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2.Verfassung, Organe

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Als juristische Person handelt die Gemeinde durch ihre Organe. Seit der Auflösung zahlreicher kleiner Gemeinden im Zuge der kommunalen Gebietsreform Anfang der siebziger Jahre und der Anpassung des Kommunalrechts an die dadurch geschaffenen tatsächlichen Verhältnisse durch das Änderungsgesetz zur Hessischen Gemeindeordnung vom 30.8.1976 (GVBl. I S. 325) gilt für alle hessischen Gemeinden ein einheitliches Verfassungssystem, die sog. unechte Magistratsverfassung. Alle Gemeinden haben zwei gleichartige Organe: die Gemeindevertretung, in den Städten Stadtverordnetenversammlung genannt, und den Gemeindevorstand, in den Städten Magistrat genannt (§ 9). Die Gemeindevertretung ist das oberste Organ der Gemeinde. Sie entscheidet über alle wichtigen Angelegenheiten und überwacht die gesamte Verwaltung (§ 9 Abs. 1, §§ 50, 51). Dem Gemeindevorstand obliegt die laufende Verwaltung (§ 9 Abs. 2, § 66). Die Beschlüsse der Gemeindevertretung sind nicht, wie bei der echten Magistratsverfassung (Zwei-Kammer-System), an die Zustimmung des Gemeindevorstands gebunden. Der Gemeindevorstand kann jedoch (nachrangig) Beschlüssen der Gemeindevertretung, die das Recht verletzen oder das Wohl der Gemeinde gefährden, mit aufschiebender Wirkung widersprechen (§ 63).

a) Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung. aa) Die Mit­glieder der Gemeindevertretung, die Gemeindevertreter, führen in den Städten die Bezeichnung Stadtverordnete (§ 49 Satz 2). Sie werden von den wahlberechtigten Einwohnern der Gemeinde, den Bürgern, in allgemeiner, freier, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl für die Dauer von fünf Jahren gewählt (§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1, § 36 Satz 1, § 49); das Wahlverfahren bestimmt sich nach dem Hessischen Kommunalwahlgesetz (KWG). Bei der Kommunalwahl im März des Jahres 2001 konnten die Wähler erstmals nicht mehr nur der von ihnen jeweils favorisierten „starren Liste“ eine Stimme geben; vielmehr durften sie auch einem besonders geschätzten Kandidaten mehrere Stimmen geben (kumulieren) sowie Bewerber verschiedener Parteien wählen (panaschieren). Die Bürger erhalten so einen unmittelbaren Einfluss auf die konkrete personelle Zusammensetzung ihrer Volksvertretung. Die Zahl der Gemeindevertreter richtet sich grundsätzlich nach der Zahl der Einwohner der Gemeinde (§ 38); sie beträgt mindestens 11 (in Gemeinden bis zu 3 000 Einwohnern) und höchstens 105 (in Städten über 1 000 000 Einwohnern). Die Gemeindevertreter repräsentieren in ihrer Gesamtheit die Einwohnerschaft (Grundsatz der repräsentativen Demokratie). Die Mitwirkung der Bürger erschöpfte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen in der Teilnahme an der Wahl der Mitglieder der Gemeindevertretung. Seit 1977 konnten die Bürger zwar unter gewissen Voraussetzungen die Behandlung bestimmter Gemeindeangelegenheiten in den zuständigen Organen erzwingen (§ 8b a. F.); sie konnten jedoch nicht eine bestimmte Entscheidung verlangen, d. h. die Entscheidungsfreiheit der gemeindlichen Organe blieb unberührt. Seit dem 1.4.1993 können die Bürger – unter bestimmten Voraussetzungen – anstelle der Gemeindevertretung über wichtige Gemeindeangelegenheiten entscheiden (Bürgerentscheid, § 8b). Vom 1.4.1993 bis zum 31.12.2020 hat es 171 Bürgerentscheide gegeben, sehr oft mit dem Ziel, einen Beschluss der Gemeindevertretung/Stadtverordnetenversammlung aufzuheben.

Um ihre Aufgaben zum Wohle der Einwohner erfüllen zu können, bestimmt § 35 Abs. 1, dass die Gemeindevertreter ihre Tätigkeit nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung ausüben und an Aufträge und Wünsche der Wähler nicht gebunden sind (Grundsatz des freien Mandats).

