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V.Reform der Landesverfassung
ОглавлениеAuch die Fortentwicklung der Landesverfassung steht im Brennpunkt des kommunalen Interesses. Die im Kapitel III dargestellte verfassungsrechtliche Schuldenbremse für den Landeshaushalt (Art. 141 und Art. 161 HVerf.) ist ein deutlicher Beleg dafür, wie wichtig die Ausgestaltung der Hessischen Verfassung für die Kommunen ist. Dass die Schuldenbremse für die Länder unmittelbar nach ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 2020 (vgl. Art. 143 Abs. 1 Satz 3 GG; Art. 161 Satz 1 HVerf. i. V. m. § 4 LHO) durch die Corona-Pandemie im Haushaltsjahr 2020 schon wieder ausgehebelt wurde, noch dazu in drastischer Weise, ändert daran nichts. Denn die Ausnahmeregelung wegen einer Naturkatastrophe bzw. einer außergewöhnlichen Notsituation ist mit einer Tilgungsregelung zu versehen (Art. 109 Abs. 3 Satz 3 GG; Art. 141 Abs. 4 Satz 2 und 3 HVerf.) und daher wird der finanzpolitische Spielraum des Landes – vermutlich auch zu Lasten der Kommunen – in den nächsten Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, empfindlich eingeengt sein. Drei weitere Beispiele seien hier genannt.
– Besonders interessant ist aus Sicht der hessischen Gemeinden und Landkreise die verfassungsrechtliche Absicherung der kommunalen Beteiligung an der Landesgesetzgebung, nachdem zuletzt in Bayern durch die Volksabstimmung 2002 das Landesverfassungsrecht diesbezüglich fortentwickelt wurde. In Hessen gibt es zwar ein Beteiligungsgesetz, aber in mehr als der Hälfte der deutschen Flächenländer (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Saarland, Sachsen und Thüringen), ist die Beteiligung der „kommunalen Ebene“ an der Landesgesetzgebung in der jeweiligen Landesverfassung geregelt. Die Umsetzung des Beteiligungsgesetzes aus dem Jahr 2000 gerade durch den Hessischen Landtag selbst hat die Kommunen nicht immer zufrieden gestellt.
Ein Verstoß gegen das Beteiligungsgesetz bei einem Gesetzgebungsverfahren bleibt nach dem Grundsatz „Das jüngere Gesetz verdrängt das ältere“ rechtlich ohne Folgen. Kritiker bezeichneten das Beteiligungsgesetz daher bereits bei seiner Entstehung als „stumpfes Schwert“. Bei einer verfassungsrechtlichen Absicherung des Anhörungsanspruchs können die Kommunen dagegen bei einem Verstoß des Gesetzgebers gegen das Beteiligungsgebot die entsprechende Norm vor dem Verfassungsgericht anfechten und ihre Aufhebung erzwingen (vgl. Thür VerfGH, Urteil v. 12.10.2004, in DVBl. 2005 S. 443, 447 ff.). Aussichtslos dürfte dagegen mittlerweile die Durchsetzung der Forderung sein, Bürgermeister und Landräte wieder als Abgeordnete im Landesparlament zuzulassen. Der Verweis auf die entsprechende Praxis in Baden-Württemberg taugt nicht mehr: Nach der dortigen Parlamentsreform im Jahr 2007 dürfen seit der Landtagswahl im Jahr 2016 kommunale Wahlbeamte nicht länger gleichzeitig Landtagsabgeordnete sein. In Hessen hat sich schon die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission „Künftige Aufgaben des Hessischen Landtags an der Wende zum 21. Jahrhundert“ in ihrem Abschlussbericht vom 2.5.2002 diesbezüglich ablehnend geäußert (LT-Drs. 15/4000 S. 92/93).
