Mietwagen vom Parkplatz und fahren hinten zur Werkstatt.«, übergibt sie Erik einen Autoschlüssel. Zunächst ist Erik etwas verwundert, dass es ein Passat Kombi ist. Als er aber dann an der Rampe zur Werkstatt ankommt, warten dort bereits sieben Koffer auf ihn, die er noch mitnehmen soll. In den Koffern sind Ersatzteile, Elektronikkarten und Werkzeuge. Erik muss die Koffer mehrfach umräumen, bevor sie gerade so in den Mietwagen passen. Einen Koffer muss er sogar auf dem Beifahrersitz anschnallen. Nach einer knappen Stunde Fahrt steht Erik dann in Frankfurt am Flughafen vor dem nächsten Problem. Auf einen Gepäckwagen passen nicht alle Koffer. Da er zwei Gepäckwagen braucht und nur einen zur gleichen Zeit bewegen kann, will er einen Gepäckwagen am Check in abstellen und dann den Zweiten holen. Das ist aber nicht möglich. Da Erik aber darauf besteht und langsam als Sicherheitsproblem erscheint, ruft die Dame am Check-in schließlich den Chef der Security. Ausnahmsweise und nur, weil Erik dem Security-Chef die Firmendokumente zu dem Gepäck zeigen kann und nachdem dieser einen Blick in die Koffer geworfen hat, kann Erik einen Wagen am Gepäckschalter unter Bewachung stehen lassen, um den Zweiten zu holen. Nach dem Check-In muss Erik allerdings noch das Übergepäck bezahlen. Erst dann bekommt er auch das Flugticket ausgehändigt. Zum Glück akzeptiert die Fluggesellschaft, dass die Rechnung direkt an die Firma gesendet wird. Erik hätte das Geld zwar wiederbekommen, doch dazu braucht es eine Reiseabrechnung und die kann er erst dann erstellen, wenn er wieder in Deutschland ist. So lange wäre sein Konto dann mit dem nicht unerheblichen Betrag von fast drei tausend Euro belastet worden.

Nach den Formalitäten schlendert Erik in die Business-Lounge. Schön souverän und langsam eintreten, das Ticket vorweisen und so tun, als wäre man hier schon etliche Male gewesen. Prima ist, wenn man einen Vorgänger hat, den man heimlich beobachten kann. Bloß nicht zeigen, dass man hier noch nie war. Also, erst einmal einen freien Platz suchen, die Bordtasche abstellen und dabei möglichst unauffällig die Einrichtung ausspähen.

»Okay, da ist die Bar, daneben ein Buffet mit kleinen Snacks und da drüben ein Ständer mit Zeitungen und Zeitschriften.«, orientiert sich Erik und versucht dabei möglichst so gelangweilt auszusehen, als ob er schon hundertmal hier war.

»Muss ich die Zeitschriften bezahlen oder gehört das zum Service«, stellt sich Erik die nächste Frage. Alsbald erhält er eine Antwort, da ein anderer Gast zum Ständer schlendert und sich mehrere Zeitungen nimmt, ohne dass die Damen am Empfang davon Notiz nehmen. Also erhebt sich Erik und schlendert ebenfalls in Richtung der Zeitschriften. Dort angekommen findet er ein Hinweisschild für separate Büronischen, die Toiletten und tatsächlich auch noch Duschen.

»Nicht schlecht, was einem so geboten wird, wenn man sich etwas über das normale Volk erhebt!«, denkt Erik und fühlt sich gleich etwas elitärer.

Duschen ist nicht nötig, also ran ans Buffet. »Wie wäre es denn zum Anfang mit etwas Campari und ein paar Erdnüssen. Dann hol ich mir noch eine Zeitung.«, legt er sich seinen Plan zurecht.

Erik überlegt, welche Zeitschrift denn angemessen wäre, wenn man denn so als weltmännischer Geschäftsmann reist?

»Ach ja natürlich ein Wirtschaftsblatt. Lese ich sonst nie, aber hier spiele ich mal den viel reisenden Manager.«, überlegt er sich beim Gang an das Buffet. Erik lässt seinen Blick möglichst unauffällig durch die Lounge kreisen, so als schaue er, ob er ein bekanntes Gesicht entdeckt. Verteilt auf den verschiedenen Sitzgelegenheiten sieht Erik nur Männer zwischen 40 und 60. Entweder sind sie damit beschäftigt, in einer Zeitung zu blättern oder sich mit ihrem Sitznachbarn zu unterhalten. Das erste Glas Campari war schnell leer. Also bewegt sich Erik noch einmal an die Bar, um sich einen Wein und ein paar kleine Snacks zu holen.