Die Mitglieder der Gemeindevertretung sind gleichberechtigt; jeder Gemeindevertreter hat bei der Beschlussfassung eine Stimme. Die Gemeindevertreter entscheiden, soweit gesetzlich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen (§ 54). Sie können sich zu Fraktionen zusammenschließen; Rechte und Pflichten der Fraktionen bestimmen sich im Wesentlichen nach der Geschäftsordnung der Gemeindevertretung (§ 36a). Gemeindevertreter erhalten wie sonstige ehrenamtlich Tätige eine Entschädigung (Verdienstausfall- und Fahrkostenersatz, Aufwandsentschädigung, § 35 Abs. 2 i. V. m. § 27). Die allgemeinen Pflichten der sonstigen ehrenamtlich Tätigen (Verschwiegenheitspflicht, Treupflicht) gelten auch für die Gemeindevertreter (§ 35 Abs. 2).

bb) Die Gemeindevertreter wählen in der ersten (konstituierenden) Sitzung nach der Kommunalwahl für die Dauer der Wahlzeit aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen oder mehrere stellvertretende Vorsitzende (§ 57 Abs. 1 Satz 1). Der Vorsitzende führt in den Städten die Bezeichnung Stadtverordnetenvorsteher (§ 49 Satz 2). Er und seine Stellvertreter können von den Gemeindevertretern mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln ihrer gesetzlichen Zahl abberufen werden (§ 57 Abs. 2). Der Vorsitzende wahrt die Würde und die Rechte der Gemeindevertretung und repräsentiert sie in der Öffentlichkeit (§ 57 Abs. 3). Er setzt – im Benehmen mit dem Gemeindevorstand – die Tagesordnung der Sitzungen der Gemeindevertretung fest, lädt zu den Sitzungen ein und leitet sie; er führt die Beschlüsse der Gemeindevertretung, die ihre innere Ordnung betreffen, aus und vertritt die Gemeindevertretung in gerichtlichen Verfahren (§ 58). Auch ist er berechtigt, an allen Sitzungen der Ausschüsse der Gemeindevertretung mit beratender Stimme teilzunehmen (§ 62 Abs. 4 Satz 1).

cc) Die Zuständigkeit der Gemeindevertretung als oberstes Organ der Gemeinde ist nicht auf einen Katalog von Aufgaben, beispielsweise die in § 51 genannten „ausschließlichen Angelegenheiten“, beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle „wichtigen Angelegenheiten“ (§ 9 Abs. 1 Satz 2, § 50 Abs. 1 Satz 1). Damit trägt die Gemeindevertretung die rechtliche und politische Verantwortung dafür, wie die Geschicke der Gemeinde gelenkt werden sollen. Die Abgrenzung, ob eine „wichtige Angelegenheit“ oder eine zum Zuständigkeitsbereich des Gemeindevorstands gehörende Angelegenheit der laufenden Verwaltung vorliegt, kann im Einzelfall schwierig sein. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Verhältnisse lässt sich auch keine für alle Gemeinden verbindliche Auslegung treffen. Einwohnerzahl und Finanzkraft einer Gemeinde sowie die Bedeutung einer Angelegenheit, wobei letzteres vom Standpunkt der Gemeinde aus zu beurteilen ist, sind wesentliche Abgrenzungskriterien. In § 51 ist eine Reihe wichtiger Angelegenheiten aufgeführt, die die Gemeindevertretung nicht auf andere Organe bzw. Hilfsorgane übertragen kann, beispielsweise die Wahl der Beigeordneten im Gemeindevorstand, die Änderung der Gemeindegrenzen, die Befugnis, Ortsrecht (Satzungen) zu erlassen, zu ändern und aufzuheben, der Erlass der Haushaltssatzung und die Festsetzung des Investitionsprogramms. Weitere wichtige Angelegenheiten sind in einzelnen Vorschriften enthalten, wie die Abberufung von hauptamtlichen Beigeordneten, die Einleitung der vorzeitigen Abwahl des Bürgermeisters (§ 76) bzw. das „Misstrauensvotum“ gegenüber dem Bürgermeister (§ 76a) sowie die Einrichtung von Ortsbeiräten (§ 81). Soweit dies nicht ausdrücklich untersagt ist, kann die Gemeindevertretung die Beschlussfassung über bestimmte Angelegenheiten (Spezialdelegation) oder bestimmte Arten von Angelegenheiten (Gattungsdelegation) auf den Gemeindevorstand oder ein Hilfsorgan (Ausschuss, Ortsbeirat) mit der jederzeitigen uneingeschränkten Rückholmöglichkeit übertragen (§ 50 Abs. 1 und § 82 Abs. 4).