– Die kommunale Verfassungsbeschwerde gegen Landesgesetze ist in Hessen ebenfalls nicht in der Verfassung verankert, sondern lediglich einfachgesetzlich in § 46 StGHG abgesichert worden. Der Staatsgerichtshof hat dies mit Urteil vom 4.5.2004 (in HSGZ 2004 S. 266, 267 = StAnz. S. 2097, 2104) als ausreichend erachtet, nachdem er die Frage lange ausdrücklich offen gelassen hatte (Urteil v. 20.10.1999, in StAnz. S. 3414, 3417). Schon deshalb empfiehlt sich die endgültige Klärung der Zulässigkeit dieses Rechtsinstituts durch Aufnahme in die Landesverfassung. Auch im Bundesrecht wurde die Kommunalverfassungsbeschwerde zunächst 1951 mit § 91 BVerfGG einfachgesetzlich eingeführt und ist erst seit 1969 durch Art. 93 Abs. 1b GG verfassungsrechtlich garantiert.
– Das Konnexitätsprinzip schließlich wurde durch die Volksabstimmung vom 22.9.2002 in Art. 137 Abs. 6 HVerf. aufgenommen. Dieser für das Verhältnis vom Land zu seinen Kommunen ganz wesentliche Grundsatz („Wer bestellt, bezahlt!“) ist mittlerweile in allen deutschen Flächenländern Bestandteil des Verfassungsrechts. Zum Teil wird kritisch darauf hingewiesen, dass die hessische Regelung in Sachen Kommunalfreundlichkeit hinter anderen Ländern, insbesondere hinter der 2003 eingeführten Regelung des Bundeslands Bayern, zurückbleibe und daher der Optimierung bedürfe (vgl. Henneke, „Hessen hinten“, in Der Landkreis 2002 S. 378, 379, 381–383).
Der Hessische Landtag meinte es zu Beginn der 16. Wahlperiode offensichtlich ernst mit der Generalüberholung der antiquierten Hessischen Verfassung und beschloss am 8.7.2003, eine Enquete-Kommission zur Reform der Landesverfassung einzusetzen. Diese Enquete-Kommission hatte den Auftrag, die Hessische Verfassung auf Änderungs- und Ergänzungsbedarf zu überprüfen. Die kommunalen Spitzenverbände gehörten erstaunlicherweise nicht zu den Organisationen, die von der Enquete-Kommission in ihrer öffentlichen Anhörung am 7.7.2004 um Stellungnahme gebeten wurden oder die ihre Belange ungefragt „von außen“ eingebracht haben. Die Landtagsfraktionen selbst waren mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Art. 137 HVerf. sehr zurückhaltend (vgl. Kommissions-Bericht v. 8.4.2005 = LT-Drs. 16/3700, Anlagen 1, 3 und 5). Im Ergebnis wurde am 26.4.2005 im Hessischen Landtag das Scheitern der Bemühungen zur Reform der Landesverfassung festgestellt, obwohl sich CDU, FDP und Bündnis 90/DIE GRÜNEN in der Enquete-Kommission auf ein gemeinsames Paket von Vorschlägen einigen konnten. Die Reform der Landesverfassung müsse aber von allen politischen Kräften im Landtag, also auch von der SPD, mitgetragen werden – eine Ansicht, die in Bayern, dem anderen Bundesland in Deutschland, in welchem letztlich das Volk über Verfassungsänderungen entscheidet, der Landtag diesbezüglich also nur Vorschläge unterbreitet, ganz und gar nicht geteilt wird.
Nachdem auf Bundesebene als Folge der Bundestagswahl vom September 2005 und der daraus hervorgegangenen „Großen Koalition“ zwischenzeitlich nicht nur das Reformprojekt „Föderalismusreform I“ im Jahr 2006, sondern auch die „Föderalismusreform II“ im Jahr 2009 erfolgreich abgeschlossen werden konnten, bestand die Hoffnung, dass auch in Hessen in der 18. Legislaturperiode (2009–2014) noch einmal Bewegung in die Reform der Landesverfassung kommen könnte und dadurch das Signal für die Reformfähigkeit des Staatswesens verstärkt würde. In der schwarz/gelben Koalitionsvereinbarung vom Januar 2009 wurden „die demokratischen Parteien im Landtag ausdrücklich erneut eingeladen, die notwendigen Änderungen für eine moderne Verfassung des 21. Jahrhunderts auf den Weg zu bringen“. Das Projekt ist jedoch nicht ernsthaft angegangen worden, nachdem die SPD keine Veranlassung dafür erkennen konnte.
