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1.Schuldenbremse (auch) für die Kommunen

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Der Haushaltsausgleich (ohne Schuldenaufnahme) ist für die Kommunen auch nach der Kommunalrechtsnovelle vom Dezember 2011 keine gesetzliche „Muss-Vorschrift“, sondern lediglich ein „Soll-Befehl“ (vgl. § 92 Abs. 3 HGO). Aber zur Sicherstellung, dass auch die Kommunen alle Anstrengungen unternehmen, um ihre Ausgaben zukünftig wieder ohne die Aufnahme neuer Schulden zu stemmen, ist im Rahmen der Kommunalrechtsnovelle 2011 die Genehmigungspflicht für Kassenkredite (wieder) eingeführt worden (vgl. § 105 HGO n. F.). Die (damaligen) Koalitionsfraktionen CDU und FDP wiesen in ihrem Regierungsentwurf vom 10. Mai 2011 (LT-Drs. 18/4031) darauf hin, dass die hessischen Kommunen nach dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen das höchste Niveau der Kassenverstärkungskredite in Deutschland aufwiesen. Außerdem werden in § 92 Abs. 4 HGO n. F. nunmehr die Situationen, in denen die Kommune zur Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes verpflichtet ist, konkret beschrieben. Die Regelung soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen die Gemeinden zu einer die stetige finanzielle Leistungsfähigkeit fördernden Haushaltswirtschaft anhalten.

Wie kam es zu dieser Verhaltensänderung beim Land, nachdem doch gerade in Hessen die Finanzaufsicht über die Kommunen gern mit dem Wort „Nachsicht“ gekennzeichnet worden war? Die amerikanische Wirtschaftskrise war im Jahr 2008 auch in Deutschland eingetroffen und im Dezember des gleichen Jahres war „Finanzkrise“ zum Wort des Jahres gekürt worden. Auf Bundesebene war im Jahr 2009 im Rahmen der Föderalismusreform II das Grundgesetz um neue Bestimmungen über die „staatliche Schuldenbremse“ ergänzt worden, mit rechtlichen „Fesseln nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder. Ihnen wird es ab dem Jahr 2020 verfassungsrechtlich verboten sein, (weiterhin) neue Schulden zu machen (Art. 109 Abs. 3 S. 1 GG, Art. 143d Abs. 1 S. 3 GG). Bereits jetzt sind ihre Haushalte so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe der Null-Verschuldung auch tatsächlich erfüllt werden kann (Art. 143d Abs. 1 S. 4 GG). Mithin wird sich bereits in dieser Dekade (Art. 143d Abs. 1 S. 5 GG) zeigen, wie ernst es der Bundes- und Landespolitik ist mit dem Sparen zur Vermeidung einer übermäßigen Zinsbelastung für nachfolgende Generationen.

Man kann durchaus von einer verfassungspolitischen Sensation sprechen, dass die Bundesverfassung nunmehr aufgrund der sog. Föderalismusreform II den Ländern derart rigide Vorgaben für ihre Haushaltsführung macht. Für den Außenstehenden mag es erstaunlich sein, dass der Bundesrat am 12. Juni 2009 dieser Grundgesetzänderung mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) – ohne Gegenstimme – zugestimmt hat: nur die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enthielten sich der Stimme. Das Verhalten der Ländervertreter im Bundesrat ist aber ein Beleg für die allgemeine Einsicht, dass die Entwicklung der Staatsverschuldung in Deutschland auf allen Ebenen so keinesfalls fortgesetzt werden kann und darf.