Neben der Entscheidung über wichtige Gemeindeangelegenheiten steht der Gemeindevertretung die Überwachung der Gemeindeverwaltung, der Geschäftsführung des Gemeindevorstands, insbesondere der Verwendung der Gemeindeeinnahmen, zu (§ 9 Abs. 1 Satz 2, § 50 Abs. 2). Zur Durchführung ihrer Kontrollbefugnisse räumt § 50 Abs. 2 der Gemeindevertretung ausdrücklich ein Akteneinsichtsrecht ein. Dieses Recht steht nur der Gemeindevertretung als Gesamtheit, nicht einzelnen Gemeindevertretern oder Fraktionen zu; allerdings muss sie die Einsetzung eines sog. Akteneinsichtsausschusses beschließen, wenn dies ein Viertel der Gemeindevertreter oder eine Fraktion der Gemeindevertretung verlangt (§ 50 Abs. 2 Satz 2). Die Gemeindevertretung kann ­darüber hinaus die Übersendung der Ergebnisniederschriften über die Sitzungen des Gemeindevorstands verlangen. Auch ist der Gemeindevorstand verpflichtet, in den Sitzungen der Gemeindevertretung Auskünfte zu den Beratungsgegenständen zu erteilen (§ 59).

dd) Zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse kann die Gemeindevertretung aus ihrer Mitte Ausschüsse bilden. Die Zahl der Ausschüsse, ihr Aufgabengebiet und ihre Zusammensetzung werden von der Gemeindevertretung durch einfachen Beschluss, durch die Geschäftsordnung oder die Hauptsatzung bestimmt. Ein Finanzausschuss muss in jeder Gemeinde gebildet werden (§ 62 Abs. 1 Satz 2), ein Wahlvorbereitungsausschuss im Falle der Vorbereitung der Wahl eines hauptamtlichen Beigeordneten (§ 42 Abs. 2). Die Bestellung der Ausschussmitglieder erfolgt entweder durch Wahl (Verhältniswahl) oder Benennung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen der Gemeindevertretung. Fraktionen, auf die kein Sitz entfallen ist, können einen Vertreter mit beratender Stimme entsenden (§ 62 Abs. 2 und 4 Satz 2). Die Ausschüsse wählen aus ihrer Mitte die Vorsitzenden (Mehrheitswahl) und deren Stellvertreter (§ 62 Abs. 3). Die Gemeindevertretung kann auch einem Ausschuss bestimmte Angelegenheiten oder Arten von Angelegenheiten zur endgültigen Beschlussfassung übertragen (§ 50 Abs. 1 Sätze 2 u. 3, § 62 Abs. 1 Satz 3).