»Ein schöner, schwerer Bordeaux. Früher hat uns der Wein vom Discounter gereicht.«, überlegt er, als er das Etikett der Flasche prüft. »Früher kam es wohl eher auf die Wirkung als auf den Genuss an. Es ist wie mit den Frauen. Wenn man richtig gute Frauen kennengelernt hat, dann wird man auch wählerisch. Der Sex mit irgend so einem Discoaufriss bringt keinen Spaß mehr, wenn man einmal an edlen Früchten naschen durfte.«, philosophiert er mit einem wohligen Gefühl, als er langsam zu seinem Platz zurückgeht.

Es ist schon eine kleine Luxuswelt, die die Fluggesellschaft in ihrer Lounge präsentiert. Diese ruhige Atmosphäre, ein Großbildfernseher, der leise die aktuellen Nachrichten präsentiert, die vornehmen Damen am Empfang, die ausgewählten Angebote an der Bar und die Appetithäppchen auf dem Buffet.

»Nicht ganz mein normaler Alltag, aber sehr angenehm.«, denkt Erik, als er sich im Sessel entspannt.

»Ach ja, Zeitungen und Zeitschriften für die Kollegen mitnehmen!«, fällt Erik die Botschaft der Sekretärin wieder ein.

Es hat schon etwas von einem Raubzug, wie er sich mehrfach mit leichtem Zeitversatz an den Zeitungsständer begibt, um unterschiedliche Exemplare zu ergattern und sie dann in seiner Bordtasche zu verstauen. Ein bisschen unangenehm war es ihm schon, aber das Gefühl ließ sich ohne weiteres mit einem zusätzlichen Glas Bordeaux überdecken. Auch wenn der Aufenthalt recht angenehm ist, so ist es doch eine begrenzte Zeit, bis man zu seinem Flieger gehen muss. Erik hat festgestellt, dass in diesem Bereich keine Lautsprecherdurchsagen erfolgen. Man muss sich selbst darum kümmern, rechtzeitig zum Gate aufzubrechen.

»O. K., in fünf Minuten beginnt das Boarding, jetzt also wird es Zeit, zum Gate zu gehen.«, ermuntert sich Erik, als er mit leicht angesäuseltem Kopf seine Habseligkeiten zusammensucht und die Lounge verlässt.

Als Erik am Gate eintrifft, sind die meisten Passagiere bereits eingestiegen, so dass er ohne zu Warten über die Gangway bis zum Flieger gelangt. Zwei Stewardessen stehen am Eingang und begrüßen jeden Passagier mit einem freundlichen Lächeln.

»Was für eine scharfe Braut. Die sieht ja echt heiß aus. Blond, meine Größe und gut proportioniert. Hoffentlich ist sie meinem Bereich zugeteilt.«, schießen Erik durch den Alkohol leicht enthemmte Gedanken durch den Kopf.

Leider war die junge Frau nicht für seinen Bereich zuständig, sondern ein Steward. Somit verlief der weitere Flug ohne entsprechende erotische Gedankenspiele. Nach der ersten Aufregung über die neue Umgebung stellt sich bei Erik aber schnell eine entspannte Langeweile ein, bei der man zurückgelehnt den Service genießt und in verschiedenen Magazinen blättert.

»Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er schwul ist, so weich, wie er spricht.«, überlegt sich Erik. Er war lange davon überzeugt, dass er bei Männern sofort erkennt, ob einer schwul ist. Inzwischen ist er aber vorsichtiger geworden. Erik erinnert sich noch gut, wie er nach einer Party bei Freunden mit einem ihm vorher unbekannten Mann im selben Zimmer übernachten musste. Im Verlauf der Party hatten Erik und Wolfgang, so hieß sein damaliger Zimmernachbar, ein recht interessantes Gespräch über Politik geführt. Erik wäre nie auf die Idee gekommen, dass dieser Mann schwul sein könnte. Erst am nächsten Tag, hat ihm sein Freund dann erzählt, dass Dieter schon seit Jahren eine schwule Beziehung führt. Erik selbst hatte nichts davon bemerkt, und wurde daher eine lange Zeit von seinen Freunden aufgezogen: »Hey, du hast doch mit Wolfgang in einem Zimmer übernachtet? Wie war es denn? Habt Ihr Spaß gehabt? Trefft Ihr euch wieder?«, waren die üblichen, flachen Sprüche, die er aushalten musste. Es verwundert Erik immer wieder, wie Homosexualität gesehen wird. Als ob ein Schwuler über jeden Mann herfallen würde, sobald er diesen allein in einem Zimmer antrifft.