Natürlich gab es kritische Stimmen, insbesondere aus dem Bereich der Landtage, wonach die Länder mit dem strikten strukturellen Verschuldungsverbot im Grundgesetz budgetrechtlich entmachtet würden und damit ihre Eigenstaatlichkeit verlören. Da die Länder nach der Verteilung der Gesetzkompetenzen im Grundgesetz kaum die Möglichkeit hätten, ihre Einnahmen weitgehend selbst zu determinieren, würden sie durch das zusätzliche strukturelle Verschuldungsverbot ab dem Jahr 2020 zu „bloßen Bittstellern“ bzw. „nachgeordneten Dienststellen“ des Bundes. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass wirkliche Eigenstaatlichkeit freilich ein finanzielles Handlungspotential voraussetzt, das viele (kleinen) Bundesländer ohne die Konsolidierungshilfen möglicherweise schon heute nicht mehr hätten. Der ehemalige Bundesfinanzminister Steinbrück hat in diesem Zusammenhang übrigens darauf aufmerksam gemacht, dass die „Null-Verschuldung“ der Länder nicht der Vorschlag des Bundes gewesen sei, sondern auf einer Einigung der „Länderfürsten“ beruhe. Einigen Ministerpräsidenten sei es um die Konsolidierungshilfen (Art. 143d Abs. 2 GG) gegangen, für andere, insbesondere Bayern, seien diese Hilfen nur zustimmungsfähig gewesen, wenn nach dem Konsolidierungszeitraum das Gebot der Null-Verschuldung gelte. Befürworter der Novelle weisen im Übrigen darauf hin, dass die Länder im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen Kreditaufnahmen in Ausnahmefällen – aus konjunkturellen Gründen oder in außergewöhnlichen Notlagen – für weiterhin zulässig erklären können (Art. 109 Abs. 1 S. 2 und S. 4 GG). Als erstes Bundesland passte Schleswig-Holstein im Mai 2010 mit der nötigen 2/3 Mehrheit im Landtag seine Verfassung in dem oben beschriebenen Sinn an das Grundgesetz an, um den „Irrweg in den Schuldenstaat zu beenden“.

Dass die grundgesetzliche Schuldenbremse das Land zu gewaltigen Anstrengungen zwingen würde, um die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben (ohne die Aufnahme immer neuer Kredite) zu schließen, wurde spätestens klar, als Hessen im November 2009 als erstes Flächenland eine nach kaufmännischen Prinzipien erstellte Eröffnungsbilanz vorgelegte, die unter dem Strich ein zumindest „für Laien schockierendes“ Ergebnis (58 Milliarden Euro Defizit) auswies (vgl. Ex-Ministerpräsident Koch, in Innovative Verwaltung 2010 S. 12). Das Land erwartete allerdings auch von seinen (finanziell notleidenden) Kommunen eine Rückkehr zu einer seriösen Haushaltswirtschaft: die (zweite) Leitlinie des Hessischen Innenministeriums zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte und Handhabung der kommunalen Finanzaufsicht vom 6. Mai 2010 (in StAnz. S. 1470) stieß erwartungsgemäß bei den Kommunen auf wenig Begeisterung. Der Hess. Städtetag stellte lapidar fest, der Innenminister habe die Leitlinie sehr praxisfern mit verschärften Vorgaben fortgeschrieben (vgl. Geschäftsbericht 2011, in INF. HStT 9/2011 S. 14). Die Vorgängernorm, die Leitlinie vom 3.8.2005 (in StAnz. S. 3261) war nach den Grundsätzen der hessischen Erlassbereinigung befristet zum 31.12.2010. Die Verkündung dieser Verwaltungsvorschrift hatte allgemeines Aufsehen erregt. Die oberste Finanzaufsichtsbehörde hatte sich offensichtlich zu dieser verbindlichen Anweisung an die nachgeordneten Behörden gezwungen gesehen, weil bereits zum 31.12.2004 in den hessischen Kommunalhaushalten Fehlbeträge des Verwaltungshaushalts in Höhe von insgesamt 2,7 Mrd. Euro aufgelaufen waren (vgl. StAnz. 2006 S. 3549). Dennoch forderten die kommunalen Spitzenverbände vehement die Aufhebung der Leitlinie (vgl. INF. HStT 2005 S. 149), z. T. unter Hinweis darauf, dass der kommunale Anteil an der Staatsverschuldung in Deutschland insgesamt kaum ins Gewicht falle. Auch habe das Land selbst schon des Öfteren einen Haushaltsplan aufgestellt, bei dem die Nettoneuverschuldung höher lag als die Nettoinvestitionen, obwohl schon nach Art. 141 HVerf. a. F. eine Kreditaufnahme in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken zulässig war (vgl. StGH, Urt. v. 12.12.2005, in StAnz. S. 4727). Die oberste Finanzaufsicht hatte nach diesem Proteststurm ihre Leitlinie anschließend in einem Punkt berichtigt (bezüglich der Elternentgelte in Kinderbetreuungseinrichtungen – durch Erlass vom 27.9.2005, in StAnz. S. 4198) und sie in einem anderen Punkt präzisiert (insbesondere hinsichtlich der Kreisumlage – durch Schreiben an die kommunalen Spitzenverbände vom 14.12.2005, als Entwurf, der insofern nicht verändert wurde, veröffentlicht in INF. HStT 2005 S. 150). Jedoch hatte der Hessische Städtetag am Ende der Auseinandersetzung ernüchtert feststellen müssen: „Es bleibt dabei: die Leitlinie wird nicht aufgehoben“ (vgl. INF. HStT 2005 S. 147).