b) Gemeindevorstand/Magistrat. aa) Auch der Gemeindevorstand ist ein Kollegialorgan. Es besteht aus dem Bürgermeister als Vorsitzenden, dem Ersten Beigeordneten und weiteren Beigeordneten. Bürgermeister sind grundsätzlich hauptamtlich tätig; in Gemeinden mit bis zu 5 000 Einwohnern kann die von der Gemeindevertretung zu erlassende Hauptsatzung (§ 6) jedoch bestimmen, dass die Stelle des Bürgermeisters ehrenamtlich zu verwalten ist (§ 44 Abs. 1). Diese Vorschrift hat nach Durchführung der kommunalen Gebietsreform nur noch eine geringe praktische Bedeutung. Die Beigeordneten sind grundsätzlich ehrenamtlich tätig. In jeder Gemeinde müssen mindestens zwei Beigeordnete, d. h. der Erste Beigeordnete und ein weiterer Beigeordneter, bestellt werden; im Übrigen bestimmt die Gemeindevertretung die Zahl der Beigeordneten in der Hauptsatzung. Das Gleiche gilt für die Festlegung der Zahl der hauptamtlichen Beigeordnetenstellen; das Gesetz schreibt jedoch vor, dass die Zahl der hauptamtlichen Beigeordnetenstellen die der ehrenamtlichen nicht übersteigen darf (§ 44 Abs. 2 Satz 4). In den Städten führen die Beigeordneten die Bezeichnung Stadtrat (§ 45 Abs. 2). Die Beigeordneten werden von der Gemeindevertretung gewählt (§ 39a Abs. 1). Die Befugnis, auch den Bürgermeister – in kreisfreien und Sonderstatus-Städten den Oberbürgermeister – zu wählen, ist entfallen; seit dem 1. April 1993 ist dies – wie die Wahl der Gemeindevertreter – eine unmittelbare Angelegenheit der Bürgerschaft (§ 39 Abs. 1). Bürgermeister und hauptamtliche Beigeordnete werden aus Gründen der Verwaltungskontinuität für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt (§ 39 Abs. 3 Satz 1, § 39a Abs. 2 Satz 1), ehrenamtliche Beigeordnete für die Wahlzeit der Gemeindevertretung (fünf Jahre, § 39a Abs. 2 Satz 2). Während hauptamtliche Beigeordnete jeweils in einem besonderen Wahlgang nach Stimmenmehrheit gewählt werden, werden die ehrenamtlichen Beigeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt (§ 55).

Zu ehrenamtlichen Mitgliedern des Gemeindevorstands können nur Bürger der Gemeinde, d. h. auch solche, die nicht der Gemeindevertretung angehören, gewählt werden. Während die Wahl des unmittelbar zu wählenden Bürgermeisters – wie die Wahl der Gemeindevertreter – von dem Wahlausschuss der Gemeinde vorbereitet wird (§ 42 Abs. 1), obliegt die Vorbereitung der Wahl der hauptamtlichen Beigeordneten einem Ausschuss der Gemeindevertretung (§ 42 Abs. 2). Nach dem Grundsatz der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat können Mitglieder des Gemeindevorstands nicht gleichzeitig Gemeindevertreter sein (§ 65 Abs. 2). Die Mitglieder des Gemeindevorstands werden zu Beamten ernannt (§ 46). Die ehrenamtlichen Beigeordneten erhalten wie andere ehrenamtlich Tätige Entschädigung nach § 27 (Verdienstausfall- und Fahrkostenersatz sowie möglicherweise zusätzlich eine – erhöhte – Aufwandsentschädigung).

Um nachhaltige Störungen des für eine gedeihliche Zusammenarbeit zum Wohl der Gemeinde unerlässlichen Vertrauensverhältnisses der kommunalen Organe zu beheben, können Bürgermeister und hauptamtliche Beigeordnete vorzeitig abberufen werden. Zuständig für die Abberufung hauptamtlicher Beigeordneter ist die Gemeindevertretung; Voraussetzungen sind: ein Antrag von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter und eine zweimalige Beratung und Abstimmung jeweils mit Zweidrittelmehrheit (§ 76 Abs. 1). Daneben besteht in Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern für hauptamtliche Beigeordnete noch ein erleichtertes Abberufungsverfahren (§ 76 Abs. 2). Die Befugnis der Gemeindevertretung, auch den hauptamtlichen Bürgermeister – in Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern den Oberbürgermeister – abzuberufen, ist entfallen; seit dem 1. April 1993 kann ein unmittelbar gewählter Bürgermeister nur von der Bürgerschaft abgewählt werden, die Mitwirkung der Gemeindevertretung ist auf die Einleitung des Abwahlverfahrens beschränkt (§ 76 Abs. 4). Seit der Kommunalrechtsnovelle 2011 kann die Trennung auch umgekehrt vom Bürgermeister initiiert werden, ohne dass er seine beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche verliert. Nach § 76a kann er der Gemeindevertretung die „Vertrauensfrage“ stellen. Bestätigt sie dem Bürgermeister mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder, dass sie ihm für die weitere Amtsführung kein Vertrauen mehr entgegenbringt, wechselt er in den Ruhestand.

