Читать книгу Es sind doch nur drei Wochen - Tom Sailor - Страница 7
Stolpersteine auf dem Weg ins Land
ОглавлениеDas erste, was Erik auffällt, als er aus dem Flieger steigt, ist der Geruch. Es riecht muffig, abgestanden, etwas faulig, so als ob vor kurzem ein Mülllaster vorbei gefahren ist. Erik fragt sich auf dem Weg zur Passkontrolle, ob es durch eine mangelhafte Klimaanlage, die vielen Menschen und wenig Lüftung oder einfach durch unhygienische Verhältnisse zu diesem Geruch kommt. Der Zöllner in seiner Kabine sieht müde und gelangweilt aus. Langsam schiebt Erik sich mit den anderen Passagieren an den Schalter heran.
»Verflixt, wo ist jetzt dieses komische Einreiseformular?«, entnervt wühlt Erik in seinem Aktenkoffer, um diesen Zettel wiederzufinden. Die Suche bleibt zunächst ergebnislos, bis er sich erinnert: »Ach ja, ich habe ihn ja in die Innentasche vom Jackett gesteckt. Bin wohl doch etwas müde.«
Stoisch blickt der dunkelhäutige Inder Erik ins Gesicht, als er endlich vor dem Schalter steht. Dann blickt er abwechselnd auf den Pass, die Formulare und seinen Computerbildschirm und tippt irgendwelche Daten ein. Der Zöllner zelebriert anschließend das Stempeln der Dokumente mit jeweils einem lauten Klack, als er den Stempelautomat mit Wucht auf die Papiere sausen lässt. Seine Arbeit leistet er völlig wortlos. Kein Lächeln, kein Ton, nichts. Schließlich ist er mit dem Prozedere fertig, behält das rote Deckblatt und gibt Erik den Ausweis mit dem gelben Schein zurück. Anschließend winkt er ihn mit einer kurzen Handbewegung durch, als würde er eine Fliege wegscheuchen. Hinter den Schaltern für die Zöllner fällt Erik ein einzelner erhöhter Glaskasten auf, in dem wohl der Chef-Aufpasser sitzt, der die anderen Zöllner kontrolliert. Erik findet, dass er wie ein Oberlehrer wirkt, der über seiner Klasse thront. Es ist wohl erforderlich, um sicherzustellen, dass die Zöllner auch wirklich arbeiten und nicht nur Tee trinken. In diesem Land hat auch der Aufpasser mit Sicherheit seinen Aufpasser. »Jetzt bin ich also in Indien.«, denkt Erik, »Nun, nicht ganz. Zuerst muss ich ja noch mein Gepäck abholen.«
Hinter der Passkontrolle muss Erik durch eine weitere Tür, um in den nächsten Raum zu gelangen. Eben war es noch recht ruhig und beschaulich. Auch das diffuse Licht war eher gedämpft. Kaum stößt Erik die Tür auf, steht er in einer anderen Welt. Die Halle ist grell erleuchtet und ihn empfängt ein lautes, quirliges, geschäftiges Treiben, das von den vielen Passagieren der unterschiedlichen Flüge stammt, die hier nach ihrem Gepäck suchen. Erik stellt fest, dass es in der Halle so warm ist, als ob eine Heizung laufen würde. Der muffige Geruch im Bereich der Passkontrolle ist hier um ein vielfaches intensiver und irgendwie mit zusätzlichen, für ihn ungewohnten, exotischen Gerüchen geschwängert. Erik empfindet den Geruch als aufdringlich und penetrant, nicht als angenehmes Parfum, sondern eher wie eine schwüle Wolke, die sich seiner bemächtigt. Zunächst hat Erik etwas Schwierigkeiten, sich in diesem wilden und bunten Konglomerat an fremdartigen Sinneseindrücken zu orientieren. Indien rückt irgendwie immer näher an ihn heran. Es kommt ihm vor, als wenn er Schalen um sich trägt, die von den intensiven Eindrücken nach und nach durchdrungen werden und abfallen. Je tiefer er in die Gepäckausgabehalle eindringt, desto intensiver wird dieses Indien. Es wimmelt überall von dunkelhäutigen Menschen. Die vielen uniformierten Mitarbeiter fallen ins Auge. Es ist im ersten Moment nicht zu erkennen, ob es sich um Polizisten, Zöllner oder einfache Angestellte des Flughafens handelt. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch die Zahl der Streifen und Sterne auf ihren Uniformen. Der größte Teil von ihnen steht einfach nur herum und passt auf, dass kein Reisender in den falschen Bereich läuft. Daneben gibt es noch jede Menge Gepäckträger. Sie tragen einen Ausweis an einem Band um den Hals, so dass für sie keine Grenzen zu gelten scheinen, da sie fast beliebig zwischen den Absperrungen hin und her laufen. Überall sind dunkelhäutige Menschen in bunter Kleidung zu sehen die deutlich machen, dass er nicht mehr in Europa ist. Das Stimmengewirr klingt auch nicht mehr vertraut, so dass die Fremdartigkeit in diesem Raum im ersten Moment auf Erik bedrückend wirkt. Das Gebäude macht einen leicht in die Jahre gekommenen Eindruck. Sauber ja, aber der Lack ist halt ab. Erik hat den Eindruck, dass der Begriff Zeitreise eher zu diesem Flug passen würde. Er steht in einer anderen Welt. »Ich tippe auf 100 Jahre vor unserer Zeitrechnung.