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2.Energiewende
ОглавлениеDas zweite beherrschende Thema der Kommunalrechtsnovelle 2011 war die Frage der wirtschaftlichen Betätigung von hessischen Kommunen bei der Energieversorgung der Bevölkerung. Unmittelbar nach der Atomkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 hatten die Koalitionsfraktionen CDU und FDP in ihrem Gesetzentwurf vom 10. Mai 2011 zunächst (noch) keine Ausnahme von dem im Jahr 2005 während der CDU-Alleinregierung eingeführten sehr strengen Subsidiaritätsprinzip in § 121 Abs. 1 HGO vorgesehen. Zu überraschend kam das Signal zur Energiewende 2011. Erst am 28.10.2010 hatte der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP durch eine Novelle des Atomgesetzes eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke beschlossen. In Hessen hatte die schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag am 16.11.2010 durch die Aufhebung des § 81 Abs. 2 HBO den Gemeinden die Möglichkeit genommen, für ihr Hoheitsgebiet „Klimaschutzsatzungen“ zu erlassen. Der Landtag war sogar so weit gegangen, bestehende gemeindliche Satzungen auf der Grundlage von § 81 Abs. 2 HBO a. F. landesgesetzlich aufzuheben, was insbesondere der von der Stadtverordnetenversammlung in Marburg gerade erst am 29.10.2010 (nach Überarbeitung neuerlich) beschlossenen Solarsatzung den schnellen Todesstoß versetzte. Am 16. März hatte sich die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder auf eine zunächst für drei Monate begrenzte Abschaltung von sieben deutschen Kernkraftwerken als Sofortmaßnahme („Moratorium“) geeinigt. Die höchst eilige Umsetzung dieses Moratoriums in Hessen zwei Tage später gegenüber dem Betreiber des Kernkraftwerks Biblis litt dann auch – wie spätestens seit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.12.2013 (in DVBl. 2013 S. 726) bekannt ist – unter gravierenden handwerklichen Mängeln.
Nachdem die Bundesregierung in der Kabinettsitzung vom 7. Juni 2011 dann allerdings tatsächlich den „Atomausstieg“ und die sog. Energiewende beschloss, wurde die Novelle des § 121 HGO zum beherrschenden Thema der parlamentarischen Beratungen über die Kommunalrechtsnovelle 2011 und brachte den vorgesehen Zeitplan gehörig durcheinander. Im Rahmen des sog. hessischen Energiegipfels einigten sich am 10. November 2011 schließlich vier der fünf im Landtag vertretenen Fraktionen (CDU, SPD, FDP und Grüne) sowie eine Reihe von Verbänden auf Maßnahmen zur Einleitung der Energiewende in Hessen. Im Kapitel A 7 (Rolle der Kommunen) ist ausdrücklich festgehalten, dass den Kommunen eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung der Energiewende zukommt. „Gerade um die Akzeptanz von Windkraftanlagen vor Ort zu fördern und auch die Wertschöpfung vor Ort zu realisieren, soll den Kommunen erlaubt werden, sich in diesem Bereich wirtschaftlich zu betätigen. Ihnen soll also die Möglichkeit eröffnet werden, in einem eingeschränkten Aufgabenfeld und unter Berücksichtigung klarer Kriterien durch eine Ergänzung des § 121 HGO auch in begrenzter eigener Trägerschaft Energieerzeugungsanlagen und Energieverteilungsanlagen im Bereich der erneuerbaren Energien wirtschaftlich zu betreiben. Ungeachtet dieser erweiterten Handlungsmöglichkeit im Bereich der Energieversorgung für die Kommunen gilt auch in Zukunft das konstituierende Ordnungsprinzip: Privat vor Staat. Daher soll unter Beachtung des Bestandsschutzes der Energieversorger die neue Regelung ebenfalls eine Drittschutzklausel für private Dritte enthalten.“
Ungeachtet des Grundkonsenses gab es gerade zu diesem Kapitel abweichende Protokollerklärungen sowohl der SPD als auch der Grünen und ebenfalls der kommunalen Spitzenverbände. Die FDP wiederum beeilte sich klarzustellen, dass der Kompromiss auf Eis gelegt werde, wenn niemand ihn wolle („Unser Herz hängt nicht daran“). Insofern war klar, dass die „vorsichtige“ Öffnung des Subsidiaritätsprinzips für die Energiewende in § 121 HGO, welche schließlich von der Koalition durch Änderungsantrag vom 24. November 2011 eingebracht und in dritter Lesung am 15. Dezember 2011 durchgesetzt wurde, keinen Beifall von Opposition und kommunalen Spitzenverbänden erhalten würde. Das kritische Urteil „unzureichend“ wurde insbesondere dadurch genährt, dass sich die schwarz-gelbe Mehrheit im Niedersächsischen Landtag im September 2010 zu einem weitaus kommunalfreundlicheren Kompromiss durchgerungen hatte.