Die Mitglieder des Gemeindevorstands sind grundsätzlich gleichberechtigt, jedes Mitglied hat bei der Beschlussfassung eine Stimme (§§ 67, 68). Dies gilt auch für den Vorsitzenden des Gemeindevorstands, den Bürgermeister; jedoch gibt seine Stimme bei Stimmengleichheit den Ausschlag (§ 68 Abs. 2 Satz 3).

bb) Der Bürgermeister führt in kreisfreien und Sonderstatus-Städten die Amtsbezeichnung „Oberbürgermeister“ (§ 45 Abs. 1). Er bereitet die Beschlüsse des Gemeindevorstands vor und führt sie aus, soweit nicht ein Beigeordneter mit der Ausführung beauftragt ist (§ 70 Abs. 1 Satz 1). Er lädt zu den Sitzungen des Gemeindevorstands ein und leitet sie (§§ 67 bis 69). Er kann bzw. muss unter bestimmten Voraussetzungen Beschlüssen des Gemeindevorstands widersprechen und hat ein vorrangiges Beanstandungsrecht gegen Beschlüsse der Gemeindevertretung (§ 74). In dringenden Fällen ist ihm das Eilentscheidungsrecht anstelle des Gemeindevorstands eingeräumt (§ 70 Abs. 3). Im Rechtsverkehr gibt er Erklärungen für die Gemeinde im Namen des Gemeindevorstands ab (§ 71 Abs. 1 Satz 2). Er leitet und beaufsichtigt den Geschäftsgang der gemeindlichen Verwaltung (§ 70 Abs. 1 Satz 2), verteilt die Arbeitsgebiete (Dezernate) unter die Mitglieder des Gemeindevorstands (§ 70 Abs. 1 Satz 3), ist Dienstvorgesetzter der Bediensteten der Gemeinde mit Ausnahme der Beigeordneten (§ 73 Abs. 2 Satz 1). Er führt den Vorsitz in den vom Gemeindevorstand gebildeten Kommissionen (§ 72 Abs. 3), kann dem Rechnungsprüfungsamt Prüfungsaufträge erteilen (§ 131 Abs. 2), nimmt bestimmte Aufgaben, an deren Durchführung das Land ein besonderes Interesse hat (Auftragsangelegenheiten), in alleiniger Verantwortung wahr (§ 4 Abs. 2) und ist als Gemeindewahlleiter insbesondere für die ordnungsmäßige Vorbereitung und die Durchführung der Wahl der Gemeindevertretung verantwortlich (§ 5 KWG). Außerdem nimmt er Repräsentationsaufgaben für die Gemeinde wahr.

Dem Bürgermeister ist darüber hinaus seit Einführung der Direktwahl das Recht eingeräumt, in den Sitzungen der Gemeindevertretung eine von der Auffassung des Gemeindevorstands abweichende Meinung zu vertreten (§ 59 Satz 4). Auch kann seine Geschäftsverteilungsbefugnis innerhalb des Gemeindevorstands (§ 70 Abs. 1 Satz 3) seit dem Jahr 2000 nicht mehr von der Gemeindevertretung beschränkt werden. Zudem hat der Bürgermeister auch ein sog. Initiativrecht – Anspruch auf Einberufung der Gemeindevertretung (§ 56 Abs. 1 Satz 2) – sowie ein Antragsrecht zur Gemeindevertretung (§ 58 Abs. 5 Satz 2). Sein bisher subsidiäres Kontrollrecht gegenüber Beschlüssen der Gemeindevertretung kann bzw. muss er nunmehr vorrangig vor dem Gemeindevorstand ausüben (§ 63). Auch bei der Vertretung der Gemeinde in Gesellschaften (§ 125) wurde seine Stellung gestärkt.

cc) Nicht nur der Bürgermeister, auch einige Beigeordnete haben eine – wenn auch weniger ausgeprägte – Sonderstellung. Dies gilt vor allem für den Ersten Beigeordneten und für den „Kämmerer“.