»Schade, ich hätte gerne mit der blonden Lady vom Eingang geflirtet. Oder einfach nur zugesehen, wie sie sich durch die Reihen bewegt. Ihre Brüste waren ganz nach meinem Geschmack. Ob sie wohl rasiert ist? Bestimmt. Welcher Mann mit etwas Geschmack mag schon auf einem Bärenfell herumkauen.« wandern Eriks Gedanken wieder in eine erotische Richtung ab.

»Möchten Sie Orangensaft oder ein Gläschen Sekt?«

Der Steward steht mit einem Tablett neben Erik und lächelt ihn an. Durch den Alkohol etwas verlangsamt, braucht Erik ein paar Sekunden, um von seiner Phantasie in die Realität zurückzuschalten und »Den Sekt, bitte.«, antworten kann.

Eigentlich trinkt er nicht gerne Sekt. Aber nach Orangensaft war ihm noch weniger zumute.

»Man soll ja viel trinken, wenn man fliegt!«, versucht Erik eine Rechtfertigung zu finden. Nachdem er nun aus seinen Tagträumen erwacht ist, beginnt er, sich für die Mitreisenden zu interessieren. Alles Männer zwischen 30 und 60 Jahren, stellt er nach einem oberflächlichen Blick in die Runde fest. Sein Sitznachbar ist in etwa in seinem Alter. Er war Erik bereits vorher aufgefallen. Um zum Flieger zu gelangen, muss man durch die Kontrolle für die Bordkarte. Dort war der Kollege mit den Mitarbeitern angestrengt am Diskutieren und führte dabei so ein »Hallo-ich-bin wichtig-Theater« auf. Anlass war seine recht große Tasche, auf der mit großen Lettern »Bundesrepublik Deutschland« und der Bundesadler prangte. Es handelte sich wohl um Diplomatengepäck, dass er partout nicht aus der Hand geben wollte. Da die Tasche aber zu groß für die Kabine war, musste er sie schließlich doch aufgeben. Erik konnte von seinem Sitzplatz beobachten, wie er dann persönlich über eine Treppe auf das Rollfeld gegangen ist und dann überwacht hat, wie seine Tasche dann als letzte verstaut und die Klappe verschlossen wurde. Als Erik herübersieht, fällt ihm eine kleinere Bordtasche des »Hallo-ich-bin-wichtig-Kollegen« auf, die halb offen neben dem Diplomaten liegt. Seltsamerweise schaut aus ihr ein Teil eines Briefes heraus, so dass die Adresse des Absenders zu erkennen ist: »Auswärtiges Amt«, wieder mit Bundesadler.

»Den Aufstand mit der Tasche hat er wohl veranstaltet, weil ihm sein Statussymbol abgenommen wurde.«, denkt sich Erik. Jeder, der feststellt, dass sein Brief so aus einer Tasche herausschaut, würde ihn sofort zurückschieben. Nicht so sein Sitznachbar. Erik lächelt leise in sich hinein, da er Menschen mit solch einem Verhalten einen erheblichen Minderwertigkeitskomplex unterstellt. Er hat nichts für diese Art von Gernegroß übrig und versucht ihnen möglichst aus dem Weg zu gehen. Ihr Selbstwertgefühl ist so gering, dass sie leicht betroffen sind und dann zu streiten anfangen. Auf der anderen Seite macht es Erik manchmal Spaß, mit diesen Menschen zu spielen. In ihrem Bestreben, als Held da zu stehen, müssen sie zwangsläufig eine Geschichte erfinden. Mit etwas Geschick kann man dann versuchen, diese Geschichte durch gezielte Fragen zu dramatisieren. Erik hat schon früh erkannt, dass diese Leute meist sehr fixiert sind und daher sehr anfällig für Manipulationen.

»Mein Briefträgernachbar ist wahrscheinlich nur Hausmeister und wäre gerne Diplomat!«, beendet Erik seine Gedanken an seinen Mitreisenden.

So langsam zeigt der Alkohol seine Wirkung und eine gemütliche Schwere erfasst Erik, so dass er irgendwie ganz zufrieden die Lehne des Sitzes zurückstellt und sich entspannt. Das ist der große Vorteil der Business Class. Die Sitze stehen so weit auseinander, dass man tatsächlich den Sitz zurückstellen kann, ohne den Hintermann in Bedrängnis zu bringen. Entspannt schließt Erik die Augen und überlegt, ob er wohl einschlafen kann.