Auch die schwarz/grüne Koalition schrieb sich in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 23. Dezember 2013 für die 19. Legislaturperiode (2014–2019) die Modernisierung der Landesverfassung auf die Fahne. Das Ehrenamt soll als Staatsziel verankert, das Mindestwählbarkeitsalter für ein Mandat im Hessischen Landtag an die Volljährigkeitsgrenze angeglichen, die Todesstrafe abgeschafft und das Volksbegehren erleichtert werden. Diese Maßnahmen sind in der Tat überfällig. Die Vollendung des 18. Lebensjahres reicht z. B. aus, um in den Bundestag oder in ein Kommunalparlament einzuziehen. Auch gereicht es dem Bundesland Hessen nicht zur Ehre, dass der Landtag – anders als in Bayern – bislang nicht den Weg für die Abschaffung des Artikels über die Todesstrafe (Art. 21 S. 2 HVerf.) frei gemacht hat. Das Unterschriftenquorum von 20 % der stimmberechtigten Bevölkerung in Art. 124 Abs. 1 HVerf. für ein Volksbegehren ist bundesweit einmalig hoch und in der Geschichte des Landes noch nie überwunden worden, sodass das Mitwirkungsinstitut des „Volksentscheids“ in Hessen graue Theorie geblieben ist.
Mit ihrem Antrag vom 10. November 2015 (LT-Drs. 19/2566) hoben die Koalitionsfraktionen zusammen mit der SPD und der FDP eine Enquete-Kommission „Verfassungskonvent“ aus der Taufe, welche die Hessische Verfassung in ihrer Gesamtheit überarbeiten und Vorschläge für ihre zukunftsfähige Gestaltung unterbreiten sollte. Die vom Konvent schließlich vorgelegten 15 Vorschläge wurden vom Landtag akzeptiert und waren Gegenstand der Volksabstimmungen am 28. Oktober 2018, zeitgleich mit der Landtagswahl.
Endlich haben also auch in Hessen die Landtagsabgeordneten die Kraft gefunden, die Landesverfassung „durch Reform zu bewahren“. Die Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände, insbesondere zur Überarbeitung des in Art. 137 Abs. 6 HVerf. niedergelegten Konnexitätsprinzips, wurden allerdings vom Verfassungskonvent nicht übernommen. Trösten kann allenfalls, dass mit dem Vorschlag Nr. 14 (Stärkung der Volksgesetzgebung) nun auch in Hessen ein direktdemokratisches Instrument – nicht nur auf dem Papier – zur Verfügung steht, um das Landesrecht zu verändern. Wie das Volksbegehren das Kommunalrecht und die Kommunalpolitik umgestalten kann, ließ sich im Jahr 2018 musterhaft im Nachbarland Bayern bei der Abschaffung des gemeindlichen Straßenbeitrags beobachten, denn die vom Bayerischen Landtag zur Vermeidung eines Volksentscheids verabschiedete Reform schlug Wellen bis nach Hessen.
Bei der Abstimmung am 28. Oktober 2018 hat das Volk alle 15 Vorschläge mit deutlicher Mehrheit angenommen. Die Verfassungsänderungen sind am 22. Dezember 2018 in Kraft getreten (GVBl. S. 738 ff.). Soweit sie einen kommunalen Bezug aufweisen, sind sie in den Fußnotenkatalog dieser Textausgabe aufgenommen worden.
Wiesbaden, im Dezember 2020
Ulrich Dreßler*1 Ulrike Adrian