Der Erste Beigeordnete führt in kreisfreien und Sonderstatus-Städten die Amtsbezeichnung Bürgermeister (§ 45 Abs. 1). Er ist der allgemeine Vertreter des Bürgermeisters bzw. Oberbürgermeisters; die übrigen Beigeordneten sind zur allgemeinen Vertretung des Bürgermeisters nur berufen, wenn der Erste Beigeordnete verhindert ist (§ 47). Als allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters nimmt er im Vertretungsfalle auch die dem Bürgermeister als Vorsitzendem des Gemeindevorstands obliegenden Aufgaben wahr und gibt anstelle des Bürgermeisters Erklärungen der Gemeinde ab (§ 71).

Der mit der Verwaltung des Finanzwesens betraute Beigeordnete, der als hauptamtlicher Beigeordneter in den Städten die Bezeichnung „Stadtkämmerer“ führt (§ 45 Abs. 2 Satz 1), bereitet die Entwürfe der Haushaltssatzung und des Investitionsprogramms vor (§ 97 Abs. 1 Satz 2, § 101 Abs. 3 Satz 3) und ist berechtigt, der Gemeindevertretung abweichende Stellungnahmen zu dem vom Gemeindevorstand festgestellten Entwurf der Haushaltssatzung und aufgestellten Entwurf des Investitionsprogramms vorzulegen und seine abweichende Auffassung in der Beratung der Gemeindevertretung zu vertreten (§ 97 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 3, § 101 Abs. 3 Satz 4); er kann nach § 131 Abs. 2 dem Rechnungsprüfungsamt Prüfungsaufträge erteilen.

dd) Das Gesetz weist dem Gemeindevorstand die „Erledigung der laufenden Verwaltung“ als nicht entziehbare Zuständigkeit zu (§ 9 Abs. 2 Satz 1, § 66). Der Begriff „laufende Verwaltung“ ist gesetzlich nicht definiert. Nach der Rechtsprechung ist ein Geschäft der laufenden Verwaltung bei Angelegenheiten anzunehmen, die mehr oder weniger gleichförmig in regelmäßiger Wiederkehr vorkommen, sachlich und finan­ziell wenig erheblich sind sowie zur ungestörten und ununterbrochenen Fortführung der Gemeindeverwaltung notwendig sind. Der Gemeindevorstand besorgt die Verwaltung nach den von der Gemeindevertretung aufgestellten allgemeinen Grundsätzen (§ 51 Nr. 1) und Beschlüssen im Rahmen der von der Gemeindevertretung bereitgestellten Mittel (§ 66 Abs. 1 Satz 2). Als weitere Aufgaben, welche die Stellung des Gemeindevorstands als eigenständiges Organ unterstreichen, sind vornehmlich noch zu erwähnen die Vertretung der Gemeinde im Rechtsverkehr (§ 71), die Anstellung, Beförderung und Entlassung der Gemeindebediensteten (§ 73 Abs. 1 Satz 1) und die nachrangige Pflicht bzw. Möglichkeit, Beschlüssen der Gemeindevertretung, die das Recht verletzen oder das Wohl der Gemeinde gefährden, mit aufschiebender Wirkung zu widersprechen (§ 63 Abs. 4). Im Übrigen obliegt dem Gemeindevorstand die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeindevertretung (§ 66 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2) und die Unterrichtung der Bürger über wichtige Fragen der Gemeindeverwaltung (§ 66 Abs. 2).

ee) Zur Erleichterung seiner Aufgaben kann der Gemeindevorstand Kommissionen bilden (§ 72 Abs. 1). Diese bestehen aus Mitgliedern des Gemeindevorstands und der Gemeindevertretung sowie – nach dem Ermessen des Gemeindevorstands – sachkundigen Einwohnern. Den Vorsitz führt der Bürgermeister oder ein von ihm bestimmter Beigeordneter (§ 72 Abs. 3). Den Kommissionen können dauernde Aufgaben (Verwaltung oder Beaufsichtigung einzelner Geschäftsbereiche) oder auch vorübergehende Aufträge übertragen werden.