Mit einem Mal kommt die Stewardess vom Check-in auf ihn zu, und fordert ihn lächelnd auf, ihr zu folgen. Erik blickt zunächst sehr verwundert, folgt ihr dann aber in einen abgeteilten Nebenraum, in dem sie alleine sind. Er hat das Gefühl, als würden sie sich leicht bewegen, nein eher aufeinander zu schweben, von einer Kraft getrieben, die dem Verlangen entspringt und den Verstand aufsaugt. Sie berühren sich schließlich, langsam und sanft. Obwohl sie sich erst wenige Sekunden sehen, empfindet Erik ein Gefühl, als wären sie schon Jahre vertraut. Keine Worte fallen, die das Bild vielleicht verändern könnten. Nur Blicke, unendlich sanft, unendlich tief und unendlich vertraut. Langsam berühren sich die warmen, weichen Körper. Erik spürt ihre Brustwarzen wie die kleinen Knospen einer Rose. Er spürt ein Verlangen in sich erwachsen, dass seine Sinne verschließt und die Gefühle intensiviert. Der betörende Duft ihres Parfums, das leise kitzeln ihrer Haare, die sinnlichen Lippen, die sich ihm nähern. Alles zusammen verschmilzt zu einer einzigen erotischen Wahrnehmung. Sein Mund berührt ihre Wange. Sie legt den Kopf zurück und bietet ihm ihren Hals an. Seine Lippen bewegen sich immer tiefer auf Ihre Brüste zu.

»Würden Sie bitte Ihren Sitz aufrecht stellen?«

»Wie, was …. Oh verflixt. Ich bin eingeschlafen«, stellt Erik irritiert fest und blickt auf die Uhr. Es ist zwei Uhr morgens. Die ersten Sekunden war er etwas orientierungslos, bis er die Umgebung wieder zuordnen kann. Nicht gerade eine Zeit, in der er sich taufrisch fühlt. Die fremdartigen Geräusche im Flieger führen dazu, dass er nicht wirklich tief schlafen konnte. Es reichte aber aus, um wirre, ja geradezu fiebrig erotische Träume zu entwickeln. Es ist kurz vor der Landung in Neu Delhi. Der Steward serviert heiße Tücher. Die Haut ist irgendwie ausgetrocknet und nimmt die Dämpfe begierig auf.

»Wünschen Sie Frühstück?«, fragt der Steward freundlich.

»Ein Kaffee wäre sehr nett.«, erwidert Erik.

»Das angebotene Omelett ist nichts für meinen Magen um diese Uhrzeit. Der schläft noch!«, sinniert Erik. Als er aus dem Fenster schaut, bemerkt er dieses besondere, diffuse Licht am Himmel, das von den Lichtern einer Großstadt erzeugt wird. Das ist also die Millionenstadt Delhi. Von oben sieht jede Stadt magisch aus. Die vielen Lichter ziehen sich wie Perlenketten die Straßen entlang. Es ist ein Anblick, den Erik genießt.

»Für eine Millionenstadt sind es aber irgendwie zu wenig Lichter.«, überlegt Erik. Erst später erfährt er, dass nur einige Teilbereiche über eine Straßenbeleuchtung verfügen. Die Ausdehnung der Stadt lässt sich in der Nacht nur vage an den vielen Lagerfeuern erahnen.

»Bitte füllen Sie das Einreiseformular aus.«, reißt ihn der Steward mit einem freundlichen Lächeln aus seinen Gedanken und legt ihm das Formblatt auf den Klapptisch.

»Mein Gott, wie kann man nur um diese Zeit noch so frisch aussehen?«, überlegt Erik, als er dem Steward dankend zunickt. Der erste Punkt ist die Frage nach der Reisepassnummer.

»Wer hat denn so was im Kopf.«, seufzt Erik, als er den Tisch wieder hochklappt. Er steht mit etlichen anderen Passagieren jetzt im Gang um die Overheadbox über seinem Sitz zu öffnen und die Tasche herauszuholen. Da es sowieso nicht mehr lange mit der Ankunft dauern wird, beschließt Erik, die Tasche anschließend unter seinem Sitz zu verstauen. Nachdem Erik sich wieder gesetzt hat, richtet sich sein Diplomaten-Nachbar an ihn und zeigt auf das Formular: »Passen Sie bloß gut auf den gelben Durchschlag auf. Ich hab meinen mal verloren und dann mächtig Ärger bei der Ausreise gehabt.«

»Na prima, noch nicht mal im Land und schon hat man Probleme mit der Ausreise.«, erwidert Erik mit einem spöttischen Lächeln. Nachdem das Flugzeug am Terminal angedockt ist, hat Erik den Eindruck, als ob die Passagiere langsam, ja fast zögerlich die Gangway hinab ins Terminal gehen. Nicht mit Hast und Freude den wartenden Verwandten entgegeneilend, sondern eher so wie jemand, der etwas unwillig einen angenehmen Ort verlassen muss.

Es sind doch nur drei Wochen

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