Der vormalige Innenminister Volker Bouffier machte nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten am 31. August 2010 bereits in seiner ersten Regierungserklärung eine Woche später im Landtag deutlich: „Mit der Verschuldenspolitik zu Lasten der nachfolgenden Generationen kann es so nicht weitergehen!“. Er führte weiter aus, dass im Hessischen Landtag die Politik wachsender Verschuldung seit 1969 jahrzehntelang von allen demokratischen Parteien praktiziert worden sei. Dieser fatale Konsens aller Parteien habe ermöglicht, dass die reichste Generation aller Zeiten die größten Schulden aller Zeiten gemacht habe. Gerade im Jahr 2010, dem Jahr des „globalen Schuldenrauschs“, bot der drohende Staatsbankrott Griechenlands ein abschreckendes Beispiel. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag erklärte am 26. April 2010, „dass das Beispiel Griechenlands die Politik mahne, die Enkelgeneration nicht länger auszubeuten“.

In Hessen erhielt der von dem Ministerpräsidenten angekündigte Ausstieg aus der Schuldenspirale zusätzlichen Schwung durch die Volksabstimmung am 27. März 2011 – zeitgleich mit den Kommunalwahlen – über die Aufnahme der Schuldenbremse (auch) in die Landesverfassung. Anders als das Grundgesetz kann die Hessische Verfassung bekanntlich nicht eigenständig vom Parlament, sondern nur vom Volk geändert werden (vgl. Art. 123 Abs. 2 HVerf.). Ein gemeinsamer Beschlussvorschlag der Fraktionen CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vom 2. Dezember 2010 (LT-Drs. 18/3441) zur Novellierung des Art. 141 HVerf. wurde in der Volksabstimmung von 70 % der Abstimmenden angenommen, wobei allerdings auch nur knapp die Hälfte der Stimmberechtigten teilnahm. Der neue Art. 141 HVerf. ist erstmals für das Haushaltsjahr 2020 anzuwenden. Art. 161 HVerf. bestimmt aber ergänzend, dass der Abbau des bestehenden Defizits bereits im Haushaltsjahr 2011 beginnt und dass die nachfolgenden Haushalte so aufzustellen sind, dass im Haushaltsjahr 2020 tatsächlich die Vorgabe der Nullverschuldung erfüllt wird. Wegen ihrer Bedeutung werden sowohl die grundgesetzliche Schuldenbremse als auch die vom hessischen Volk angenommenen Art. 141 und 161 HVerf. n. F. in dieser Textausgabe (Teile B und C) wiedergegeben.

Hessische Kommunalverfassung

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