c) Ortsbeirat. Zur Förderung der Selbstverwaltung können in den Gemeinden Ortsbeiräte gebildet werden (§ 81). Die Einrichtung von Ortsbeiräten, die Abgrenzung der Ortsbezirke und die Zahl der Mitglieder sind von der Gemeindevertretung in der Hauptsatzung (§ 6) zu regeln (§ 81 Abs. 1, § 82 Abs. 1). Das Gesetz schreibt eine Mindestzahl von drei und eine Höchstzahl von neun, in Ortsbezirken mit mehr als 8 000 Einwohnern von neunzehn Mitgliedern vor (§ 82 Abs. 1 Satz 3). Die Ortsbeiratsmitglieder werden – gleichzeitig mit den Gemeindevertretern für die Wahlzeit der Gemeindevertretung – von den wahlberechtigten Einwohnern des Ortsbezirks gewählt (§ 82 Abs. 1 Satz 1). Auch für sie gilt der Grundsatz des freien Mandats (§ 82 Abs. 2 i. V. m. § 35 Abs. 1). Sie wählen in ihrer ersten Sitzung einen Vorsitzenden (= Ortsvorsteher) und einen oder mehrere Stellvertreter; dem Vorsitzenden kann die Leitung einer Außenstelle der Gemeindeverwaltung im Ortsbezirk übertragen werden (§ 82 Abs. 5). Der Ortsbeirat ist zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Ortsbezirk betreffen, zu hören, insbesondere zum Entwurf des Haushaltsplans; er hat ein Vorschlagsrecht in allen ortsbezirksbezogenen Angelegenheiten (§ 82 Abs. 3). Die Gemeindevertretung kann ihm bestimmte Angelegenheiten oder bestimmte Arten von Angelegenheiten zur endgültigen Beschlussfassung übertragen (§ 82 Abs. 4).

d) Ausländerbeirat. Zur weiteren Verbesserung der politischen Integration der ausländischen Einwohner in Hessen wurden 1992 alle Gemeinden mit mehr als 1 000 gemeldeten ausländischen Einwohnern verpflichtet, einen Ausländerbeirat einrichten (§ 84). Der kommunale Ausländerbeirat besteht aus mindestens drei, höchstens 37 Mitgliedern (§ 85). Sie werden von den wahlberechtigten ausländischen Einwohnern in allgemeiner, freier, gleicher, geheimer und unmittelbarer Wahl für fünf Jahre gewählt (§ 86 Abs. 1 und 2).

EU-Ausländer haben in Hessen – trotz Erhalt des vollen Kommunalwahlrechts im Rahmen der Novelle 1995 – das aktive und passive Wahlrecht zu den gemeindlichen Ausländerbeiräten behalten; § 86 Abs. 1 bis 3 HGO bezieht sich nämlich nach wie vor auf alle „ausländischen Einwohner“.

Im Zuge der Novelle 1995 wurde außerdem durch eine entsprechende Ergänzung des § 86 HGO um einen neuen Absatz (Abs. 4) geregelt, dass bei Ausländerbeiratswahlen zukünftig auch

– in Deutschland eingebürgerte (ehemalige) Ausländer und

– deutsch-ausländische Doppelstaater

wählbar sein sollen. Diese Änderung hängt inhaltlich nicht mit der Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Ausländer zusammen, sondern geht zurück auf die Koalitionsvereinbarung für die 14. Wahlperiode des Hessischen Landtags (1995 bis 1999) zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Der kommunale Ausländerbeirat vertritt die Interessen der ausländischen Einwohner der Gemeinde; insbesondere hat er die Aufgabe, die Organe der Gemeinde in allen Angelegenheiten, die ausländische Einwohner betreffen, zu beraten (§ 88 Abs. 1 und 2). Die zur Erledigung seiner Aufgaben erforderlichen Mittel sind ihm von der Gemeinde zur Verfügung zu stellen (§ 88 Abs. 3). Zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten kann sich der Ausländerbeirat selbst eine Geschäftsordnung geben (§ 87 Abs. 3).

Erstmals am 14. März 2021 werden die Ausländerbeiräte zusammen mit den Gemeindevertretungen und Ortsbeiräten gewählt. Die betroffenen 173 Gemeinden haben allerdings (erstmals) die Option, anstelle des Ausländerbeirats eine Integrations-Kommission einzurichten (§ 89). In Anbetracht der politischen Bedeutung der Integration nach den Flüchtlingswellen 2015 und 2016 hat der Gesetzgeber sowohl dem Ausländerbeirat wie auch die Integrations-Kommission das Recht eingeräumt, Anträge an die Gemeindevertretung zu richten.

Hessische Kommunalverfassung

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