«, überlegt er sich, wobei er etwas distanziert, aber interessiert auf das bunte Treiben blickt. Da es wohl noch etwas dauert, bis das Band für das Gepäck gestartet wird, organisiert Erik zwei Trolleys. In dem Moment, als er am Band wieder ankommt, ertönt ein Signal und das Förderband setzt sich in Bewegung. Nach und nach treffen seine Koffer ein. Sieben Gepäckstücke gilt es, wiederzufinden. Leider ist ein Koffer zunächst verschollen. Die Halle leert sich nach und nach, ohne dass der letzte Koffer auftaucht. Erst als Erik sich auf den benachbarten Rollbändern umsieht, findet er den gesuchten Koffer, der einsam im Kreis fährt. Allerdings hat es so lange gedauert, dass Erik mittlerweile der letzte Passagier ist, der dem Ausgang zustrebt. Alle Gepäckträger sind mittlerweile verschwunden, so dass er die zwei Trolleys hintereinanderstellt und so versucht, sie zum Ausgang zu schieben. Der hintere Trolley ächzt, quietscht und schaukelt bedenklich, da wohl eines der Räder unter der Belastung nicht mehr richtig funktioniert. Erik steuert langsam auf die Ausgangstür zu, an der eine gelangweilte Meute von indischen Zöllnern steht, die vermutlich die nächsten Stunden außer herumstehen nichts mehr zu tun haben.
Erik versucht, so unauffällig wie möglich auszusehen, weiß aber, dass die zwei Trolleys da nicht hilfreich sind. Kurz, bevor er den Ausgang erreicht, stellt sich ihm einer der Uniformierte in den Weg und hält seine Hand fordernd in Richtung Erik. Erik kramt seinen Ausweis aus dem Jackett und reicht ihn mit einem Lächeln an den Uniformierten weiter.
»Anything to declare, Sir?«
»No, Sir«
»Please open this suitcase!”
Erst jetzt erkennt Erik, dass einige seiner Koffer ein gelbes Kreidekreuz tragen.
»Na Klasse, das gibt jetzt Diskussionen. Das ist doch ein gefundenes Fressen für diese gelangweilte Meute.«, denkt Erik, wobei er das Gefühl hat, das triumphale Schimmern eines Schatzsuchers in den Augen des Uniformierten zu sehen. Erik muss die Wagen an die Wand neben der Ausgangstür schieben und legt den ersten Koffer auf den Tisch. Als er den ersten Koffer öffnet, strömen plötzlich wie die Geier gleich ein Dutzend Zöllner dazu. Seine Koffer werden jetzt systematisch auseinandergenommen. Erik fühlt sich, als wäre er einer Meute Aasgeier ausgeliefert, vor denen er nun den Inhalt der Koffer verteidigen muss. Die folgenden Diskussionen über Sinn und Zweck der Inhalte nehmen geschlagene drei Stunden in Anspruch. Am Ende wird alles, was irgendwie elektrisch aussieht, erst einmal konfisziert. Das bedeutet, dass Erik die auf den Tischen verstreuten Teile zunächst alle wieder in den Koffern einpacken darf. Anschließend darf er die fraglichen Koffer alle selbst vom Tisch wieder auf einen Kofferwagen hieven. Dann muss er mit den Koffern zwei Zöllnern bis zu einem Zolllager folgen, dass einige Gehminuten entfernt neben dem Empfangsgebäude liegt. Erst später wird ihm klar, dass dies eine Demütigung ist, da manuelle Tätigkeiten in Indien grundsätzlich von einfachen Kräften durchgeführt werden, die in der sozialen Rangordnung ganz unten stehen. Nachdem er die Koffer auch noch selbst im Zolllager deponiert hat und dieses anschließend verschlossen wurde, freut sich Erik darauf, endlich ins Hotel fahren zu dürfen. Als er jedoch das Gebäude verlassen will, stellen sich ihm plötzlich zwei Uniformierte in den Weg. Etwas irritiert wendet er sich an denjenigen, der mehr Streifen auf der Schulter hat.
»I like to leave now.«
»You tried to smuggle goods into India! This is a criminal act!«, antwortet der Streifenträger.
»Ich bin jetzt ein Krimineller? Was passiert denn jetzt? Stecken die mich jetzt in den Knast oder wollen die mich vielleicht als Verbrecher wieder ausweisen?«, schießen die möglichen Szenarien durch Eriks Kopf.
Erik steht unsicher und wortlos vor den Zöllnern und fragt sich, wie er sich nun am besten verhalten soll. Diese neue bedrohliche Situation raubt ihm langsam die letzten Kräfte und er fühlt sich von der Situation überfordert.
Schließlich wendet sich der bestreifte Zöllner an ihn und erklärt: »You may leave, if you pay the fine.”
»I don’t have Indian money.”, erklärt Erik.
»Then you need to go to our prison until somebody pays the fine!”, präsentiert ihm der Zöllner die wenig schöne Aussicht.
»I have only Dollars!«, erklärt Erik.